https://www.imdb.com/title/tt4005402/
Inmitten des chilenischen Militärputsches des Jahres 1973 werden Lena (Emma Watson) und ihr Freund Daniel (Daniel Brühl) von Augusto Pinochets Geheimpolizei festgenommen. Während Lena nach kurzer Zeit wieder laufen gelassen wird, wird Daniel in die abgeschottete Colonia Dignidad im Süden des Landes gebracht. Die vom zwielichtigen Prediger Paul Schäfer (Michael Nyqvist) geführte Siedlung soll nach außen den Anschein einer makellosen und wohltätigen Zwecken dienenden Gemeinde erwecken, doch in Wahrheit arbeiten die Verantwortlichen mit Diktator Pinochet zusammen, für den sie die Eingesperrten unter Zuhilfenahme grausamer Foltermethoden verhören und schließlich töten. Niemand hat den Ort jemals lebend verlassen. Voller Verzweiflung schließt sich Lena der fragwürdigen Gruppierung an, um Daniel zu finden und gemeinsam mit ihm zu fliehen...
"Colonia Dignidad", zynische deutsche Übersetzung "Kolonie der Würde", war eine im Jahr 1961 in Chile von Paul Schäfer gegründete und geführte Sekte, in der Auslandsdeutsche systematisch ihrer Menschenrechte beraubt wurden. Einmal dort drinnen, kam man nie wieder heraus. Mit Folter, sexuellem Missbrauch und Erniedrigung brach ehemalige evangelische Jugendpfleger Paul Schäfer (im Film: Michael Nyqvist) sowohl physisch als auch psychisch diese Menschen, die ihr furchtbares "Leben" innerhalb der Colonia Dignidad fristen mussten. Die Führung der Colonia hatte regelmäßige Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen und unterstützte damit indirekt den Putsch des chilenischen Militärs am 11. September 1973. Während der Militärdiktatur wurde die Kolonie auch zu einer Operationsbasis des Pinochet-Geheimdienstes und politische Gefangene wurden dort systematisch gefoltert.
Bei diesem Film kommt es vor, dass man als Zuschauer mehr als einmal die Hand zur Faust ballt und gar in Versuchung kommt, den Satz "Dieses miese Schwein", zu denken: Wenn sich der als Heilsbringer inszenierende Paul Schäfer der jungen Lena nähert und sie mit verschwitzten Haaren eng klammernd an sich presst; gerade, wenn er dazu noch etwas von "Die Gnade des Herrn komme auf dich herab"und dem "Austreiben des Satans" faselt - und dabei nur die eigene Lust und den Machthunger befriedigt. Oder gar wenn er sich den im Vorraum der Gemeinschaftsdusche zum singenden Chor versammelten Knaben nähert und seinen Unterleib an die nur mit Unterhosen bekleideten Jungen drückt - Bilder, die eigentlich nicht gleichgültig hingenommen werden können; und doch offenbar sehr nah an den realen Ereignissen orientiert sind. "Colonia"-Regisseur Florian Gallenberger sucht, die ganze Diabolik dieses Sektenführers über das meisterhafte Spiel des schwedischen Starschauspielers Michael Nyqvist auszudrücken.
Im Kleid einer fiktiven Liebes- und Fluchtgeschichte um das Pärchen Lena und Daniel, das in den Wirren um den Sturz Allendes in die Fänge Schäfers und seiner Getreuen gerät, versucht der Regisseur, das Grauen so authentisch wie möglich zu erzählen.
Spannender als jeder Krimi oder Horror-Thriller ist "Colonia Dignidad" geworden, denn der wahre Horror bringt wohl das wahre Leben mit sich. Der Export von national-sozialistischen Idealen und dann später in Dieses, als umfunktoniertes Folter-Lager in die gerade entstandene Pinochet-Diktaur in Chile, ist der Fundus dieser krassen Geschichte (mit hohem Verfolgungspotential) von Psycho-Terror, Bespitzelung, Selbst-Justiz, Flucht-Verfolgung und eben Folter - unter dem heiligen Kreuz Jesus notabene - mit Verbindungen und jahrzehntelanger Deckung bis in die höchsten (Diplomaten-)Kreise und zu Politikern wie Franz Josef Strauss. Es lohnt jedenfalls, sich nach Sichtung des Films den Wikipedia-Eintrag zu Paul Schäfer zu lesen, denn ein Spielfilm kann nun mal nur ein punktuelles Gerüst der Begebenheiten wiedergeben, was er auch perfekt tut. Die geschichtliche Tatsache und Relevanz, wie sehr der damalige deutsche Staat in das alles verstrickt war und geheim mit trug, ist wohl das erschütterndste Faktum und Kernaussage des bewegenden Thrillers. Dabei hat sich Gallenberger spürbar intensiv mit den immer noch zu wenig aufgearbeiteten Hintergründen des dort verübten Grauens beschäftigt. Er war vor dem Dreh mehrmals in Chile, um Zeugen und die näheren Umstände zu erforschen. Authentisch bezeugt ist, wie Schäfer und seine Helfershelfer die sich ihnen nicht nur freiwillig unterwerfenden Menschen quälten, misshandelten, sie in einem ausgeklügelten System und psychischen Abhängigkeiten gegeneinander ausspielten, mit dem Pinochet-Regime kooperierten, Folter und Experimente mit Häftlingen unterstützten – gar Waffen produzierten oder handelten.
Das alles wurde politisch gedeckelt, lange stießen die wenigen mahnenden Stimmen und Protestierenden gerade bei den deutschen Behörden vor Ort auf taube Ohren, gar bestanden offenbar enge Kooperationen zwischen Schäfers Kolonie und den Amtsträgern. Das ist viel Stoff und kann unmöglich in 110 Minuten im Detail aufgedröselt werden. Zumal nicht nur die Kolonie, sondern auch der Militärputsch Pinochets erläutert werden. Um die Tragweite noch zu erhöhen, nutzt Gallenberger Kontraste: in der Filmmusik, in Spielen mit dem Licht - süßlich-sonnenbestrahltes Glück trifft auf düster-dreckige Dunkelheiten um das Grauen und den Terror.
Es gibt sie doch: die (sehr) guten deutschen Thriller. "Colonia" ist eine (vor allem am Ende) spannende und gleichwohl bittere Verfilmung über ein dunkles Kapitel, das in Deutschland erst sehr spät Beachtung fand und dessen überlebende Opfer ebenfalls viel zu spät Hilfe und Zuwendung erfuhren. Insofern gab es gravierende Versäumnisse im Umgang mit der Colonia Dignidad, denn deutsche Diplomaten hatten jahrelang weggeschaut und absolut nichts gegen die Unterdrücker unternommen. Die Top-Austattung und das im internationalen Kontext ausgewogene Schauspiel aller Beteiligten ist schlicht großartig: Rachenda Carey als strenges Sektenoberhaupt-No.2 Gisela Seewald und Michael Nyqvist als brutaler Ober-Guru-Fürst des eigentlichen KZ's sind schlicht zum Albtraum-Fürchten - Emma Watson und Daniel Brühl wiederum das perfekte Mitfieber-Opfer-Paar. Das Drama geht ziemlich unter die Haut, vor allem, wenn man weiß, dass dies keine Fiktion, sondern Wirklichkeit gewesen ist.
8,5/10
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