https://www.imdb.com/title/tt0309404/
Auf dem Rückweg vom Manöver zur Kaserne bleibt der Rekrut Paul unbemerkt
an einer Raststätte zurück. Die Kompanie fährt ab und Paul nach Hause,
in den Bungalow seiner abwesenden Eltern. In der kleinen Provinzstadt
irgendwo in Oberhessen ist es gerade Hochsommer. Während die Bundeswehr
ihn sucht, geht der 19-jährige Paul seinem unerwartet auftauchenden
Bruder gehörig auf die Nerven, verliebt sich in dessen Freundin und
schwebt manchmal mit dem Skateboard um die nächste Kurve. Eigentlich
passiert nichts, fast nichts...
Ein schwül-warmer Sommertag. Eine Raststätte. Und der kurze, spontane Impuls, nicht wieder ein in den olivgrünen Bundeswehr-Mannschaftstransporter zu steigen. Mehr ist es nicht, und Pauls Leben hat sich geändert. Paul bleibt einfach in der Hitze sitzen und sieht zu, wie die anderen davonfahren ohne sein Verschwinden zu bemerken. Man versteht ihn gut - auch ohne genau zu ahnen, warum. Doch von nun an ist er "fahnenflüchtig". Was das heißt, weiß er nicht wirklich, er denkt einfach an nichts, eigentlich auch nicht an Zuhause, wohin er jetzt fahren wird, in den Bungalow seiner Eltern, eigentlich auch nicht an seine Ex-Freundin Kerstin, die er dort wiedersehen wird. Es herrscht eine eigentümliche Atmosphäre in Ulrich Köhlers Film Bungalow, und man weiß gar nicht so genau, warum einen das derart in den Bann zieht. Lakonisch sind Bilder und Dialoge, extrem langsam die Kamerafahrten, schon zu Beginn, wenn es ewig zu dauern scheint, bis sich die mit Soldaten beladenen Laster um die Kurven zur Raststätte schieben. Dies ist eine einzige minutenlange Einstellung bis zu dem Moment, an dem Paul nicht wieder einsteigt - intensiv und von allem Überflüssigen befreit.
So geht es dann auch im titelgebenden Bungalow und dem umgebenden Grundstück weiter, das der Film im folgenden nur sporadisch verlässt. Äußerlich passiert da nicht viel. Es dauert zwar nicht lang, bis Pauls Bruder mit seiner Freundin Lene aufkreuzt. Die Geschichte bewegt sich nur langsam voran, und was da eigentlich genau passiert, ein Supermarktbesuch, Streitereien mit dem Bruder, eine Begegnung mit dem ehemaligen Lehrer, die Besuche Kerstins, hilflose Annährungsversuche Pauls gegenüber Lene, und um all das herum ein Alltag, der so lähmend und drückend ist, wie die Sommerhitze - das ist vermutlich alles für sich genommen gar nicht so wichtig. Nur als Ganzes verstärkt es die Ratlosigkeit der Hauptfigur. Ein lakonisches "Zu Befehl" in den Hörer des Telefons gesprochen und mit "Arschloch" aufgelegt, spiegelt dabei die Situation perfekt wider. Ein junger Mann, irgendwo zwischen pedantischer Ordnung und zielloser Trivialität. Köhler richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf die kleinen Interaktionen zwischen Figuren, für Blicke, und die stillen Kettenreaktionen, die sie auslösen. Es ist dabei nicht unbedingt ein besonders "jugendliches" Lebensgefühl, das der Regisseur zeigt. Paul fehlt etwas und es zeigt sich bald, dass er mit einem stärkeren Gegner ringt: Dem Leben, und das heißt in seinem Fall: Dem Nichts. Und weil er in diesem Kampf schon immer kapituliert hat. Existentialismus in der Provinz. Indem Paul ziellos herumhängt, sein wunschloses Unglück zu akzeptieren scheint, bleibt er noch am ehesten widerständig. Das alles zeigt der Regisseur stilistisch nüchtern, beeindruckend klar und konsequent, wohl auch mit einem Stil, der einfach, fast dokumentarisch, ist, dabei aber voller Spannung.
Köhler hat mit "Bungalow" einen Film über die Bundesrepublik jenseits aller Umschwünge von '89 gedreht, einen Film, der in seiner Belanglosgkeit den Voyeurismus im Zuschauer weckt. Etwa so, wie wenn der Nachbar durch den Gartenzaun schielt. Nicht alles glückt in "Bungalow", wenn der Filmemacher zum Beisiel allzu bedeutungsvoll ein städtisches Schwimmbad explodieren lässt, ohne aber jemals mehr darüber zu erzählen. Hier versucht der Film aus diffusem Material Kapital zu schlagen und scheitert. Aber dafür ist es schließlich ein Debüt. "Bungalow" ist das Portrait eines jungen Mannes, dem alles gleichgültig zu sein scheint. Und vielleicht ist es genau das, was Paul dem Zuschauer so erschreckend nahe bringt.
8,5/10
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