https://www.imdb.com/title/tt8079248/
Jack (Himesh Patel) ist zwar ein leidenschaftlicher Musiker, doch kann sich gerade mit Mühe und Not über Wasser halten, denn erfolgreich ist er mit seiner Musik nicht. Aus seinem kleinen verschlafenen Heimatdorf an der englischen Küste hat er es noch nie in die weite Welt geschafft. Doch eine Person glaubt nach wie vor an Jack: Seine Jugendfreundin Ellie (Lily James) hält unerschütterlich an Jacks Talent fest. Bis ihm eines Tages ein Wunder geschieht. Nach einem mysteriösen weltweiten Stromausfall wird Jack von einem Bus angefahren. Nachdem er wieder zu Bewusstsein kommt, wirkt eigentlich alles so wie immer. Doch dann stellt Jack fest, dass sich plötzlich niemand außer ihm mehr an die Musik der Beatles erinnern kann. Jack nutzt diese Situation und verkauft die Welthits als seine eigenen Kompositionen. In kürzester Zeit wird er zur weltweiten Sensation und zu einem Mega-Popstar, dem die Herzen reihenweise zufliegen und der mit Ed Sheeran auf Tournee geht. Allerdings stellt sein neu gewonnener Ruhm die Beziehungen zu seinen Freunden und seiner Familie auf eine harte Probe.
Wirklich ein freundlicher Film; es ist einfach angenehm, einem Regisseur bei der Arbeit zuzusehen, der so sicher im Umgang mit seinen Mitteln ist. Was wäre wenn? Man begegnet dieser Frage in "Yesterday". Sie ploppt auf, verkleinert sich, ploppt auf. Immer will sie uns herausfordern, obwohl sie apodiktisch beantwortet werden kann - zumindest Danny Boyle und Richard Curtis haben keinen Zweifel daran, dass die Welt ohne die Beatles eine schlechtere wäre. In "Yesterday", in Boyles und Curtis‘ naiv-musikalischer Romanze, gibt es keine Beatles (mehr). Ein "Stromausfall", so die landläufige Meinung, scheuchte für wenige Sekunden den Erdball ins Dunkle. Als das Licht wieder anging und die Geräte wieder funktionierten, war einiges weg: Nicht nur die britischen Pilzköpfe, sondern auch der bebrillte Zauberer aus Hogwarts, Kippen und Coke existierten nie. Wenige vermögen sich an das zu erinnern, was war. Was für eine Chance, eine Lüge zu leben! Das dachte sich auch Jack (Himesh Patel), ein Gitarrist auf Wanderschaft, der entweder vor verlassenen Plätzen oder vor einem - wenigstens - schüchtern klatschenden Publikum spielt. Jack erfährt die Tücken des Auswendiglernens, aber auch die Zwänge, ein Weltstar sein zu wollen. Doch an seiner Seite kann er auf seine Freundin Ellie (Lily James) vertrauen.
Wenn Kunst unweigerlich an die zeitgeschichtlichen Umstände gekoppelt ist, in der sie entstanden ist, lässt sich die Musik der Beatles im Hier und Jetzt adäquat reproduzieren? Reicht der "Text", da die "Zeit" eine andere ist? Wie ahistorisch (und damit wie allgemeingültig) sind die Zeilen einer Band, die tief in den Liverpooler Lokalitäten ihrer Inspiration verwurzelt ist? Scheinbar allgemeingültiger denn je. Denn scheinbar universal verbinden sich die 60er Jahre mit 2019, als ob die Wörter der Beatles auch davor und danach die Erde bewegen würden - "Yesterday" feiert eine Utopie ausdauernden Ergriffenseins. Affirmativ benutzt Jack (Patel) seine Stimme, um das Verschwundene lebendig zu halten. Und Boyle weiß, wie er den Zuschauer aufwühlt - zu "Yesterday" schneidet er zur Natur und zu "Eleanor Rigby" zu dessen lakonisch visualisierter Entstehungsgeschichte, wohingegen einzelne Kapitelüberschriften wie Songstreifen poppig vorüberziehen. Das frühlingshafte bis sommerliche Strandhausflair von Musik und Herz allerorten zementiert des Films süße Zuversicht, dass das Überfüllte des Gefühls wahrlich Großes schafft.
