Freitag, 17. Dezember 2021

[KINO] Spider-Man: No Way Home (2021)

https://www.imdb.com/title/tt10872600/

Ein normales Leben ist für Peter Parker alias Spider-Man (Tom Holland) nicht mehr möglich. Nachdem seine Identität bekannt wurde, kann Peter kaum noch unerkannt durch die Straßen New Yorks gehen. Überall lauern, Fans, Gegner und die Presse, die es auf ihn abgesehen haben. Quentin Beck alias Mysterio (Jake Gyllenhaal), der Drahtzieher hinter den vergangenen Ereignissen, hat gemeinsam mit dem Reporter J. Jonah Jameson (J.K. Simmons) dafür gesorgt, dass jeder weiß, dass Peter Parker unter der Spider-Man-Maske steckt. Um wieder ein Stück Normalität in sein Leben zu holen, bittet Peter Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) um einen großen Gefallen: Er soll die Vergangenheit ungeschehen machen.

Es steht außer Frage, dass das Eintauchen in die Psyche von Superhelden einige düstere Erkenntnisse hervorbringen kann, aber die Erkundung des Zustands der Seele des jungen Spider-Man (Tom Holland) im Marvel Cinematic Universe (MCU) hat dem sich ständig erweiternden Franchise immer wieder eine neue Dimension hinzugefügt. Spidey war schon immer ein emotionaler Kerl - biografische Anspielungen wie "er ist noch ein Teenager, als ihn die Spinne beißt" und "er ist Waise" helfen ihm dabei - aber Hollands sympathisches Superhelden-Alter-Ego mit den großen Augen hat eine Reihe von Filmen damit verbracht, wilde Action in einem menschlichen Rahmen zu erden. Spider-Man ist einer der wenigen Superhelden, der verstanden hat, dass ein Superheld zu sein nicht nur schwer ist, sondern auch jede Menge Spaß macht, und nur wenige MCU-Helden waren in der Lage, diese Balance inmitten von weltzerstörenden Actionsequenzen so gekonnt zu halten. Nicht so bei diesem Peter Parker. Holland mauserte sich zum glaubwürdigsten Spidey in den zahlreichen Verflmungen - was nicht heißen soll, dass Tobey Maguire und Andrew Garfield nicht auch ihre eigenen Markenzeichen in ihre jeweiligen "Spider-Man"-Franchises eingebracht haben - doch Hollands Darstellung des Wandkrabblers hat sich immer wie die menschlichste, die realste, die "Heiliger Strohsack, ich bin ein Superheld!"-Version dieser geliebten Figur angefühlt. Das bedeutet auch, dass man diesen Peter Parker schon in einigen ziemlich schwierigen Situationen gesehen hat - seine beinahe väterliche Bindung zu Tony Stark / Iron Man von Robert Downey Jr. gehört zu den schönsten Dingen, die im MCU auftauchen, und ihr Ende war natürlich tränenreich - was unweigerlich auch bedeutete, dass Spidey eine große emotionale Last tragen würde.

Doch das ist nicht der Punkt, an dem Jon Watts äuserst befriedigender, selbstverständlich emotionaler, witziger aber gelegentlich unsicherer "Spider-Man: No Way Home" beginnt. Der dritte Film der Franchise knüpft direkt an den 2019 erschienenen "Spider-Man: Far From Home" an und zeigt Holland als zufriedenen Peter Parker: verliebt in "seine" MJ (Zendaya). "Spider-Man: Far From Home" endete vielleicht mit dem Tod von Mysterio (Jake Gyllenhaal, der in einer Rückblende auftaucht) und zwang Peter dazu, sich wirklich mit seinem Platz in der Welt auseinanderzusetzen, aber er endete auch damit, dass Peter und MJ zusammen und vollkommen ehrlich zueinander waren. Was kann schon schiefgehen, wenn das Mädchen, das er liebt, weiß, wer er ist? Wie wäre es, wenn die ganze Welt wüsste, wer er ist? Wie in der Cliffhanger-/Mid-Credits-Sequenz von "Spider-Man: Far From Home" gezeigt, wird Peters Alter Ego der ganzen Welt enthüllt - und es war geradezu herrlich, den heimlichen Star des Tobey Maguire-Franchise J.K. Simmons wieder zu sehen, der hier erneut den großmäuligen Journalisten J. Jonah Jameson spielt, dessen Figur neues Leben einhaucht und dabei Spideys gesamte Existenz auf den Kopf stellt - und der (leider) viele Parallelen zur realen Welt aufweist, indem er wild entschlossen ist, die Welt glauben zu lassen, Spidey sei der Bösewicht. Und doch schaffts es Watts irgendwie, diese Enthüllung leicht wirken zu lassen, denn Peter, MJ, Ned (Jacob Batalon), Tante May (Marisa Tomei) und Happy Hogan (Jon Favreau) tun sich bald zusammen, damit sich Peters Leben, nun ja, einigermaßen normal anfühlt. Schon viel zu lange hängt das Schicksal des gesamten Universums in Marvels Filmen in der Schwebe, und obwohl "Spider-Man: No Way Home" so weit geht, dass er Multiversen und die Möglichkeit einbezieht, dass das die dem Zuschauer bekannte Realität für immer aufbrechen wird, hat dieser Film immer noch etwas charmant Kleines. Er ist persönlich, und das ist ein Thema und eine Idee, die nur noch mehr unterstrichen wird, wenn der Film durch den ersten Akt rast, im zweiten langsamer wird und in den atemberaubenden letzten vierzig Minuten die ganze Sache komplett auf den Punkt bringt.

