Sonntag, 26. Juli 2020

Straight Outta Compton (Director's Cut) (2015)

https://www.imdb.com/title/tt1398426/

Die Stadt Compton im Süden von Los Angeles gehört zu den Gegenden mit den höchsten Kriminalitätsraten der USA. Drogenhandel und Ganggewalt sind hier an der Tagesordnung, während die Polizei den vielen afroamerikanischen Einwohnern des Vororts häufig mit Rassismus begegnet. Die scheinbar aussichtslose Lage veranlasst Mitte der 80er Jahre schließlich fünf junge Männer dazu, ihren brutalen Alltag mittels Musik zu verarbeiten und so ihre Stimmen gegen die herrschenden Missstände zu erheben. Unter ihren Künstlernamen Dr. Dre (Corey Hawkins), Ice Cube (O'Shea Jackson Jr.), MC Ren (Aldis Hodge), Eazy-E (Jason Mitchell) und DJ Yella (Neil Brown Jr.) gründen sie gemeinsam die Hip-Hop-Gruppe N.W.A. Mit harten Beats und ebenso ehrlichen wie kontroversen Texten sorgen sie für großes Aufsehen und ecken vor allem auch bei der Polizei gehörig an. Auch deshalb haben sie mit ihrem Album „Straight Outta Compton“ großen Erfolg. Doch mit dem Ruhm gehen auch zunehmende Differenzen zwischen den Rappern einher, sodass N.W.A kurz nach dem großen Durchbruch schon wieder auseinanderzubrechen droht...

Selbst wenn man mit Hip-Hop, Rap und speziell dem Gangsta-Rap nicht viel am Hut haben mag, so sei einem das Biopic über die N.W.A und Eric Lynn Wright, aka Eazy-E, dem "Paten" des Gansta-Rap, sehr ans Herz gelegt. "Straight Outta Compton" ist nämlich eine vollkommen gelungene Sache, auch wenn, und das kann man den Machern durchaus vorwerfen, aufgrund der Aufrechterhaltung von Dramaturgie und Spannung beim Zuschauer einige Aspekte doch sehr hinzugedichtet und interpretiert wurden. Als sich in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre eine Gruppe DJs und MCs im berüchtigten L.A.-Stadtteil Compton zusammenschloß, um das zu tun, was (einige von ihnen) am besten konnten – Rap-Musik produzieren – hätte wohl niemand von ihnen geahnt, dass sie Jahrzehnte später als die Wegbereiter eines ganzen Sub-Genres, dem Gangsta-Rap, gelten sollten. N.W.A., die "Niggaz Wit Attitudes", schafften das damals undenkbare: trotz Radio- und MTV-Boykott, ohne wirkliche Promo, also einzig über Hörensagen und Mund-zu-Mund-Propaganda, erkämpfte sich ihr roher, harter Straßen-Sound schleichend einen Platz in den Charts, einige (auf kontroversen Lyrics basierende) Probleme mit den Bundesbehörden und vor allem eine landesweite fanatische Anhängerschaft. Fast 25 Jahre nach dem Auflösen der Gruppe setzen sich die vier verblieben Gründungsmitglieder ein filmisches Denkmal: "Straight Outta Compton".


Und man braucht sich nichts vormachen – dieser Film feiert das Vermächtnis der Crew bis ins Letzte und ist demnach wohl vor allem ein Werk für langjährige Hip-Hop-Fans. Formell zwar ein gewöhnliches Biopic vom Reißbrett, das sämtliche wichtigen Stationen von Gründung, über erste Konflikte, bis zur Auflösung abgrast, sowie den folgenden rasanten Solo-Karrieren von Ice Cube und Dr. Dre genügend Platz einräumt, atmet "Straight Outta Compton" doch durch und durch den Geist der Musik und lässt des Rap-Fan’s Herz in regelmäßigen Abständen höher schlagen. Persönliche, tiefe Einblicke in das tatsächliche Wesen der fünf Musiker gewähren Regisseur F. Gary Gray und die 5 Drehbuchautoren zwar nur selten, faszinierende Auszüge aus dem begeisterten Schaffensprozess in Studios, dem energetischen Eskalieren auf Bühnen und den Problemen, die Lebensstil und Einstellung der jungen Männer zwangsweise mit sich bringen, dafür umso mehr. Wenn das Ensemble auf einem heiklen Konzert in Detroit gegen alle vorherigen Warnungen "Fuck Tha Police" performed und das Publikum schier ausrastet, oder Dr. Dre und sein langjähriger Wegbegleiter Snoop Dogg Jahre nach der Trennung der Gruppe in einer spontanen Session die Vocals von "Nuttin' But A G Thang" erarbeiten, geht das so sehr ins bouncende Herz, dass dies vor Freude mit dem Kopfnicken beginnt.

Ist der Film denn abseits davon notwendig reflektiert? Wie stellt er das Gangsta-Milieu dar? In einer Szene wird Ice Cube bei einer Pressekonferenz dazu befragt, ob er es eigentlich verantworten könne, in den Texten der Gruppe Gewalt, Mord und Verbrechen zu propagieren und somit ja auch irgendwie zu glorifizieren. "It’s a representation of the reality around us" antwortet er selbstsicher und direkt ist das Thema von Tisch. Doch ist das tatsächlich so? Ist dies eine ehrliche Antwort? Einer (zeitgleich zu N.W.A. entstandenen) Formation wie "Public Enemy" kauft man ihre harsche Gesellschafts- und Systemkritik mühelos ab, doch war speziell der von N.W.A. etablierte Gangsta-Rap damals, oder ist er evtl. gar heute noch ein tatsächlicher Spiegel der Missstände abgestürzter gesellschaftlicher Randgruppen? Schwierig. Die Diskussion der Pros und Contras führt ganz sicher zu weit, denn beginnt man Sinnhaftigkeit, Wahrheits-Gehalt, oder gar Daseinsberechtigung dieser Musik zu wägen, ufern diese Betrachtungen mit Gewissheit in eine den Rahmen sprengende soziokulturelle Diskussion aus. Muss nicht sein, vor allem da die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt: zu leugnen, dass der Ghetto-Lifestyle eine morbide Faszination auf die Hörer (damals und heute) ausübt(e), wäre mehr als blauäugig, zu behaupten, Songs wie "Fuck Tha Police" hätten ihren Ursprung nicht in weitreichenden realen Problemen ebenso. Doch diese Diskussion führt der Film nicht, insgesamt ist "Straight Outta Compton" sicher nicht an einer kritischen Aufarbeitung des eigenen Sujets gelegen.


Und wie steht es um die (von den jungen Schauspielern, unter anderem Ice Cube’s Sohn O’Shea Jackson Jr., großartig umgesetzte) Darstellung der Figuren? Gerade Eazy-E, das einzige Crew-Mitglied welches nicht mehr gegen verfälschte Präsentation aufbegehren kann, kommt, auch wenn sein Werdegang klar auf einer versöhnlichen Note endet, insgesamt sicher nicht allzu gut weg. Eins sollte man jedoch im Hinterkopf behalten: "Straight Outta Compton" ist keine Dokumentation, und nie sollte man die Ereignisse eines Biopics für bare Münze nehmen. Wird er im richtigen Licht dargestellt? Das wissen vielleicht nicht mal mehr die tatsächlichen Beteiligten - subjektive Erinnerungen vernebeln im rauchigen Verlauf der Zeit - und so taugt diese Geschichte um Aufstieg und Fall weniger zur Analyse persönlicher Merkmale der Rapper, sondern vor allem im Hinblick auf die universelleren Themen: Immer wieder werden Polizei-Wilkür und -Brutalität angesprochen, lange zieht sich Ausnutzung durch die "falschen Freunde" durch den Film, später werden Verlust, Versöhnung und Vergeben relevant - alles jedoch in dem (kleinen) Rahmen, der abseits der Musik noch für Drama übrig bleibt. Am besten fasst die Absicht dieses Werks vielleicht eine bestimmte (absolut wundervolle) Szene zusammen: Nachdem Ice Cube wegen finanzieller Differenzen die Gruppe verlassen hat, um mit anderen Produzenten an der East-Coast sein solo-Debut "Amerikka's Most Wanted" aufzunehmen, inszeniert Gray eine fantastische Parallel-Montage zwischen ihm in der Studio-Booth, der wütend und laut "No Vaseline", den ultimativen Diss-Track gegen die früheren Weggefährten, einrappt und eben diesen, wie sie in großer Runde erstmalig genau diesen Song hören. Jeder kriegt aufs übelste sein Fett weg, wird in den Lyrics beleidigt und durch den Kakao gezogen - und doch sieht man, wie die Männer am liebsten applaudieren würden, weil der Track einfach nur burnt! Das ist die Intention dieses Films: sich gut gelaunt vor Musikgeschichte zu verneigen. Ziel erreicht - genau das ist geglückt.

8/10

Von WARNER BROS. Home Entertainment kommt der Film auch als "Limiterte Edition" im Steelbook. 


Quellen
Inhaltsangabe: Warner Bros.
Poster/Artwork: Warner Bros.

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