https://www.imdb.com/title/tt1379182/
Abgeschottet von der Außenwelt werden zwei Töchter und ein Sohn ganz im
Sinne der reichen Eltern erzogen. Den pubertierenden Jugendlichen wird
dabei ein verqueres Weltbild voller Lügengeschichten vermittelt: Die
Welt hinter der Gartenhecke ist angeblich ein böser und gefährlicher Ort
und gewohnten Begriffen des Alltages werden neue Bedeutungen
zugesprochen. Das Familienleben ist geprägt von emotionsloser Disziplin
und den unschuldig-perversen Spielen der drei Geschwister, die sich
damit die Zeit vertreiben. Die scheinbar perfekte Idylle erhält erste
Risse, als die Töchter und der Sohn sich die Frage stellen, was wirklich
hinter der Gartenhecke liegt...
Wenn der Verlust des rechten Schneidezahns der einzige Weg in die
vermeintliche Freiheit ist. Wenn Flugzeuge als Spielzeug vom Himmel
fallen können und Katzen die gefährlichsten Kreaturen sind, denen man
begegnen kann, dann sind wir in der Welt von Yorgos Lanthimos. Mit einer seltsam pervertierten Art zerfetzt Giorgos Lanthimos hier mit Alltagshorror, Sadismus und eiskalten Humor die zentralste Institutionen unserer Gesellschaft: Die Familie. Fehlgeleitete Eltern mit kruden Wertvorstellungen isolieren ihre Kinder mit absurden Hausunterricht auf perfide Weise vor (vermeintlich) schlechten Einflüssen der Welt, in dem sie die Abweichung zur Norm machen. Damit bohrt der Film tief in die Wunden einer griechischen Gesellschaft, die besonders in den ländlichen Gegenden stark von patriarchalischen Strukturen und frauenfeindlicher Sexualmoral geprägt ist.
"Dogtooth" ist eine monströse Parabel und ein ausgesprochen politischer Film, ein dysfunktionales Familiendrama über
Machtverhältnisse und Selbstverletzung. Die ersten Minuten sind dabei recht verwirrend und eigenwillig. Man
versteht nicht, warum einige Worte und deren Bedeutung ganz anders sind und erwachsene
Kinder zurückgeblieben wirken. Sobald man aber erfasst hat, worum es in dem Film geht, wird er unglaublich ergreifend. Das seltsame dabei ist: "Dogtooth" zieht einen sofort in seinen Bann. Er ist so seltsam, dass man einfach wissen muss, ja, verstehen will, worum es hier geht. Ist es nur der Beschützerinstinkt der Eltern, die ihre Kinder vor der Welt, wie wir sie kennen bewahren wollen oder ist das ganze ein sadistisches Spiel der Machtausübenden?! Es ist schon in gewisser Weise absurd, was hier passiert und dargestellt wird, doch für die Protagonisten des Filmes ist das alles eben "Realität". "Dogtooth" ist grandios. Er thematisiert die Konstruktion von Realität:
Die in einer luxuriösen Villenanlage abgeschottenen Kinder der Familie
haben keine außenstehenden Bezugspersonen und sind völlig auf die
Weltsicht und die Erklärungen der Eltern angewiesen. Trotzdem bricht
sich ein Teil der außenliegenden Realität in Form der eingeschmuggelten
Videokassetten Bahn. Auch ist der Drang, das Außen zu erkunden, nicht zu
stoppen: Der Eckzahn ("Dogtooth"), der mit der Pubertät, dem Loslösen
vom Elternhaus interpretiert werden kann und der selbstverständlich
nicht auf natürlichem Wege ausfällt, wird in einer gegen sich selbst
gerichteten Gewalt ausgeschlagen.
Der sehr gut inszenierte Film gibt einen verstörenden Einblick in eine krude Familienstruktur, wobei er sich verdeckt mit den Kontrollmechanismen von Faschismus und Diktaturen auseinandersetzt. Ein extrem polarisierendes Machwerk, bei dem es, wie eigentlich immer bei Lanthimos, außer lieben oder hassen nichts gibt. Mit kalter Absicht, bewusst
provozierend, zelebriert der Film Andersartigkeit, um sie dann
kontrolliert in einen Befreiungsakt münden zu lassen. Das ist ebenso
intellektuell fordernd, wie sperrig, wie grimmig-witzig.
8,5/10
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen