Donnerstag, 25. Juni 2020

El secreto de Marrowbone - Marrowbone - Das Geheimnis von Marrowbone (2017)

https://www.imdb.com/title/tt5886440/

Auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann und ihrer Vergangenheit kommt Rose von England nach Amerika zurück, um dort den alten und marode gewordenen Familiensitz zu beziehen. Zu ihrer aller Schutz beschließt Rose, dass sie und ihre vier Kinder Jack, Jane, Billy und Sam sich fortan Marrowbone nennen, um die offensichtliche Verbindung zu ihrem Mann Simon Fairbairn zu kappen. Doch Rose' Glück um ihre Flucht währt nicht lange. Sie erkrankt und stirbt schließlich, nicht ohne ihrem ältesten Sohn Jack zuvor einzuimpfen, dass sie alle sich versteckt halten müssen, zumindest bis er 21 wird, denn sonst würde man die Geschwister voneinander trennen und womöglich ins Heim stecken. Doch es ist nicht alles trist und schlecht in Amerika und noch vor dem Tod der Mutter haben die Geschwister mit der charmanten Bibliothekarin Allie Freundschaft geschlossen, in die sich Jack zunehmend verguckt, zumal er als einziger – wenn es die Not erfordert – das Anwesen verlässt. Jacks und Allies Zuneigung füreinander ruft aber auch den Anwalt Tom auf den Plan, der ebenfalls in Allie verschossen ist und überdies gerne Jacks Mutter wegen einiger Formalitäten treffen würde. Als wäre diese Lage nicht schon schlimm genug für die vier Geschwister, müssen sie sich zudem aber auch mit der Tatsache herumschlagen, dass ein Geist in Marrowbone umgeht, weshalb sie auch sämtliche Spiegel abgehängt haben. Übernatürliches allerdings kann man nicht so leicht in seine Schranken weisen...

Bei der spanischen Produktion handelt es sich tatsächlich - trotz offenkundiger Anleihen bekannter Motive und so manchem Gruselmoment - nicht wirklich um einen Horrorfilm im eigentlichen Sinne. Das ist auf keinen Fall etwas schlechtes, soll nur die Erwartungshaltung dahingehend dämpfen, dass man besser keinen Geisterhaus-Film im klassischen Sinn erwarten sollte. Kennt man Werke wie "The Others" kommt man der Stimmung in "Marrowbone" nahe. Auch hier steht ganz offenkundig das Wohl und Wehe einer Familie, genauer: Der vier Geschwister Fairbairn im Vordergrund, die sich seit ihrer Emigration aus England Marrowbone nennen, und dergestalt könnte man den Film gar als Familien-Drama bezeichnen. In Anbetracht der durchaus vorhandenen übernatürlichen Elemente und einer alles überschattenden, diffus beklemmenden Atmosphäre würde allerdings auch diese Zuordnung zu kurz greifen, womit sich Sergio G. Sánchez‘ Regie-Debüt als gelungener Genre-Hybrid positioniert, dessen Prämisse und Handlung eben nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern immanenter Bestandteil einer berührenden Familiengeschichte.


Dem zum Trotz gibt es aber auch einiges an Geheimnissen und Mysterien rund um das Haus und die Familie Marrowbone, die man natürlich tunlichst unerwähnt lassen sollte, um nicht den Genuss am Film zu zerstören, denn der lebt tatsächlich in vielen Punkten von seinen Offenbarungen und Twists, die hier zunächst häppchenweise serviert werden, so dass man bereits nach der Hälfte der Laufzeit meint, zu wissen, was vor sich geht, nur um im Nachgang noch mehrere Male überrascht zu werden. Und das - wenn auch manche Versatzstücke genretypisch sein mögen - funktioniert angenehm gut, zumal sich Sánchez einer raffinierten Erzählweise bedient, die um Vor- und Rückblenden sowie Überlappungen nicht verlegen ist. Das bringt natürlich auch eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Erscheinungen und ihrer Ursprünge mit sich, doch ist das geradewegs beabsichtigt und fügt sich spätestens im Finale zu einem stimmigen Ganzen, auch wenn hier von der zuvor so bewussten Zurückhaltung nicht mehr viel zu spüren ist und Sánchez gerne etwas weniger dick hätte auftragen können.

Das aber ist nur einer von ganz wenigen Wermutstropfen in einem ansonsten dramaturgisch, vor allem aber atmosphärisch gelungenem, teils überragenden Werk, dessen Intention und Auflösung zwar nicht hundertprozentig frisch und innovativ sein mögen, das aber in der vorliegenden Form durch Mark und Bein zu gehen versteht, allerdings auf eine gänzlich andere und weitaus mehr berührende Art als es generische Schocker vermocht hätten. Zu großen Teilen liegt das natürlich auch an der formidablen Besetzung und nicht nur Jack als nomineller Anführer der Geschwister weiß dank des hingebungsvollen Schauspiels seitens George McKay zu überzeugen. Auch der aus "Stranger Things" bekannte Charlie Heaton und der gerade einmal achtjährige Matthew Stagg punkten in ihren Rollen als Billy und Sam, derweil Mia Goth als Jane nach thematisch ähnlich gelagerten Werken wie "A Cure for Wellness" oder "Suspiria" ihr bevorzugtes Genre gefunden zu haben scheint und mit zwar oft zurückhaltendem, aber differenzierten Schauspiel gleichsam überzeugt. Ähnliches gilt für Anya Taylor-Joy, die hier zwar als Allie nicht Teil der Marrowbone-Familie ist, als Bezugsperson und Brücke zur Außenwelt aber durchaus von immenser Bedeutung, gerade in den Augen von Jack, der mehr als nur ein Auge auf sie geworfen hat.


Während also die Geschwister Marrowbone samt und sonders - vor allem im Miteinander - gefallen, gilt selbiges auch für die vorherrschende Atmosphäre und das knarzende, verwinkelte Gebäude, dem man unbesehen abkaufen würde, dass sich ein Geist in dessen Innerem herumtreibt. Und dieser Geist ist oft zurückhaltend, oft unsichtbar, doch stets präsent, während seine Existenz oder Herkunft eng mit der Familiengeschichte verknüpft ist, ohne da jetzt weiter ins Detail gehen zu wollen. Entsprechend sollten Interessierte "Das Geheimnis von Marrowbone" ganz für sich entdecken und bestmöglich ohne Vorkenntnisse an die Sache herangehen, denn es genügt völlig, sich nur von der Erwartung eines genretypischen Haunted-House-Horrors loszumachen, um das sich hier entfaltende, übernatürlich angehauchte und bedrückend bebilderte Familien-Drama in vollen Zügen genießen zu können. Und auch und insbesondere wer kein Freund von Horrorfilmen im Allgemeinen ist, sollte sich überlegen, hier zugunsten der überzeugenden Drama- und Mystery-Aspekte dennoch einen Blick zu riskieren, der sich unbedingt lohnen würde.


Sergio G. Sánchez liefert mit seinem Spielfilm-Regie-Debüt "Das Geheimnis von Marrowbone" weit mehr ab als nur einen profanen Horror- oder Geisterfilm und schafft ein bestechend atmosphärisches Werk, dessen Melancholie von einer hintergründig lauernden Bedrohlichkeit überschattet wird, die einen essentiellen Teil der dramatischen Geschichte der Marrowbone-Geschwister darstellt. Kaum ein Film zum Gruseln, aber ein betörendes Mystery-Drama mit tragischer Note.

8/10

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