https://www.imdb.com/title/tt6304046/
Thelma (Eili Harboe), eine schüchterne junge Frau, hat gerade ihrer
religiösen Familie den Rücken gekehrt und ist von einem kleinen
Städtchen in den norwegischen Wäldern nach Oslo gezogen, um an der
dortigen Universität zu studieren. Hier erlebt Thelma erstmals ein
freies, zwangloses Leben voller Partys. Bald fühlt sie sich zu ihrer
attraktiven Kommilitonin Anja (Kaya Wilkins) hingezogen, die ihre
Zuneigung auch erwidert. Doch als Thelma eines Tages in der Bücherei
schmökert, befällt sie unerwartet ein heftiger Krampf. Und als das
Semester weiter voranschreitet, ist Thelma immer mehr von ihren eigenen
Gefühlen überwältigt - Gefühle, die sie sich nicht einmal gegenüber sich
selbst einzugestehen traut. Zugleich nehmen aber auch ihre Krämpfe zu -
und entpuppen sich als Symptom übernatürlicher, gefährlicher
Fähigkeiten...
Der norwegische Film "Thelma" ist ein sehr ruhiger Film. Wer hier einen puren Horror/Thriller erwartet, der den Zuschauer mit jeder Szene zu erschrecken versucht, ist hier fehl am Platz. "Thelma" ist ruhig, mystisch, düster und gleichzeitig auch einen Hauch erotisch. Eine Mischung aus Lovestory und Horrorfilm, der ohne Blut, Geister oder Kreaturen auskommt. Der Horror in "Thelma" manifestiert sich nur langsam, dafür umso wirkungsvoller. "Thelma" punktet zudem mit Genreanleihen und ist sich nicht zu feine, diese zu zitieren, wenn es nötig und richtig ist, und pocht dennoch auf seine Eigenständigkeit , die sich im Verlaufe der fesselnde Story zu einem sehr feinfühligen, queeren Drama entfaltet, welches um Macht und Ohnmacht
kreist und die Gefühlswelt eines Mädchens als Gefängnis ihrer
Andersartigkeit porträtiert.
Wie schon in "Brightburn" oder "Freaks" könnte man annehmen, dass es sich in "Thelma" um eine Originstory eine Superhelden oder Anti-Superhelden handelt, doch "Thelma" will sich gar nicht in diese Ecke drücken lassen. Sie behandelt die Gefühlswelt der Protagonistin als Basis der Ereignisse und konstruiert aus diesen eine interessante Story, von der man als Zuschauer gleich gefangen genommen wird. Und das schon in der Eröffnungssequenz, wenn man in der kalten Landschaft Norwegens vor Anspannung die Hände zu Fäsuten ballen muss, angesichts der Gezeigten. In den besten Szenen wirft "Thelma" die Frage auf, wem die Verantwortung zukommt, wenn diese Macht bei einem kleinen Menschen liegt, der
sich noch nicht völlig gewahr ist, diese weder kontrollieren noch
einschätzen kann und das lediglich die bösen Blicke, Schuldzuweisungen
und emotionale Kälte ihrer Eltern verinnerlicht? Kinder sind stets
unberechenbar. Die besten Absichten und Wünsche für
die Zukunft des Kindes sind weder einzig gültige Faktoren für
einen bestimmten Werdegang noch garantieren sie einen Erfolg.
Stattdessen muss man sich mit einer Realität abfinden, in der die
Kleinen eben nicht die perfekt konfektionierten Wunderlinge sind, wie
man sie gerne hätte, sondern mannigfaltig in ihrer Natur und Ausprägung; mit kleinen Fehlern behaftet und manchmal von größeren
geplagt. Ein Patentrezept für eine optimale Erziehung gibt es ebenso
wenig wie das perfekte Kind. In "Thelma" setzen die Eltern auf strenge Regeln
und eine religiöse Indoktrination. Einer Praxis, die seit
Jahrhunderten Bestand hat und noch heute auch entgegen der offenkundigen
Rückständigkeit in einer scheinbar aufgeklärten Welt als gängiges Mittel
eingesetzt wird, um die Heranwachsenden auf den angeblich rechten Pfad
zu führen. Im Klartext bedeutet das, dass die Persönlichkeit
unterdrückt wird, die eigenen Gefühle zum Teil als widernatürlich
stigmatisiert in Fesseln gelegt werden und die Verantwortung des eigenen
Sprösslings an Dogmen und apodiktischem Glauben abgegeben wird.
Besonders für Jungen und Mädchen, welche sich während der Pubertät
sowohl geistig als auch körperlich verändern, bedeutet dies
Selbstgeißelung und Isolation - gerade in westlichen Gesellschaften, in
denen der Fortschritt sich in der sukzessiven Abkehr von solchen
Systemen auszeichnet.
Triers Interesse gilt sichtlich mehr einer
sensiblen, nachvollziehbaren Heranführung an seine Hauptfigur und ihr
Umfeld als der Externalisierung ihres Empfindens. Trotz Subjektivierung
der Erzählung bewahrt der Film mit seiner kühlen Atmosphäre so eine
gewisse Distanz. Dazu passt, dass der innere Konflikt Thelmas einer der Unterdrückung
ist und zwischen ihrer Erziehung und ihren Trieben und Gefühlen
ausgetragen wird. Subtil erzählt der Film von einer für teuflisch
gehaltenen Weiblichkeit, die durch religiöse Gebote bezwungen werden
soll. Raben und Schlangen begleiten Thelmas telekinetische Fähigkeiten
und Visionen, was wohl nicht zufällig Assoziationen mit naturverbundenen
Hexenkräften hervorruft. Diese erwachen gleichzeitig mit der als
verboten empfundenen (Homo-)Sexualität und lassen sich auch durch die
Medizin nicht wegrationalisieren. Erst mit der Überwindung der
patriarchal-religiösen Familie, die, in ironischer Umkehrung, quasi auf
dem Scheiterhaufen stattfindet, was die symbolische Versöhnung mit und
Befreiung der Mutter einschließt, kann Thelma sich selbstbewusst ihrer
Kräfte bemächtigen und von Repression befreien.
7/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Koch Films
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