"Yesterday" hält jene Erzählung der Liebe aufrecht, die nicht weggeworfen gehört: Ausgesprochen zuckerig, aber nie überzuckerig bilden Lily James und Himesh Patel ein Pärchen auf Entdeckungsreise. Wie natürlich, quasi zaghaft sie sich aufeinander verlassen, ist das Verdienst einer empathischen, einer grundsätzlich menschenverliebten Regie. Der Märchencharakter ihrer Fügung - zum Ende hin gesteht Jack seine Liebe vor einem Millionenpublikum live - liegt gleichfalls in Jacks verzwickter Entscheidungsfindung: Der Straßen- und Festivalmusiker schwankt zwischen Ellie und Mandi (Kate McKinnon). Letztere verkörpert das Gesicht einer Branche, in der die Liebe (in Zeiten des Kapitalismus) zu kurz kommen muss, als dass sie gleichberechtigt berücksichtigt werden kann. Eine Branche, eine durchökonomisierte Halbwelt, die Boyle und Curtis spöttisch aufs Korn nehmen. Von Diversitätsproblemen in Hinsicht auf (politisch gewagte) Covergestaltungen bis zu bunten Smoothies, die den Besprechungstisch hipp säumen, wird Jack Spielball einer rasanten wie aggressiven Vermarktung unter Zurückdrängung persönlicher Bezugswelten. Sehr unterhaltsam und stilsicher, dazu noch sympathisch gespielt, der Robert-Carlyle-Auftritt ist richtig rührend. Nur Kate McKinnon missversteht mal wieder alles als SNL-Sketch und liefert eine total überzogene Karikatur ab.
Leider macht der Film über das zu erwartende Minimum hinaus absolut gar nichts aus seiner hübschen Idee. Man wird nochmal schön daran erinnert wird, wie zeitlos genial die Lennon/McCartney-Kompositionen sind, aber "Yesterday" bestückt einfach nur die Jukebox mit ihnen. Kein Einblick in Musikalität und Songwriting, sie sind einfach nur da, einer spielt und singt sie nach, meistens auch noch recht platt. Überhaupt besteht die Musikwelt in Curtis' Story einzig und allein aus Ed Sheeran. Das ist schon sehr einfallslos. Das Alternativuniversum hingegen reizen die Regie und das Drehbuch maximal rudimentär aus - gerade für Gags ist in erster Linie reichlich gesorgt. "Yesterday" eröffnet eine überdimensionale Verkaufsfläche, auf der sich vielmehr eine gesunde Portion Zuneigungsquatsch ausbreitet. Dass Richard Curtis hinreichende komödiantische Erfahrung hat, macht sich in "Yesterday" bemerkbar - Jack trifft Ed Sheeran, und ein Wettbewerb, in zehn Minuten einen Song zu schreiben, misst das Mozart-Salieri-Rollenverhältnis der beiden ab. Der Witz ist tollpatschig, wenig überladen und kaum hysterisch, sondern very british, kulminierend in einer Szene, in der Jack "Let It Be" seinen ungeduldigen Eltern (Meera Syal, Sanjeev Bhaskar) vorführt, allerdings stets neu ansetzen muss. Einfach ist es nicht, mit den Texten der Beatles zu arbeiten. Einfach ist es nicht, die Ekstase der Empfindung "von früher" zu exportieren. Zumindest vorerst. Entgegen monetärer Interessen, gestaltet als Resonanzkörper des Andenkens für alle. Mehr als ein unrealistischer Traum kann "Yesterday" ohnehin auch gar nicht sein - dafür aber ein mehr als angenehmer.
7,5/10
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