Doch davon ab ist "Spider-Man: No Way Home" vor allem eine Hommage an die letzten 20 Jahre Spider-Man, was auch bedeutet, dass man jede Menge zu tun hat. Und allein die Tatsache, dass der Film es schafft, diesen Balanceakt, die Verbindung von drei Franchises mit drei untershciedlichen Spider-Man tatsächlich zu bringen - da geht einem das Herz auf. Es war lange ein Gerücht, doch, ja, es ist so: Tobey Maguire und Andrew Garfield sind in diesem vorerst finalen Spider-Man-Teil am Start und bringen "ihre" Spider-Man wieder. So, jetzt ist die große Bombe gefallen. Während also Parkers Identität ihn zum Feind derjenigen macht, die glauben, dass er Mysterio ermordete, ist Tante May (Marisa Tomei) gezwungen, umzuziehen, nachdem ihre Wohnung von Reportern und Demonstranten belagert wird. Sein bester Freund Ned (Jacob Batalon) und seine Freundin MJ (Zendaya) werden von jedem College, bei dem sie sich bewerben, abgelehnt, nur weil sie mit Peter in Verbindung gebracht werden. Um seine Liebsten zu schützen, wendet sich Peter an seinen Kollegen Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) und bittet ihn, das Problem durch einen Zauber zu beheben. Und natürlich geht dieser komplizierte Zauber nicht zuletzt aufgrund von Peters plapperhafter Art gehörig schief. Der Zauber öffnet das Multiversum und lässt Bösewichte aus den bisherigen fünf Spider-Man-Filmen von Sony aus fast zwei Jahrzehnten auftauchen: Green Goblin (Willem Dafoe, der seine Rolle aus "Spider-Man" wieder aufnimmt), Doc Ock (Alfred Molina, "Spider-Man 2"), Sandman (Thomas Hayden Church, "Spider-Man 3"), Lizard (Rhys Ifan, "The Amazing Spider-Man") und Electro (Jamie Foxx, "The Amazing Spider-Man 2"). Jeder der Bösewichte wurde durch den Zauber kurz vor seinem Höhepunkt entführt und erhält eine neue Chance, sich an (einem anderen) Spider-Man zu rächen, der ihn finden und wieder zurückschicken muss, woher er gekommen ist. "Spider-Man: No Way Home" schwelgt darin, diese Charaktere zurückzubringen. Jeder Bösewicht bekommt seinen eigenen Moment (manche kürzer als andere), und langjährige "Spider-Man"-Fans werden sicher begeistert sein, wenn sie sehen, wie Doc Ock sich seinen Weg durch einen Highway voller Autos bahnt, wie sich ein teuflisch grinsender Grüner Kobold von Szene zu Szene gackert oder wie Jamie Foxx' Electro Blitze verschießt. Dafoe ist eindeutig der Scene-Stealer, der zwischen seiner wilden und seiner freundlichen Persönlichkeit hin- und herspringt, ohne dass es den Anschein hat, dass er in 20 Jahren etwas von seiner Rolle vergessen hätte, während Molinas gequälter Wissenschaftler darum kämpft, seine außer Kontrolle geratene Schöpfung zu kontrollieren. Die Kernbesetzung der Watts-Trilogie ist ebenfalls wieder dabei. Hollands Darstellung von Peter Parker ist seine bisher beste: Er ist immer noch frisch und schlägt sich durch die Kämpfe, während er mit der zunehmenden Last zu kämpfen hat, Spider-Man sein zu müssen. MJ und Ned sind mehr von der Action abgekoppelt, obwohl Tante May in einigen der ruhigeren Momente des Films das Rampenlicht bekommt, und das mit großer Wirkung. Es ist eine Menge los. Und das ist alles sehr unterhaltsam, aber es erinnert an das gleiche Problem, das alle Filme von Holland hatten: Das Sammelsurium an Bösewichten sind wieder einmal die Feinde anderer Charaktere, mit denen Peter nur zufällig zu tun hat, so wie er in "Spider-Man: Homecoming" und "Spider-Man: Far From Home" den Schlamassel von Tony Stark aufräumen musste.

