Sonntag, 12. Juli 2020

[KINO FFnights] The Other Lamb (2019)

https://www.imdb.com/title/tt7737734/

Das Leben mit dem Hirten ist das einzige Leben, das Selah (Raffey Cassidy) jemals gekannt hat. Ihre autarke Gemeinschaft besitzt keine moderne Technologie und ist im Wald versteckt, weit weg von der modernen Zivilisation. Der Hirte Shepherd (Michiel Huisman) ist der Vormund, Lehrer und Liebhaber der Gruppe. Jedes der weiblichen Mitglieder der Gruppe ist entweder seine Frau oder seine Tochter. Selah ist reinen Glaubens, aber auch gefährlich eigensinnig. Sie wurde als Tochter von Shepherd erzogen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie seine Ehefrau werden kann. Als eine Begegnung mit den Behörden die Frauen und Shepherd zwingt, ein neues Eden weiter im Landesinneren aufzubauen, zweifelt Selah zunehmend an ihrem Glauben und hat seltsame, blutige Visionen. Der Beginn der Pubertät bringt harte neue Rituale mit sich und ihren ersten schockierenden Blick darauf, was mit Shepherds Frauen wirklich passiert...

Malgorzata Szumowskas "The Other Lamb" beginnt gleich mit einer ganzen Reihe von verräterischen Anzeichen dafür, dass hier etwas ganz und gar nicht ganz stimmt. Während Frauen und Mädchen in etwas moderneren Amish-Kleidern und gleichmäßig geflochtenen Haar die täglichen Aufgaben in einem abgelegenen Lager am Rande eines malerischen Waldes erledigen, singen sie alle dasselbe Lied unter dem wachsamen Abbild des an die Wand eines Wohnwagens gepinselten Sektenführers. Beim Abendessen sitzen sie ruhig an einem langen Tisch, der von einer Charles Manson-ähnlichen messianischen Figur angeführt wird, der als "der Hirte"/Shepherd (Michiel Huisman) bezeichnet wird. Er nennt die Frauen und Mädchen seine Frauen und Töchter, und sie kleiden sich entsprechend ihrer Haushaltslage. Die Frauen sind rot gekleidet, einige in burgunderfarbenen Mänteln, die Töchter tragen blaue Kleider und Mäntel. Der Hirte trägt Schwarz. Und natürlich bezeichnet er seinen Frauenkult als seine Herde. Während das Drehbuch von C.S. McMullen es vermeidet, in die Tiefen des Missbrauchs und der Unterwerfung innerhalb der Sekte einzutauchen, untersucht die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska die Spannungen innerhalb dieser kommunalen Hierarchie. Die Frauen haben einen höheren Stellenwert als die Töchter, aber das bedeutet nicht, dass die Töchter nicht eifersüchtig auf neue Frauen werden, von denen einige ungefähr gleich alt sind. Eifersucht überträgt sich auf die Frauen, die zuschauen, wie die Aufmerksamkeit des Sektenführers auf immer jüngere Partnerinnen gerichtet wird. Schwangerschaft ist ein Ehrenzeichen, aber nur, wenn das richtige Geschlecht geboren wird. Es ist eine erschütternde Statik, die durch die Augen von Selah (Raffey Cassidy) noch komplizierter wird, deren wilde Loyalität und Wunsch, dem Hirten zu gefallen, unter der Erkenntnis des Missbrauchs, den er sie und ihre Familie durchgemacht hat, zu brechen beginnt.

"His attention is like the sun," sagt eine der ausgestoßenen Frauen zu Selah. "Glorious at first but then it just... burns."

Durch die unbarmherzige Linse des Kameramanns Michal Englert lehnt sich Selahs Reise an die blauen, violetten und burgunderfarbenen Töne der Outfits und Einstellungen der Töchter an und richtet den Betrachter auf Selahs Perspektive aus. Jenny Nolans detaillierte, hausgemachte Kostüme bilden einen visuellen Kontrast zwischen den beiden Gruppen und stellen Mütter gegen Töchter, um ihren Patriarchen anzubeten. Albtraumsequenzen, die über den Film verteilt sind, sorgen beim Zuschauer für ein Gefühl der Verwirrung. Manchmal ist es sogar schwierig, auseinanderzuhalten, ob es sich um Selahs Visionen, Albträume oder Erinnerungen handelt, beispielsweise die (halb-)toten Tiere oder der Anblick von Selah in normaler Kleidung auf dem Rücksitz eines Autos. Es gibt ein paar unheimliche Elemente im Lager der Sekte, die nie vollständig erklärt werden, wie die komplizierten netzartigen Fäden, die bestimmte Teile ihres Lagers schmücken, und es scheint, als ob noch Teile der Geschichte vor dem Publikum verborgen sind. In Teilen erinnert "The Other Lamb" an den großartigen "Midsommar", ohne aber jemals dessen Größe zu erreichen.

Als Selah macht Raffey Cassidy einen grandiosen Job und porträtiert ein Mädchen, das die furchtbare Wahrheit ihrer Welt aufdeckt. Sie ist hin und her gerissen von ihrem Wunsch Shepherd zu gefallen, der Schuld, ihn zuvor im Stich gelassen zu haben, und dem Gefühl der Zurückhaltung und dem Gefühl, dass das, was er tut/tat, falsch ist/war. Ihr innere Uneinigkeit beginnt, weil sie ihre erste Periode fürchtet, da die Gruppe die Menstruation entfremdet, um für Evas Sünde zu büßen, und sie als "unrein" ansieht. Der Film verbindet einige ihrer Visionen von verrottenden Tieren mit ihrer viszeralen Schande um die Menstruation. Cassidy hält all diese Ängste in den ägnstlich-nervösen Blicken ihrer Charaktere fest, während sie versucht, ruhig zu bleiben und Huismans charismatischer, aber kontrollierender Anführer Selah wie seine nächste Mahlzeit ansieht - ein Wolf im Hirtenkleid. So wunderbar "The Other Lamb" auf dem Bildschirm erscheint und seine Besetzung die Spannung der Geschichte verkörpert, so fühlt es sich an, als würde etwas im Gesamtkontext fehlen. Der Film tut sich nicht schwer an der Erforschung dunkler Themen wie Kulte, Dynamik zwischen den Generationen und Missbrauch, ohne aber jemals zu irgendeiner Schlussfolgerung zu kommen. Nachdem man Selah durch ihre Selbstfindung gefolgt ist, fühlt sich das Ende gehetzt und nicht so befriedigend an wie der Großteil des vorherigen Films. Trotzdem hält der Großteil des Films die narrative Spannung vor einer wunderschönen irischen, aber trostlosen, minimalistischen Kulisse aus regnerischen, windgepeitschten Bergen aufrecht und lässt hoffen, dass von der polnischen Macherin noch mehr solche Filme kommen mögen.

7/10

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