Donnerstag, 9. Juli 2020

Portrait de la jeune fille en feu - Portrait Of A Lady On Fire - Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019)

https://www.imdb.com/title/tt8613070/

Auf einer abgelegenen Insel in der Bretagne wird Ende des 18. Jahrhunderts die Pariser Malerin Marianne (Noémie Marchant) von einer verwitweten Gräfin (Valeria Golino) beauftragt, das Hochzeitsporträt ihrer Tochter zu zeichnen. Das klingt einfacher, als es ist, denn die künftige Braut und ehemalige Klosterschülerin Héloïse (Adèle Haenel) rebelliert gegen ihre Mutter und will aus Protest gegen die arrangierte Ehe nicht Modell stehen. Doch das Porträt ist für die Familie sehr wichtig, denn nur so kann die Eheschließung mit einem ihr unbekannten Mann aus Mailand offiziell bekannt gemacht werden. So bleibt Marianne nichts anderes übrig, als Héloïse während ihrer Spaziergänge an der Meeresküste genau zu beobachten und sie später aus dem Gedächtnis heraus zu zeichnen. Je länger die beiden Frauen Zeit miteinander verbringen, je tiefer die beiden sich dabei in die Augen sehen, desto näher kommen sie sich...

Bereits nach den ersten Minuten kann man sagen, dass das Werk von Céline Sciamma "Porträt einer jungen Frau in Flammen" selbst wie ein wundervolles Porträt daherkommt. Jede einzelne Einstellung wirkt wie eine perfekt ausbalancierte Komposition. Vor einer malerischen Kulisse lässt Sciamma ihre beiden Hauptdarstellerinnen Noémie Merlant und Adèle Haenel vornehmlich über Blicke kommunizieren, wodurch eine ungemeine Intensität entsteht, bei der man stets genau hinschauen möchte, damit man bloß keine Nuance verpasst. Vor allem Haenel macht als Adelige, die sich nur schwer mit ihrem bevorstehenden Schicksal einer arrangierten Hochzeit abfindet, eine wundervolle Figur - stets geheimnisvoll, tief traurig aber gleichzeitig häufig von einer naiven Fröhligkeit beseelt. In ihren besten Momenten erinnert sie so unweigerlich an Kim Min-hees überwältigende Darbietung in Park Chan-wooks Meisterwerk "Die Taschendiebin". Aber auch in den zwischenmenschlichen Interaktionen erinnert "Porträt einer jungen Frau in Flammen" immer wieder an die knisternde Stimmung in Parks emotionalen Thriller. Doch wo der Südkoreaner seiner Geschichte noch eine abgründige und raffinierte Thriller-Handlung hinzufügt, konzentriert sich Sciamma ganz auf die emotionalen Facetten ihrer Protagonistinnen. Und das handhabt sie mit solch einer Feinfühligkeit, wie man sie nur ganz selten erlebt. Ihr Blick auf ihre weiblichen Figuren ist von einer solch selbstverständlichen Sensibilität geprägt, sodass eine ganz andere Form von emotionaler wie erotischer Spannung entsteht. Trotz der teils freizügigen Augenblicke, sind es nicht diese Szenen, in denen das Knistern zu einem wahren Feuer heranwächst. Es sind die vielsagenden Blicke, die feinen Berührungen und die aus Angst festgehaltenen Gesten, die den Zuschauer die Luft anhalten lassen. Sciamma stellt so ihre Hauptdarstellerinnen niemals oberflächlich zur Schau, sondern zieht stets das emotionale Dilemma in den Fokus, die von Kamerafrau Claire Mathon in präzisen Bildern eingefangen werden.

