Geld ist in der Familie Kelly, die in den 1860ern am Rand der australischen Outbacks lebt, Mangelware. Als auch noch der Vater nach einem Gefängnisaufenthalt stirbt, sind die Aussichten auf ein besseres Leben praktisch null. Nur mit Mühe gelingt es Ellen (Essie Davis), für ihre Kinder zu sorgen, beispielsweise durch ihre diversen Liebhaber. An einen davon, Harry Power (Russel Crowe), vertraut sie den ältesten Sohn Ned (Orlando Schwerdt) an, der dem Gesetzlosen als Gehilfe dienen soll. Tatsächlich gerät er dabei auch schnell selbst mit dem Gesetz in Konflikt. Nach einer dreijährigen Haftstrafe versucht der inzwischen zu einem jungen Mann herangewachsene Ned Kelly (George MacKay) ein tadelloses Leben zu führen - doch der Vorsatz hält nicht lange an...
Ned Kelly ist eine legendäre Figur in der australischen Geschichte, ein Verbrecher irischer Abstammung aus dem 19. Jahrhundert, der den Kampf der unterdrückten weißen Menschen auf diesem Kontinent symbolisierte. In "True History Of The Kelly Gang" erzählt nun dieser Ned selbst seine Geschichte und obwohl er nicht gut schreiben kann, erzählt er in Briefen von seiner extrem harten Kindheit. "Ein Mann kann weder seinem Schicksal noch den Verbrechen seiner Vergangenheit entkommen", bemerkt er und antizipiert sein eigenes Ende. Regisseur Justin Kurzel detoniert einen Punk-Power-Akkord aus Trotz und Anarchie mit dieser brutalen, gewalttätigen und unerschütterlich krassen Geschichte, die sich in einer verbrannten, fremd aussehenden Landschaft entfaltet. Sein Film basiert auf der traditionellen Sichtweise von Kelly als Jesse James oder Che Guevara aus Australien, untergräbt jedoch die Legende, indem er einen lebendigen Kontext von Funktionsstörungen und Missbrauch in Kellys Erziehung darstellt: eine tragisch giftige Männlichkeit und gleichwohl giftige Mutterschaft. Der Film konzentriert sich nicht auf die konventionellen Aktivitäten der Outlaw-Gruppe rund um Kelly, sich zu verstecken, Banken auszurauben, sich zu streiten und schließlich die Gerichte zu strapazieren. Kurzels "wahre" - oder eher halb-wahre - Geschichte ist eher eine episodische Darstellung von allem, was diesen Mann, Ned Kelly, als Individuum ausmachte, eine Hintergrundgeschichte, die sich fast unmerklich in die Hauptgeschichte verwandelt. Shaun Grants Drehbuch teilt nun Kellys Leben in 3 Etappen und lässt es in der Erzählung und stellenweise auch im Dialog von Klischees aus Outlaw-Filmen nur so wimmeln.
Kelly wird als Kind von Orlando Schwerdt und als junger Mann von George MacKay gespielt. Sein Körper ist so muskulös und straff wie eine vesalische Anatomieillustration. Ned ist total begeistert von seiner leidenschaftlichen Mutter Ellen (die großartig von Essie Davis gespielt wird), während er sich merklich angeschlagen über die Tatsache ärgert, dass sie ihn als Kind an den berüchtigten Räuber Harry Power "verkauft" hat - und ihn so in eine kriminelle Ausbildung trieb. Und das, obwohl es genau eine Chance gab, aus ihm einen rechtschaffenen Menschen zu machen. Dem zum Trotz und aus stoischer Engstirnigkeit heraus provozierte Mutter Kelly jedoch ihr Gegenüber und lachte ihr gehässig ins Gesicht. Von Power nun lernt Kelly seine Lektionen in Rücksichtslosigkeit und des Schreibens der eigenen Geschichte. Aber Kelly kann sich nicht dazu durchringen, den englischen Sergeant (Charlie Hunnam) zu töten, der einst sexuelle Gefälligkeiten von seiner Mutter forderte und sich mit dem gedrungenen englischen Polizisten (gespielt von Nicholas Hoult mit einem alarmierenden Hinweis auf Hugh Grants übertriebene Ausdrucksweise) im örtlichen Bordell anfreundet, wo sich Kelly schicksalhaft in Mary (Thomasin McKenzie) verliebt.
All diese Elemente seiner Geschichte führen den Zuschauer wie in einem Fiebertraum zu Kellys großer Berufung zum Verbrechen und zum paramilitärischen Aufstand gegen die Briten mit seiner berühmten hausgemachten Rüstung. In "True History Of The Kelly Gang" gibt es einige Actionszenen, die die technischen Fähigkeiten und das Auge des Regisseurs Justin Kurzel für Innovation zeigen. Eine klimatische Schießerei mit verblüffenden blitzartigen Lichteffekten ist unbestreitbar beeindruckend, sein Showdown mit den Soldaten ist ein stroboskopischer, halluzinatorischer Albtraum. Auch phantastisch sind die Reiteraufnahmen bei Nacht, in der ein Lichtkegel die Reiter selbst schwach, aber effektiv in Szene setzt. Doch die nervösen, federnden Qualitäten des visuellen Stils des Films werden leider durch seinen verbalen Inhalt etwas unterboten. Es ist zwar ein sehr mitreißendes Schauspiel, oft brillant, manchmal etwas überflüssig und vielleicht nicht immer in der Lage, den Erzählrausch seines ersten Aktes aufrechtzuerhalten. Aber es ist immer seltsam plausibel in seiner reinen Fremdheit und in den seltsam ergreifenden Momenten, in denen Ned sich mit dem Unterdrücker anzufreunden scheint - der letzte davon ist ein Englischlehrer, der anbietet, ihm bei seiner Autobiografie zu helfen. Das Problem, Ned Kellys Geschichte zu analysieren, steht im Mittelpunkt dieses Films. Und um es zu sehen, muss man sich auf den harten Aufprall am Ende einstellen.
7,5/10
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