Peters Spiegeldimensionsduell mit Doctor Strange, das wie in "Doctor Strange" in weiten Teilen an "Inception" erinnert, hat fast mehr Gewicht als einige der Bösewichtkämpfe - zumindest kennt dieser Peter dort den Namen seines Gegners. Tatsächlich beruhen fast alle großen emotionalen Ereignisse des Films auf dem Wissen des Zuschauers über die vorangegangenen fünf "Spider-Man"-Filme. Sie versuchen, die Geschichte der einzelnen Bösewichte abzuschließen und gleichzeitig einen Schlussstrich unter die Tom-Holland-Trilogie zu ziehen, die mit diesem Teil zwar in sich abgeschlossen sein soll, doch auch das Tor für eine Fortsetzung öffnet. Doch wenn "Spider-Man: No Way Home" erst einmal in Fahrt gekommen ist, fällt es schwer, sich für all das zu interessieren. Charaktere und Cameos tauchen in Szenen auf, die als Crowd-Pleaser so einnehmend konzipiert sind, dass die Fans jubeln werden. Es gibt große Enthüllungen, Sprüche werden pflichtbewusst rezitiert, und die letzte Stunde ist im Grunde die reine Abrechnung für zwei Jahrzehnte "Spider-Man"-Filme, die trotz einiger düsterer Ausschläge auf halbem Weg mit überraschend viel Humor und Herz gehandhabt wird. 

Egal, ob man ein Fan der Sam-Raimi-Filme, der Marc-Webb-Filme oder der Jon-Watts-Filme ist, "Spider-Man: No Way Home" tut sein Bestes, um zu gefallen. (Obwohl man natürlich am meisten davon hat, wenn man alle sieben vorangegangenen Spider-Man-Filme gesehen hat). Für Fans ist das alles sehr befriedigend, auch wenn es sich manchmal so anfühlt, als ginge es in dem Film ebenso sehr um die konkurrierenden Studiointeressen von Sony und Disney wie um Spidey selbst. Und wie es bei MARVEL fast schon Tradition ist, lässt auch "Spider-Man: No Way Home" seine Figuren nicht ruhen, sondern drückt den Reset-Knopf und sät die Saat für künftige Fortsetzungen, wobei die mittlerweile traditionellen Szenen nach dem Abspann weitere Abenteuer für Spider-Man und Doctor Strange vorbereiten. Dennoch soll Hollands Verkörperung des Charakters noch ein paar weitere Filme erleben, und das Ende von "Spider-Man: No Way Home" deutet darauf hin, dass Peter einige der im MCU angehäuften Altlasten zugunsten eines freundlicheren, nachbarschaftlicheren Spider-Man ablegen wird.

Doch dieser Film hier tut erst einmal das, was die besten Filme immer tun: Sie fesseln und bewegen den Zuschauer und bringen einen dazu, in einem (und das ist angesichts der aktuellen Situation kaum denkbar) überfüllten Kino zu jubeln. Angesichts der Pandemie ist dieser Film nicht nur ein Weihnachtsgeschenk für die Kinobesucher, sondern auch für die Kinobetreiber, denn wenn es jemals einen Film gegeben hat, der das Kinogeschäft retten kann - so wie Spidey immer den Tag rettet - dann ist es dieses großartig gestaltete Endspiel. Jon Watts, das Wunderkind unter den Regisseuren hat wieder einmal seine eigene Magie in die Reihe eingebracht und mit Hilfe der Drehbuchautoren Chris McKenna und Erik Summers nicht nur den bisher besten Film der "Spider-Man"-Reihe, sondern auch einen der besten Filme des Jahres geschaffen. Holland, Zendaya und Batalon sind ein unbezahlbares Trio, und die verschiedenen Figuren aus 20 jahren Spider-Man machen diesen Film zu einem reinen Vergnügen der Extraklasse. Und Spider-Man-Fans werden so oder so glauben, im Himmel sein.

9,5/10

Von SONY gab es den Film in 4K in einer limitierten Steelbook Edition.

Quellen
Inhaltsangabe: Sony Pictures
Poster/Artwork:
Sony Pictures

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