Ein CIA-Agent (John David Washington) wird nach einem Einsatz bei einem Terroranschlag auf die Kiewer Oper enttarnt und überwältigt. Selbst unter Folter weigert er sich jedoch, seine Kollegen zu verraten und nimmt sich selbst das Leben - oder glaubt das zumindest. In Wahrheit hat er so einen ultimativen Test bestanden und dadurch Zugang zu einer supergeheimen Organisation gewonnen, die versucht den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Die Mitarbeiter stoßen immer wieder auf Gegenstände aus der Zukunft, die sich rückwärts in der Zeit bewegen - die sogenannte Inversion. Offenbar handelt es sich dabei um eine Kriegserklärung aus der Zukunft, deren Mittelsmann der russische Waffenhändler Andrei Sator (Kenneth Branagh) ist. Gemeinsam mit seinem neuen Partner Neil (Robert Pattinson) versucht der Protagonist, Zugang zu Sator zu erhalten und den Krieg der Zeiten zu verhindern. Eine Möglichkeit scheint Sators Ehefrau Kat (Elizabeth Debicki) zu sein...
Christopher Nolan hat sich mittlerweile ein solch schwergewichtigen Namen zugelegt, dass die Erwartungen an seine Filme seit seinem zweiten Werk "Memento" in solch unermessliche Höhen gestiegen ist, dass man meinen könnte, eigentlich nur enttäuscht werden zu können. "Tenet" nun wurde bereits zum ersten Event-Film des Jahres, noch bevor die globale Pandemie ihn in ein schier unerreichbares Objekt verwandelte, dessen Reiz immer stärker wurde, je weiter sich seine Veröffentlichung nach hinten verschob. Das ist eine absurde Art, einen Film so zu betrachten, aber inmitten dieser stets geschäftsorientierten Praxis fragt man sich, ob Regisseur Christopher Nolan insgeheim wenigstens ein bisschen über die erhöhte Mystik um seinen Film amüsiert war. "Tenet" ist Nolans zehnter Film bei dem er gleichzeitig als Regisseur als auch Autor tätig war und sein elfter Film überhaupt. Dass Nolan keine Totalausfälle in seiner bisherigen Vita zu verzeichnen hat, spricht für ihn - sowohl als Autor, als auch als Regisseur. Und als Macher von Blockbustern, der dazu neigt, seine Werke im besten Fall in zeremonieller Geheimhaltung zu verbergen, hat er seinen elften Spielfilm in einer passenderweise chaotischen Zeit veröffentlicht. Doch zum Film. Nolans Filme haben in der Regel eine experimentelle Kante, die die Grenzen des Machbaren sprengt. "Tenet" ist ebenso in jeder Hinsicht groß - außer thematisch. Ideal präsentiert, gepaart mit Gesichtern einer zukünftigen Superstar-Generation, ansprechend über mehrere globale Schauplätze hinweg gedreht und mit einer elastischen, zeitverkrümmenden Vorstellungskraft spielend, ist der Film unbestreitbar unterhaltsam, aber seine schwindelerregende Grandiosität dient nur dazu, die Brüchigkeit seiner angeblichen Intelligenz zu kaschieren. Dies wäre kaum eine Kritik an einem anderen, ähnlich gelagertem Blockbuster. Aber Nolan ist mit seinen explodierenden Footballfeldern der führende Autor des Intellekts, der unterhaltsame, visuelle Genialität mit all den behäbigen Befriedigungen eines herausfordernden Puzzels kombiniert. Und im Rahmen seiner selbst-kreierten Marke erfüllt "Tenet" auch alle Erwartungen, außer derjenigen, dass er sie um ein vielfaches übertreffen wird.
Mit unvorhergesehener Ironie beginnt der Film in einem überfüllten Saal des Opernhauses in Kiew, das einem terroristischen Raubüberfall zum Opfer fällt, der wiederum von einem namenlosen CIA-Agenten (John David Washington), der auch schlicht "Protagonist" genannt wird, infiltriert wurde, als eine merkwürdige Sache passiert. Eine Kugel, die von einem unbekannten Verbündeten abgefeuert wird, fliegt aus einem Sockel zurück, wobei der Beton um das Einschussloch herum "zurück"-zersplittert. Kaum vorstellbar, was er (und der Zuschauer) da gesehen hat, kann der Agent diese seltsame Verhalten hinterfragen, denn schon in der nächsten Sekunde muss er Hunderte von Zivilisten vor dem sicheren Tod retten. Der Zuschauer befindet sich nur wenige Minuten in dem knapp 150 Minuten langem Film, und Nolan hat bereits geliefert: Die Sequenz endet mit Innen- und Außenaufnahmen einer Explosion, die die Cutterin Jennifer Lame mit einem so perfekten Action-Cut umsetzt, wie es ihn zuvor nur selten gegeben hat. Und genau an dieser Stelle zu Beginn des Films wird der Zuschauer an etwas erinnert, was die letzten Monate in Vergessenheit geraten ist: den beeindruckenden filmischen Maßstab eines Kinos, der dem hungrigen Zuschauer genau das serviert, was er sich nach dieser langen Durststrecke auch verdient hat und dieser scheinbare Prolog ist auch voller Hinweise und Andeutungen für spätere Referenzen, wie es sich für einen Film gehört, in dem Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft nicht immer sauber aufeinander folgen, sondern manchmal so schnell durchschnitten werden wie drei Fahrspuren auf einer viel befahrenen Autobahn. "Tenet" operiert auf einer ordentlichen physiologischen Ebene, teils fühlt man sich wie in einem "James Bond"-Film, teils wie in "Inception" - letzterer nur in anders. Zum Film passt Ludwig Göranssons mitreißende, perkussive Partitur, die oft tief basslastig und stakkatokartig in die Magengrube hämmert und in Hoyte van Hoytemas Cinematographie, die die gleiche Großartigkeit liefert, ob man nun ein narrativ halb-überflüssiges Katamaranrennen beobachtet oder eine überbordernde Actionsequenz, findet man den einen oder anderen optischen Leckerbissen.
Wie in vielen von Nolans Filmen wurzelt der Hintergrundgedanke nicht mehr in der Physik als in der Philosophie oder Psychologie, wobei der Anker des Films - dass man die Welt an sich nicht verändern kann, indem man durch die Zeit reist, sondern indem man sie umkehrt - im Hinblick darauf erforscht wird, wie sie praktisch funktioniert und nicht, wie sich jemand dabei fühlt. "Tenet" ist am besten, wenn er sich in die phantasievollsten, tobenden Actionsequenzen verwandelt, die man je gesehen hat, komplett mit schwindelerregendem globalen Location-Hopping, Verfolgungsjagden und perfekt gesetzten Schnitten, die den Zuschauer ein ums andere Mal vor Staunen aus dem Sessel holen. Dass sich der Film - so kunstvoll präsentiert er auch sein mag - als geradliniger erweist die wildesten Spekulationen über ihn, ist etwas entwaffnend. Wie "Inception", der die wesentliche Sprache des Heist-Movies als Organisationsstruktur für Nolans eigentümliche Fixierungen auf Chronologie und Bewusstsein verwendete, trickst "Tenet" den Spionage-Thriller mit erweiterten Science-Fiction-Parametern aus, um zu Nolans Lieblingsthema (Zeit und Manipulation derselben) zurückzukehren. Rewind.
Nach der Operation in Kiew findet sich Washingtons stoisch imposanter Charakter jedenfalls in einer schattenhaften, weniger identifizierbaren internationalen Spionageorganisation wieder. Verbündet mit Neil (Robert Pattinson), über den der Zuschauer nur wenig erfährt, begibt er sich auf eine Mission, die auf verschiedene Weise als Verhinderung des Dritten nuklearen Weltkriegs und Rettung der Welt insgesamt beschrieben wird - Ziele, die im Allgemeinen so hoch gesteckt sind, dass man sich fragt, ob Nolan uns und seinen verwirrten Protagonisten auf den Arm nimmt. Doch die Suche führt uns auf einer Spur kunstvoll gepflanzter MacGuffins von Indien nach Estland, von der Bucht von Neapel zu verborgenen Städten Russlands. (In diesen spielt das Produktionsdesign von Nathan Crowley den Retro-Futurismus ihrer brutalistischen Architektur geistreich aus, um später die eigenen überlagerten Zeitlinien des Films zu reflektieren). Ein finsteres Netz internationaler Waffenhändler taucht auf, wobei eine von ihnen, Priya (Dimple Kapadia), hauptsächlich dazu dient, den Protagonisten durch die Korridore von Nolans Erzählung zu locken. Aber das ultimative Ziel ist Sator (Kenneth Branagh), ein bodenlos böser Oligarch, der die Welt nach seinem Tod ebenso ins Jenseits befördern will - oft im Zorn gegenüber seiner entfremdeten, aber gefangenen Frau Kat (Elizabeth Debicki), einer spröden Kunstauktionatorin, für die das Drehbuch seinem Protagonisten ein Minimum an Gefühlen zugesteht.
So geschrieben klingt der Storyaufbau wie das Standardwerk eines Ian Fleming. Der Trick liegt natürlich in dem nebulösen Konzept der Zeitumkehrung, das auf der Leinwand besser zu sehen ist als man es hier erklären kann - obwohl Nolan, wie er es als Drehbuchautor gewohnt ist, auch nicht an leicht fadenscheinigen, filmreifen Erklärungen spart. Wie "Inception" ist "Tenet" es ein Film, in dem gut informierte Charaktere oft die scheinbar richtigen Fragen stellen ("Wissen Sie, was ein Freeport ist?", "Kennen Sie das Manhattan-Projekt?"), auf die sie sofort eine ausführliche Antwort erhalten. So wortreich Nolan seine Ideen auch auswählt, die Aufregung liegt vor allem in der filmischen Illustration: Die grandiosen Bilder des Films, in denen Kugeln rückwärts durch die Luft rasen (die Trümmer eines kommenden Krieges, wie man dem Zuschauer mitteilt), sind auffälliger als die saubere Theorie hinter ihrer Flugbahn. "Versuchen Sie nicht, es zu verstehen, sondern fühlen Sie es", rät eine kryptische Wissenschaftlerin (Clémence Poésy) dem Protagonisten schon früh im Film, und ob Nolan es beabsichtigt oder nicht, das fühlt sich auch für den Zuschauer wie ein solider Rat an. Die "Lehre" ist an sich nicht so schwer zu verstehen: Er ist mehr verworren als komplex, breiter als tief, und seine Form ist linearer, als man vermuten würde, obwohl er einige elegant ausgeführte Strukturfiguren bietet - kleine Stolpersteine entlang des Weges.
All das bedeutet, dass sich das genaue Nachzeichnen der Handlung von "Tenet" wie Arbeit auf Kosten des Filmvergnügens anfühlt. Diese reichen von seinen beeindruckenden, treibenden Kampfsequenzen bis zur hypnotisierenden, beinahe schon archaischen Schönheit seiner Darsteller, allesamt gekleidet in makellose, knitterfreie Anzüge. Die schiere Akribie von Nolans großformatiger Action-Ästhetik auf der Leinwand ist unglaublich fesselnd, als wolle sie die verirrten losen Fäden und neckenden Paradoxien seines Drehbuchs ausgleichen - oder vielleicht einfach nur unterstreichen, dass sie nicht so wichtig sind. Die absolute Killerszene ist wiederum ein Korridor-Kampf, obwohl es viele solcher Schlüsselszenen gibt, die man hier beschreiben könnte. "Tenet" ist eine schwindelerregende, teure, aufregende Unterhaltung sowohl der alten als auch der neuen Schule. Doch in "Tenet" ist allein der Einfallsreichtum seiner Macher beeindruckend. Ähnlich wie in "Inception", der eine ganze Traumweltmythologie schuf, stellt die Zeitumkehrung in "Tenet" eine bahnbrechende Innovation dar, was sich am besten in Szenen äussert, wenn die Zeit gleichzeitig vor- und rückwärts zu laufen scheint.
"Tenet" blendet die Sinne, aber ruft beim Zuschauer keine besonderen mitfühlenden Gedanken auf. - eine Kritik, die alle Filme Nolans gemein haben. Washington ist im Grunde genommen ein James Bond-Ersatz, vorwärts und rückwärts, bis hin zum gelegentlich schrägen One-Liner. Nolan stellt sich aber erneut selbst ein Bein: Er stellt sich unmögliche Technologien vor, will aber ihre tieferen Implikationen nicht erforschen. Das ist leicht frustrierend, weil Nolan in Branaghs Sator - der facettenreichsten Figur des Films, auch wenn all seine Facetten bösartig sind - so nahe kommt. Sators Motivation, die Zukunft mit der Vergangenheit in den Krieg zu führen, hat erschreckende Auswirkungen, und vielleicht ist es der Nihilismus dieser Pandemie-Ära, der Zeit nach dem Fingerschnippen eines Thanos, aber er weckt den unbefriedigten Wunsch, dem schlimmsten Fall zuzusehen, wie sich das Szenario entfaltet. Stattdessen zieht sich Nolan im Augenblick des größten potenziellen Chaos in die relative Sicherheit der Spionagefilmkonvention zurück. Nimmt man "Tenet" nämlich das zeitraubenden Gimmick weg, so ist der Film eine Reihe von schüchternen, allgemeinen Versatzstücken: Raubüberfälle, Verfolgungsjagden, Bombenentschärfungen, weitere Raubüberfälle. Aber - verdammt - Nolan sprengt gut Dinge in die Luft. Vielleicht kann "Tenet" sogar einen nostalgischen Blick darauf werfen, wer der Zuschauer noch vor Monaten auf der anderen Seite des eigenen seltsamen Zeitexperiments waren. So scheint "Tenet", die Art von enorm teurem, glückselig-leeren Spektakel zu sein, das man sich in naher bis mittlerer Zukunft nur schwer vorstellen kann. Jetzt ein faszinierendes Artefakt einer liebenswert ahnungslosen Zivilisation zu sein, die sich der Katastrophe, die um die Ecke lauert, nicht bewusst ist. Grandios.
9/10
Von WARNER BROS. Home Entertainment kommt der Film auch als "Limiterte 3-Disc Steelbook-Edition" in 4K Ultra-HD im Steelbook.
Quellen:
Inhaltsangabe: Warner Bros.
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