Dienstag, 16. Juni 2020

I See You - I See You: Das Böse ist näher als du denkst (2019)

https://www.imdb.com/title/tt6079516/

Ermittler Greg Harper (Jon Tenney) hat nicht nur an einem schwierigen Kindesentführungsfall zu knabbern, er muss zudem mit dem Seitensprung seiner Frau Jackie (Helen Hunt) zurechtkommen. Das Schicksal hat dann auch noch einen weiteren Schlag parat: In dem Zuhause der Familie manifestiert sich eine bösartige Präsenz, die den jungen Sohn des Ehepaars in tödliche Gefahr bringt - und mit den Kindesentführungen irgendwie in Zusammenhang zu stehen scheint...

Am besten entfaltet "I See You" seine Wirkung, wenn wenn rein gar nichts über diesen Film weiß. Denn der Film lebt von seinen Wendungen und dem Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers. Genau mit Letzteren hantiert er geschickt und konstruiert so spannende Entwicklungen. Doch bevor es richtig spannend wird, baut der Streifen gekonnt und sukzessive seine Umgebung auf. Mit stilsicheren Bildern und einer atmosphärischen Musikuntermalung macht sich von Beginn an eine seltsam-unbehagliche Stimmung breit, die den zuschauer vielleicht verwirrt. Dazu trägt auch die Location bei, die mit ihrem abgelegenen, im Wald angesiedelten Örtchen ein bekanntes und wirkungsvolles Szenario im Mystery-Sektor darstellt. Dabei nutzt man auch jede noch so alltägliche Situation um am Stimmungsbarometer zu drehen. Das kann bisweilen übertrieben wirken, erfüllt aber durchaus seinen Zweck.

"I See You" beginnt eher typisch für das Genre, zeigt aber schon sehr bald, dass er kein Interesse an einem gänzlich konventionellen Storyverlauf hat. Der Film holt sich Elemente aus Cop-, Psycho- und Mysterythrillern, sowie Krimis und einem Quentchen Horror und spielt damit gekonnt herum. Es werden falsche Fährten gelegt, Blickwinkel gewechselt und Prioritäten verschoben. Der Zuschauer soll sich schließlich nie zu sicher fühlen mit seinen Erwartungen. Das gelingt gar nicht schlecht und manch eine Wendung ist tatsächlich etwas überraschend. Kehrseite der Medaille ist, dass die Geschichte phasenweise wohl konstruiert wirkt und Logik in dem ganzen Gebilde nicht die erste Geige spielt. Das wäre dem Spannungsaufbau vermutlich auch wenig zuträglich gewesen. Der Cast agiert weitgehend unspektakulär und soll das auch, denn der Star des Films ist die stets diffus bedrohliche Atmosphäre, die von einem effektiv eingesetzten Soundtrack gut untermauert wird. Der kleine Schlusstwist wirft nochmal ein ganz anderes Licht auf das Geschehen.

Es ist interessant, wie der Fokus für den Zuschauer auf das Unbekannte und Mysteriöse gelenkt wird, während die Figuren noch vollends mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind. Der Umstand fehlender Utensilien wird beispielsweise nicht hysterisch wahrgenommen, sondern geistesabwesend bei Seite geschoben. Trotz aller inszenatorischen Genre-Konventionen geht I See You an dieser Stelle doch ziemlich schnell seinen eigenen Weg. Denn irgendwas stimmt nicht, doch die Betroffenen nehmen das genre-untypisch nicht wirklich war, da sie einfach mit anderen Problemen beschäftigt sind. Genau diese werden auch immer wieder in den Vordergrund gerückt und sind durchaus wichtige Puzzle-Steinchen für das Gelingen des Gesamtbilds. Bedächtig legt der Film die Teile auf dem Tisch, um diese den Zuschauer nach und nach vervollständigen zu lassen. Das ist spannend und macht den Reiz aus, welcher durch Wendungen nochmals befeuert wird.

Auffällig ist von Beginn an die gute Kameraarbeit, die scheinbar schwerelos die ersten Minuten des Films einfängt und schon exakt das vorwegnimmt, was "I See You" ausmacht: die gleiche Story aus verschiedenen Blickwinkeln und anderen Perspektiven betrachtet. Auch auf der Darsteller-Ebene kann "I See You" größtenteils überzeugen und liefert mit Helen Hunt ein bekanntes (wenngleich arg geliftetes) Gesicht. Sie ist Teil der im Mittelpunkt stehenden Harper-Familie, die vor allem in Form von Familienvater Jon Tenney ein prägnantes Gesicht bekommt. Der Teenager-Sohn wird von Judah Lewis gespielt und rundet das Bild einer wohlhabenden Kleinstadt-Familie passend ab. Probleme, Ängste und die Beziehungen untereinander werden von den Schauspielern glaubhaft dargestellt. Eine Sonderrolle hat der Vater inne, da er ja auch als Ermittler in einem Vermisstenfall fungiert und so mehrere Handlungsfäden des Films eint. Dieser Teil gehört leider auch zu den Schwachstellen des Films, da dieser ohne großen Fokus nebenher läuft und selten Spannung aufbauen kann. Seinen Teil zum gelungenen Ganzen trägt er trotzdem bei.

Ein überraschend vielseitiger Thriller. "I See You" spielt gekonnt mit Thriller-Konventionen, um ein eigenes Spannungsfeld zu generieren. Menschliche Abgründe, Kindheitstraumata und die Suche nach Gerechtigkeit, "I See You" sucht sich komplizierte Themen aus und wird ihnen oft nur bedingt gerecht, verpackt sie aber spannend und teils unkonventionell. Mehr war offenbar auch nie beabsichtigt. Doch auch wenn nicht alles komplett rund ist, bekommt man einen außergewöhnlichen und absolut sehenswerten Psycho-Thriller geliefert.

8/10

Von CAPELIGHT PICTURES erschien der Film hierzulande in einem tollen Mediabook mit "Glow-in-the-Dark"-Effekt und Crystal Drop:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen