Donnerstag, 23. Juli 2020

Κυνόδοντας - Kynodontas - Dogtooth (2009)

https://www.imdb.com/title/tt1379182/

Abgeschottet von der Außenwelt werden zwei Töchter und ein Sohn ganz im Sinne der reichen Eltern erzogen. Den pubertierenden Jugendlichen wird dabei ein verqueres Weltbild voller Lügengeschichten vermittelt: Die Welt hinter der Gartenhecke ist angeblich ein böser und gefährlicher Ort und gewohnten Begriffen des Alltages werden neue Bedeutungen zugesprochen. Das Familienleben ist geprägt von emotionsloser Disziplin und den unschuldig-perversen Spielen der drei Geschwister, die sich damit die Zeit vertreiben. Die scheinbar perfekte Idylle erhält erste Risse, als die Töchter und der Sohn sich die Frage stellen, was wirklich hinter der Gartenhecke liegt...

Wenn der Verlust des rechten Schneidezahns der einzige Weg in die vermeintliche Freiheit ist. Wenn Flugzeuge als Spielzeug vom Himmel fallen können und Katzen die gefährlichsten Kreaturen sind, denen man begegnen kann, dann sind wir in der Welt von Yorgos Lanthimos. Mit einer seltsam pervertierten Art zerfetzt Giorgos Lanthimos hier mit Alltagshorror, Sadismus und eiskalten Humor die zentralste Institutionen unserer Gesellschaft: Die Familie. Fehlgeleitete Eltern mit kruden Wertvorstellungen isolieren ihre Kinder mit absurden Hausunterricht auf perfide Weise vor (vermeintlich) schlechten Einflüssen der Welt, in dem sie die Abweichung zur Norm machen. Damit bohrt der Film tief in die Wunden einer griechischen Gesellschaft, die besonders in den ländlichen Gegenden stark von patriarchalischen Strukturen und frauenfeindlicher Sexualmoral geprägt ist.

"Dogtooth" ist eine monströse Parabel und ein ausgesprochen politischer Film, ein dysfunktionales Familiendrama über Machtverhältnisse und Selbstverletzung. Die ersten Minuten sind dabei recht verwirrend und eigenwillig. Man versteht nicht, warum einige Worte und deren Bedeutung ganz anders sind und erwachsene Kinder zurückgeblieben wirken. Sobald man aber erfasst hat, worum es in dem Film geht, wird er unglaublich ergreifend. Das seltsame dabei ist: "Dogtooth" zieht einen sofort in seinen Bann. Er ist so seltsam, dass man einfach wissen muss, ja, verstehen will, worum es hier geht. Ist es nur der Beschützerinstinkt der Eltern, die ihre Kinder vor der Welt, wie wir sie kennen bewahren wollen oder ist das ganze ein sadistisches Spiel der Machtausübenden?! Es ist schon in gewisser Weise absurd, was hier passiert und dargestellt wird, doch für die Protagonisten des Filmes ist das alles eben "Realität". "Dogtooth" ist grandios. Er thematisiert die Konstruktion von Realität: Die in einer luxuriösen Villenanlage abgeschottenen Kinder der Familie haben keine außenstehenden Bezugspersonen und sind völlig auf die Weltsicht und die Erklärungen der Eltern angewiesen. Trotzdem bricht sich ein Teil der außenliegenden Realität in Form der eingeschmuggelten Videokassetten Bahn. Auch ist der Drang, das Außen zu erkunden, nicht zu stoppen: Der Eckzahn ("Dogtooth"), der mit der Pubertät, dem Loslösen vom Elternhaus interpretiert werden kann und der selbstverständlich nicht auf natürlichem Wege ausfällt, wird in einer gegen sich selbst gerichteten Gewalt ausgeschlagen.

Der sehr gut inszenierte Film gibt einen verstörenden Einblick in eine krude Familienstruktur, wobei er sich verdeckt mit den Kontrollmechanismen von Faschismus und Diktaturen auseinandersetzt. Ein extrem polarisierendes Machwerk, bei dem es, wie eigentlich immer bei Lanthimos, außer lieben oder hassen nichts gibt. Mit kalter Absicht, bewusst provozierend, zelebriert der Film Andersartigkeit, um sie dann kontrolliert in einen Befreiungsakt münden zu lassen. Das ist ebenso intellektuell fordernd, wie sperrig, wie grimmig-witzig.

8,5/10

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