Mittwoch, 5. August 2020

Fish Tank (2009)

https://www.imdb.com/title/tt1232776/

Mia (Katie Jarvis) ist in der Pubertät und der Tristesse ihres Wohnorts gefangen und gleichzeitig allen Blicken ausgesetzt. Überall eckt sie an, was darin eskaliert, dass sie von der Schule fliegt. Wie viele Heranwachsende hat sie das Gefühl, dass sie keiner versteht und niemand verstehen will. Lediglich der neue Freund ihrer Mutter, Conor (Michael Fassbender), gibt sich Mühe, ihren Bedürfnissen zuzuhören. Außerdem nimmt er ihre Tanzleidenschaft ernst, ihre einzige Möglichkeit, ihrem Leben für kurze Zeit zu entfliehen. Dennoch muss Mia die ein oder andere Enttäuschung hinnehmen beim Prozess, sich abzunabeln und erwachsen zu werden.

Andrea Arnolds zweiter Film in Spielfilmlänge "Fish Tank" ist kein klassisches Sozialdrama, bei dem der Blick auf diverse Gewaltspiralen der "unteren Klasse" gelenkt wird, sondern ein einfühlsamer Blick auf seine Protagonistin, deren Inneres mehr beherbergt als es den äusseren Schein hat und so jedes vorverurteilende Denken ins Wanken bringen. "Fish Tank" dreht sich um die Teenagerin Mia. Ganz beiläufig und fast schon als normal werden ihre Probleme in der Schule und ihrer ehemaligen Freundinen angedeutet. Und auch sonst treten die sozialen Probleme ihrer dem Unterschichtenmilieu zuzuordnenden Familie, welche sowieso nur noch aus Mutter, ihrem neuen Freund und kleinerer Schwester besteht, nur hintergründig auf. Die Schwierigkeiten, mit denen die Familie zu kämpfen hat, werden ganz natürlich eingestreut, aber nicht theatralisiert. Der Fokus liegt auf Mia. Ihre Gedanken, ihre Träume, ihr Begehren und ihr Leiden sind das, was die Essenz des Filmes ausmachen. Und diese entstehen nicht, wie man es erwarten würde, aufgrund der Umstände, in denen sie aufwächst, sondern durch ihre Ausbrüche, ihre Emotionalität, mit Themen umzugehen und dem zwang sich ausdrücken zu wollen. Eben dem, was eine Teenagerin ausmacht.


"Fish Tank" ist also nicht unbedingt nur ein Sozialdrama. "Fish Tank" könnte man vielmehr als Coming-of-Age Film deklarieren. Die besten Momente des Films, die Mias Traurigkeit, Freude oder Wut fokussieren, beruhen auf existenziellen Erfahrungen, deren Sujet zwar der soziale Brennpunkt ist, welcher aber nicht notwendig für die Aussage des Films steht. Das Waten durchs Wasser, die emotionale Verbundenheit mit einem angeleinten Pferd, das Gefühl einer simplen Berührung, die Kränkung desillusionierender Realitätserfahrungen oder das Sich-verlieren im Rhythmus der Musik.

Das alles sind grundständige Erfahrungen. Natürlich heizt der Film diese Erlebnisse durch einen naturalisierenden Blick auf eine bodenständiger lebende Familie auf und setzt sie gegen Ende in einen Kontrast zur Mittelschicht im Einfamilienhaus. Letzteres übernimmt dann die Rolle des Scheinhaften und Heuchlerischen, was in der Figur Connor seine Personifikation findet. Auch Mias Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg wird erst durch die Übergabe der Kamera durch Connor (Michael Fassbender) möglich. Diese Hoffnung entpuppt sich jedoch genauso als Schein, wie es die Hoffnung der jugendlichen Liebe tut. Beinahe schon droht der Film in einen markerschütternden Thriller abzuknicken, doch fängt sich in einer Geste der Versöhnung. Auch verliert sich der Film nie in einer verklärenden und etwas romantisierenden Sichtweise einer vermeintlich ursprünglicheren Art zu leben, sondern führt die Handlungen immer auf seine rebellische Protagonistin zurück, deren Träume ungehört und ungesehenen von einer ernüchternden Realität erschlagen werden.

So lebt Arnolds "Fish Tank" in erster Linie von seinen großartigen Schauspielern, deren karge Ausdrucksweise nur erahnen lässt, was wirklich hinter ihnen steckt. Die Kamera versteht es, einfühlsam und unaufdringlich Stück für Stück Seele freizulegen. So ist auch der Schnitt nie exzessiv oder gar überhastet und auch die Bilder sind trist, aber einprägsam. Sie spiegeln das Leiden und die Hoffnung gleichermaßen wider und werden stets durch die alles erdrückende harte Realität im Keim erstickt. Das macht den Film interessant und zu einem Werk, über das man lange nachdenken kann. Wie über Mia.

8,5/10

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