https://www.imdb.com/title/tt2584384/
Deutschland während des Zweiten Weltkrieges: Der kleine Jojo Betzler
(Roman Griffin) ist ein überzeugter Nazi, der nicht nur in der
liebevollen Obhut seiner alleinerziehenden Mutter Rosie (Scarlett
Johansson), sondern natürlich in der des ganzen Reichs aufwächst. Gerade
erst hat er im Nazi-Ferienlager gelernt, wie man Granaten richtig wirft
und wie wichtig es ist, dass viele blonde Nachkommen gezeugt werden.
Jojo kann es schon gar nicht erwarten, selbst Mitglied der Partei zu
werden, und hat sogar einen besonderen besten Freund: Adolf Hitler
(Taika Waititi) persönlich – na ja zumindest fast, denn Jojo bildet sich
Hitler nur ein. Aber das ist noch besser, schließlich ist der Führer
immer sofort zur Stelle, wenn Jojo dringend Rat braucht. Und den
benötigt er bald sehr dringend. Denn er findet heraus, dass seine Mutter
ein jüdisches Mädchen versteckt: Elsa (Thomasin McKenzie). Und die
verwirrt Jojo mächtig. Warum ist sie kein Monster, wie es doch alle
Juden angeblich sind? Um die Wahrheit herauszufinden und ein Buch über
sie zu schreiben, fängt Jojo nach anfänglicher Angst an, sich mit Elsa
zu unterhalten...
Imaginäre Freunde stehen Kindern in harten Zeiten bei. Sie helfen ihnen, sich einen Reim auf eine unverständliche Welt zu machen. Der zehnjährige Jojo lebt in einer deutschen Kleinstadt in den letzten Monaten des Dritten Reichs und will einfach nur dazugehören. Angeleitet und angefeuert von einem imaginären väterlichen Freund namens Adolf Hitler will er bei der Hitlerjugend beweisen, dass auch er ein ganz harter Junge ist, scheitert aber schon an der Forderung, einen kleinen Hasen zu töten, was ihm den höhnischen Spitznamen Jojo Rabbit einbringt. Noch ein bisschen ununbersichtlicher wird sein Bild der nationalsozialistischen Welt, als er hinter einer Wand der Wohnung ein jüdisches Mädchen entdeckt, das seine alleinerziehende Mutter (Scarlett Johansson) dort versteckt hat. Einmal laufen sie gemeinsam über den Marktplatz, wo die Hochverräter am Pranger an einem Strick baumeln. Auf seine Frage, was sie getan haben, antwortet die Mutter: "Was sie konnten." Was Jojo da noch nicht weiß, ist, dass auch sie sich im Widerstand engagiert.
Zwischen knalliger Komödie und finsterer Tragödie besteht in "Jojo Rabbit" eine enorme Fallhöhe. Dazu gehört auch, dass Regisseur und Drehbuchautor Taika Waititi den imaginären väterlichen Freund Adolf mit fröhlich chargierendem Quatschpotenzial selber spielt. Dass Waititi teils jüdische, teils Maori-Wurzeln hat, ist Teil des subversiven, scharzen Humors. In seinem ganzen Auftreten übersteigert er das Pathos und die Emphase, die zum Nationalsozialismus gehörten, ins Komische, die ganze Absurdität, die den exaltierten Auftritten von Politikern und Gestapo-Gestalten aus heutiger Perspektive anhaftete.
Dass der Neuseeländer Waititi einen ziemlich irrwitzigen Humor hat, war schon zu spüren, als er in seinen schrägen Indie-Zeiten zusammen mit seinem Kumpel Jemaine Clement das fiktive Leben des Folkduos "Flights Of The Conchords" seriell aufarbeitete und die eigenen Erfahrungen in einer studentischen Wohngemeinschaft in Wellington in "5 Zimmer, Küche, Sarg" auf eine Gemeinschaft uralter Vampire übertrug. Seit er vor zwei Jahren im Blockbuster "Thor: Ragnarok" die Riege der "Avengers" erfolgreich aufgemischt hat, genießt er auch in Hollywood eine Art Carte Blanche, so dass er seinen schräg satirischen Humor nun auch auf die bittere Historie des Holocaust anwenden durfte, locker basierend auf dem Roman "Caging Skies" von Christine Leunen. So unterrichtet Captain Klenzendorf (Sam Rockwell wieder als eine Art Redneck, der im hintersten Winkel seines schwarzen Herzens noch einen Funken von Menschlichkeit versteckt) im Camp der Hitlerjugend die Fächer Bücherverbrennung, Judenverfolgung und Granatenwerfen, während Rebel Wilson als Fräulein Rahm die Reichskinderproduktion propagiert: Sie selber habe dem Führer 18 kleine Arier geboren.
Doch hinter derart krachledernen Klischeefiguren erzählt "Jojo Rabbit" eine leise, warmherzige Geschichte über einen kleinen, verwirrten Jungen, der die Indoktrinierung mit Hassideologie durch die Freundschaft mit dem sechzehnjährigen jüdischen Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) überwindet. Stück für Stück erreicht sie, dass er die Vorhänge von der nationalsozialistischen Hasspropaganda zieht und dahinter die wahren Monstren erkennt. Dabei hält Waititi zwischen den kontrastierenden Tonlagen eine waghalsige Balance. Einige stilistische Elemente erinnern entfernt an die Filme von Wes Anderson, die symmetrischen Blicke in Puppenhausszenerien, rasante Kamerabewegungen, fidele Slapstickmomente und der verspielte Umgang mit der Musik, gleich in der ersten Szene, wenn eine deutsche Version des Beatles-Songs "I Want To Hold Your Hand" über jubelnde Heil-Hitler-Massen gelegt ist. Güte und Menschlichkeit als Waffen gegen das Übel des Nationalismus, das ist allemal eine Botschaft, die über ein knappes Jahrhundert hinweg noch immer erschreckend zeitgemäß ist.
8,5/10
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