Dienstag, 4. August 2020

Bungalow (2002)

https://www.imdb.com/title/tt0309404/

Auf dem Rückweg vom Manöver zur Kaserne bleibt der Rekrut Paul unbemerkt an einer Raststätte zurück. Die Kompanie fährt ab und Paul nach Hause, in den Bungalow seiner abwesenden Eltern. In der kleinen Provinzstadt irgendwo in Oberhessen ist es gerade Hochsommer. Während die Bundeswehr ihn sucht, geht der 19-jährige Paul seinem unerwartet auftauchenden Bruder gehörig auf die Nerven, verliebt sich in dessen Freundin und schwebt manchmal mit dem Skateboard um die nächste Kurve. Eigentlich passiert nichts, fast nichts...

Ein schwül-warmer Sommertag. Eine Raststätte. Und der kurze, spontane Impuls, nicht wieder ein in den oliv­grünen Bundes­wehr­-Mannschaftstransporter zu steigen. Mehr ist es nicht, und Pauls Leben hat sich geändert. Paul bleibt einfach in der Hitze sitzen und sieht zu, wie die anderen davon­fahren ohne sein Verschwinden zu bemerken. Man versteht ihn gut - auch ohne genau zu ahnen, warum. Doch von nun an ist er "fahnen­flüchtig". Was das heißt, weiß er nicht wirklich, er denkt einfach an nichts, eigent­lich auch nicht an Zuhause, wohin er jetzt fahren wird, in den Bungalow seiner Eltern, eigent­lich auch nicht an seine Ex-Freundin Kerstin, die er dort wieder­sehen wird. Es herrscht eine eigen­tüm­liche Atmo­s­phäre in Ulrich Köhlers Film Bungalow, und man weiß gar nicht so genau, warum einen das derart in den Bann zieht. Lakonisch sind Bilder und Dialoge, extrem langsam die Kame­ra­fahrten, schon zu Beginn, wenn es ewig zu dauern scheint, bis sich die mit Soldaten beladenen Laster um die Kurven zur Rast­stätte schieben. Dies ist eine einzige minu­ten­lange Einstel­lung bis zu dem Moment, an dem Paul nicht wieder einsteigt - intensiv und von allem Über­flüs­sigen befreit.

So geht es dann auch im titelgebenden Bungalow und dem umgebenden Grundstück weiter, das der Film im folgenden nur spora­disch verlässt. Äußerlich passiert da nicht viel. Es dauert zwar nicht lang, bis Pauls Bruder mit seiner Freundin Lene aufkreuzt. Die Geschichte bewegt sich nur langsam voran, und was da eigent­lich genau passiert, ein Super­markt­be­such, Strei­te­reien mit dem Bruder, eine Begegnung mit dem ehema­ligen Lehrer, die Besuche Kerstins, hilflose Annäh­rungs­ver­suche Pauls gegenüber Lene, und um all das herum ein Alltag, der so lähmend und drückend ist, wie die Sommer­hitze - das ist vermut­lich alles für sich genommen gar nicht so wichtig. Nur als Ganzes verstärkt es die Ratlosigkeit der Haupt­figur. Ein lakonisches "Zu Befehl" in den Hörer des Telefons gesprochen und mit "Arschloch" aufgelegt, spiegelt dabei die Situation perfekt wider. Ein junger Mann, irgendwo zwischen pedantischer Ordnung und zielloser Trivialität. Köhler richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf die kleinen Interaktionen zwischen Figuren, für Blicke, und die stillen Ketten­re­ak­tionen, die sie auslösen. Es ist dabei nicht unbedingt ein besonders "jugend­li­ches" Lebens­ge­fühl, das der Regisseur zeigt. Paul fehlt etwas und es zeigt sich bald, dass er mit einem stärkeren Gegner ringt: Dem Leben, und das heißt in seinem Fall: Dem Nichts. Und weil er in diesem Kampf schon immer kapi­tu­liert hat. Exis­ten­tia­lismus in der Provinz. Indem Paul ziellos herumhängt, sein wunsch­loses Unglück zu akzep­tieren scheint, bleibt er noch am ehesten wider­s­tändig. Das alles zeigt der Regisseur stilis­tisch nüchtern, beein­dru­ckend klar und konse­quent, wohl auch mit einem Stil, der einfach, fast doku­men­ta­risch, ist, dabei aber voller Spannung.

Köhler hat mit "Bungalow" einen Film über die Bundes­re­pu­blik jenseits aller Umschwünge von '89 gedreht, einen Film, der in seiner Belanglosgkeit den Voyeurismus im Zuschauer weckt. Etwa so, wie wenn der Nachbar durch den Gartenzaun schielt. Nicht alles glückt in "Bungalow", wenn der Filmemacher zum Beisiel allzu bedeu­tungs­voll ein städ­ti­sches Schwimmbad explo­dieren lässt, ohne aber jemals mehr darüber zu erzählen. Hier versucht der Film aus diffusem Material Kapital zu schlagen und scheitert. Aber dafür ist es schließ­lich ein Debüt. "Bungalow" ist das Portrait eines jungen Mannes, dem alles gleichgültig zu sein scheint. Und vielleicht ist es genau das, was Paul dem Zuschauer so erschreckend nahe bringt.

8,5/10

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