Es ist also nicht nur ein Portrait einer jungen Frau, es ist ein Portrait der Weiblichkeit. Dramaturgisch ist das Werk zwar auf den ersten Blick ziemlich überschaubar, aber Regisseurin und Drehbuchautorin Sciamma gelingt es in dieser recht einfachen Rahmenhandlung viele wichtige Themen zu integrieren. Die Unterdrückung und Bevormundung der Frau im 18. Jahrhundert schwingt im Drehbuch stets mit und spiegelt die Gegenwart. Gleichzeitig erzählt der Film feinfühlig, dass sich gewisse Verbindungen, Wünsche und Bedürfnisse nicht unterdrücken lassen. Das ist vor allem der emotionalen Reife der Figuren zu verdanken und ihrer Dynamik zueinander. Denn letztendlich werden viele Themen behandelt, die nie an Aktualität verlieren. Da in ihrem Werk fast ausschließlich Frauen zu sehen sind, gelingt ihr auch ein ungemein intimer Blick auf die Weiblichkeit. Noémie Merlants Figur als Porträtmalerin stellt sie gekonnt vor ein emotionales Dilemma. Die eigentlich recht selbstbestimmte Frau macht mit ihrem Handwerk die eheliche Verbindung zweier Menschen offiziell. Aufgrund ihrer Gefühle zu der zu Zeichnenden begibt sie somit Verrat an sich selbst. Viele solcher Hürden werden gekonnt in die Geschichte eingearbeitet. Dabei gelingt Sciamma auch immer wieder eine wundervolle Metapher auf und mit der antiken Legende von Orpheus und seiner Geliebten Eurydike. Diese wiederkehrende Geschichte, die als durchgängiges Motiv genutzt wird, gewinnt die Filmemacherin eine neue Sichtweise ab und überträgt sie so erstklassige auf ihre eigene Geschichte.

Dass es sich um eine Low-Budget-Produktion handelt, macht die spartanische Ausstattung deutlich. So vergeht die erste Hälfte auch etwas schleppend, zumal Sciamma obendrein auf Filmmusik verzichtet. Doch umso glaubhafter und zärtlicher wirkt das einander Annähern der Charaktere. Die beiden starken Hauptdarstellerinnen sind unterschiedlich genug, um ein spannendes Verhältnis zu zeigen, und ähnlich genug, um glänzend miteinander zu harmonieren. Dazu kommt, dass die Küsten der Halbinsel Quiberon, auf der der Film gedreht wurde, sind ebenso beängstigend wie wunderschön. Durch den Freitod, den die Schwester der zu verheiratenden Protagonistin an einer dieser Klippen gewählt hat, wird die Bedrohlichkeit dieser Insel noch einmal verstärkt. "Porträt einer jungen Frau in Flammen" holt somit aus seinen Grundlagen ungemein viel heraus und unterstreicht einmal mehr, dass Céline Sciamma eine der spannendsten Filmemacherinnen unserer Zeit ist. In einer Szene hommagiert sie sogar völlig unverhohlen die "Porträt-Szene" aus "Titanic".

Man muss allerdings dennoch zugestehen, dass "Porträt einer jungen Frau in Flammen" etwas Zeit braucht. Wirklich in Fahrt kommt hier nichts. Es ist ein durchgehend ruhiges Werk. Aber hat der Film einen erstmal in seinen Bann gezogen, lässt er einen auch bis zur subtilen aber dennoch hochemotionalen Schlussszene nicht mehr los. Céline Sciamma erschafft mit "Porträt einer jungen Frau in Flammen" ein ebenso dramaturgisch wie emotional vielschichtiges Werk, wie man es nur selten erlebt, eine authentische, sinnliche und sympathisch subtile Beziehungsgeschichte von Künstlerin und Muse, von leisen Kämpferinnen. Dabei kreiert sie eine unglaubliche Bildgewalt, sodass jede einzelne Einstellung selbst zu einem Porträt heranwächst. Die Dialoge sind gelungen, doch bewegend wird der Film erst durch Blicke und Anspielungen, die mehr als Worte sagen. Das französische Werk gehört fraglos zu den stärksten Dramen der letzten Jahre.

8,5/10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen