Doctor Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) ist ein arroganter, aber auch unglaublich talentierter Neurochirurg. Nach einem schweren Autounfall kann er seiner Tätigkeit trotz mehrerer Operationen und Therapien nicht mehr nachgehen. In seiner Verzweifelung wendet er sich schließlich von der Schulmedizin ab und reist nach Tibet, wo er bei der Einsiedlerin The Ancient One (Tilda Swinton) und ihrer Glaubensgemeinschaft lernt, sein verletztes Ego hinten anzustellen und in die Geheimnisse einer verborgenen mystischen Welt voller alternativer Dimensionen eingeführt wird. So entwickelt sich Doctor Strange nach und nach zu einem der mächtigsten Magier der Welt. Doch schon bald muss er seine neugewonnenen mystischen Kräfte nutzen, um die Welt vor einer Bedrohung aus einer anderen Dimension zu beschützen...
Das alles klingt wie eine Story, die so schon tausenmal verfilmt wurde und wenn man es auf ein Minimum herunterbricht, dann ist sie es wohl auch. Vieles in "Doctor Strange" echot sogar aus ganz anderen Filmen wieder, sei es eine Erinnerung an "Inception" oder gar ein klein wenig "Matrix" und vielleicht sogar andere Superheldenverfilmungen. Und doch ist vieles in "Doctor Strange" auch neu und so erstaunlich mitreißend, dass die Laufzeit von rund 115 Minuten wie im Flug vergeht. Der neueste und mittlerweile vierzehnte Film aus dem Marvel Cinematic Universe ("MCU") ist darüber hinaus noch ein kleiner Widerspruch in sich. "Doctor Strange" wirkt einerseits sehr vertraut und als allesfressender Fan des mittlerweile uneinholbar übermächtigen MCU findet man sich umgehend zurecht, andererseits wirkt er auch so völlig anders, als all das was man zuvor gesehen hat. Und das ist gut, sehr gut sogar. Ein neuer, etwas frischerer Wind weht mit "Doctor Strange" durch das Marvel Cinematic Universe, obwohl die grundlegende Prämisse, die Origin-Story eines weiteren Superhelden, beibehalten wird. Er ist einfach etwas reicher an Wagnissen, etwas psychedelischer (gerade wenn sich Welten verformen, oder ein anderes Multiversum aufgesucht wird) und damit auch etwas abgefahrener.
Um eines gleich vorweg zu nehmen: Benedict Cumberbatch war eine ausgezeichnete Wahl für den titelgebenden Charakter des "Doctor Strange". Er spielt ihn so wie man ihn aus den Comics kennt, ihn sich eben vorgestellt hat: ein brillanter, arroganter und stets wissbegieriger Chirurg mit genau dem richtigen Aussehen und Auftreten. Mit dem heftigen Autounfall, der wohl für immer zu den intensivsten Erfahrungen im Kino gehören wird, und den darauf folgenden Anstrengungen, sein Leben wieder herzustellen, erfährt man als Zuschauer auch Stranges charakterliche Veränderung und obwohl man ihn aufgrund seiner Art anfänglich vielleicht skeptisch gegenüber stand, wird man bald von seinem coolen Wesen eingenommen, fühlt mit ihm und ist letztendlich ganz bei ihm. All dies gehört zu Cumberbatchs hervorragendem Spiel, welches erneut zeigt wie wandlungsfähig dieser Mann ist. Aber nicht nur er sticht aus der Riege der Darsteller heraus. Auch die nicht minder wandlungsfähige Tilda Swinton als "Die Älteste"/"Ancient One" hinterlässt einen überragenden Eindruck und die Nebenrollen wie Zauberer Mordo (Chiwetel Ejiofor mit gewohnt starker, beinahe schon edler Präsenz) und Wong (Benedict Wong, der eine amüsante Dynamik mit Cumberbatch aufzeigt und die sich hoffentlich auch in kommenden Filmen weiterentwickeln wird) sind ebenso hervorragend besetzt. Lediglich Rachel McAdams als Stranges Freundin Christine bleibt in der Reihe der Nebendarstellerinnen etwas blass, denn letztendlich bekommt sie aber nicht mehr zu tun, als dass sie einige amüsante Reaktionen auf Dinge, die um sie herum passieren, zum besten gibt. Damit fühlt sich ihr Charakter etwas unterfordert an.
Nach
so vielen Comic-Verfilmungen ist es mittlerweile vielleicht unvermeidlich, dass "Doctor
Strange" auch Verweise auf die vorangegangenen Filme des MCUs inne hat - immerhin haben andere Film auch Verweise auf "Doctor Strange" zu bieten (so zum Beispiel "The Orb of Agamotto"/"Das Auge von Agamotto", eine Kristallkugel, welche Strange nutzt, um Magie aufzuspüren kann in Odin's Kammer im Film "Thor" gesehen werden oder die Tafel in "Thor: The Dark World", auf welcher Erik Selvig's (Stellan Skarsgård) "The Crossroads" beschreibt, jene interdimensionalen Tore, die eine wesentliche Rolle in den "Doctor Strange"-Comics spielen. Selbst in "Captain America: The Winter Soldier" erwähnt Jasper Sitwell (Maximiliano Hernández) Stephen Strange als einen der höchst-priorisiertesten Ziele von Hydra). Man sieht: MARVEL ist in dieser Beziehung ziemlich clever und "zwingt" den Fan quasi zum Konsum seiner Filme - um wirklich das Gesamtbild zu verstehen. Das mag dem einen oder anderen durchaus (und berechtigterweise) negativ aufstoßen, ist aber für die, die ständig am Ball geblieben sind, ein inneres Fest. "Doctor Strange" ist eine Art "Batman Begins" und fühlt sich auch sehr danach an. Aber - um fair zu bleiben - die Motivationen der Helden sind in beiden Filmen auch recht unterschiedlich. Natürlich schwingt auch in "Doctor Strange" die Freude an klassischen Superheldenverfilmungen der Macher mit - ein Umstand, der dem Streifen eine irgendwie beschwingte Note verleiht. Ob nun Anspielungen auf andere Filme vorhanden sind oder nicht - Regisseur und Autor Scott Derrickson, Co-Autor C. Robert Cargill und Produzent Kevin "MARVEL Studios
Mastermind" Feige beginnen die Geschichte von Strange nun einmal so und verlieren sich dabei anfänglich sogar in einem etwas formelhaftem Gerüst. So mögen zwar die Einstellungen unterschiedlich sein, am Ende ist und bleibt es aber derselbe standardisierte Weg, den schon andere Helden vor Strange beschritten.
Über den Bösewicht Kaecilius ist indes im Vorfeld bereits schon viel spekuliert worden. Aber er ist und bleibt - wie in so vielen MCU-Verfilmungen zuvor - der typische böse Kerl, der trotz Mads
Mikkelsens Spiel etwas zu wenig im Hintergrund beleuchtet wird. Dabei ist er großartig, grimmig , gemein und besitzt die nötige Leinwandpräsenz. Mikkelsen einen MARVEL-Superschurken spielen zu lassen ist einfach aufregend und sein Spiel gegen (oder mit) Cumberbatch ist fetzig, unterhaltsam und damit mitreißend. Letztlich hat er einfach zu wenig Screentime um sich vollends behaupten zu können. Denn trotz einiger Informationen über seine Geschichte und die Verbindung zu "Ancient One" ist dies einfach zu wenig um auf höherer Ebene zu punkten. Aber Mikkelsen macht daraus eben das Beste und die Magie, die sein Charakter Kaecilius entfacht, ist optisch dermaßen beeindruckend und damit schon mal einer der Gründe, überhaupt ins Kino zu gehen. Was nämlich "Doctor Strange" auszeichnet, sind allen voran auch die Effekte und die Visuals, obwohl man den Film nicht darauf reduzieren sollte.
Optisch ist "Doctor Strange" nämlich einfach atemberaubend. Derrickson
macht hier einen richtig guten Job und verbindet weltliches und geistiges, indem er Bilder und ganze Schauplätze verbiegt, verformt, in sich zusammenfallen lässt und so den Zuschauer immer wieder vor neue optische Leckerbissen setzt. Und - wie eingangs erwähnt - erinnern gerade diese Bilder sehr stark an "Inception", sind aber so viel mehr als das. Sie sind breiter, neuer, inspirierter und bieten ein völlig anderes Spektrum an Interpretation in jeglicher Hinsicht. Es gibt einige dieser unglaublich surrealen und unglaublichen Momente, die für sich allein stehen könnten und damit schon "Doctor Strange" zu einem kleinen Meisterwerk der Comicverfilmungen zu machen. Allein die Verfolgungsjagd durch New York oder das grandiose Ende, welches mit Zeit spielt - wow.
Seien es darüber hinaus nun Gebäude, die sich (auch um sich) selbst falten oder mystische, sich ständig verändernde Fenster, um durch diese verschiedene
Teile der Welt zu erreichen. Man merkt, "Doctor Strange" macht in dieser Hinsicht seinem Namen alle Ehre. Selbst Alptraumartige Sequenzen mit Dutzenden von aus sich selbst wachsenden Händen spiegeln die Kreativität der Macher und die leicht psychedelische Art und Weise des Films wieder. Bei all diesen beeindruckenden Effekten wurden aber auch die Fans von "Doctor Strange" nicht vergessen. So gibt es auf der einen Seite das ursprüngliche Artwork von Charakter-Co-Schöpfer Steve Ditko zu bewundern und auf der anderen Seite die genau richtige Portion Respekt vor anderen Strange-Comic-Künstlern der sechziger Jahre, die eindeutig die hier gezeigten wilden inter-dimensionalen Sprünge beeinflusst haben. Und Cumberbatch scheint sich inmitten dieser bizarren Szenarien
wie zu Hause zu fühlen. Der Soundtrack von Michael Giacchino ist dabei recht unauffällig. Einerseits ist es eine schöne, schrullige Partitur, die Giacchino abliefert, andererseits unterstützen die Klänge so dezent, dass man sie kaum wahrnimmt. Es ist ein guter Score, aber man muss schon sehr genau darauf achten. Dafür ist die finale Schlacht zwischen Strange und Kaecilius (und später gegen das Überwesen Dormammu - der übrigens und erstaunlicherweise auch von Cumberbatch gespielt wird. Derrickson sagte (in freier Übersetzung) dazu: "Weil niemand Dormammu besser versteht als Benedict. Ich habe die Rolle auch so geschrieben, dass sie eine Art monströs aufgeblasene Version von Strange ist. Dormammu ist ein Ego, das Amok läuft; er ist dieser kosmische Eroberer, um den sich alles, wortwörtlich alles im Multiversum dreht.") ein reines Erlebnis, aber auch rein auf den Doctor beschränkt. Jedoch sind seine Side-Kicks leider weniger aktiv und so fragt man sich, warum sie überhaupt hier sind.
Am Ende ist die größte Leistung des Films jedoch, dass er den Umfang des MCU auf eine hervorragende und vor allem erfolgreiche Weise erweitert. Die Einbeziehung von Magie und dieser Art von Mächten im Hinblick auf das eh schon hohe Niveau des MCUs ist im Gegensatz zu allem bisher da gewesenen noch spannender und man fragt sich unwillkürlich, wie wohl Strange zukünftig mit den anderen Charakteren des MCUs wohl zusammenarbeiten kann und wird und vor allem: wie, auch wenn Scarlett Witch eine gute, passende Verbindung zu den "Avengers" darstellt.
Vierzehn Filme im MCU ist kein Pappenstiel, aber "Doctor Strange" ist immer noch keine Stangenware, wie so viele andere Comicverfilmungen/-ableger und -fortsetzungen dieser Tage. Er ist neu, frisch und spannend - und das obgleich die Geschichte nur ein weiterer Klon einer Origin-Story ist. Aber dafür die diese den wenigsten vertraut und so sorgt "Doctor Strange" in seinen stärksten Momenten (zu denen auch die Präsenz der charismatischen Hauptfigur wie auch die spannenden und lustigen Szenen, in denen Strange seine Fähigkeiten entdeckt, zählt) für Wohlbehagen und sogar in den Schwachen (wie eben der unzureichend eingeführte Bösewicht) für immerhin Wohlwollen. "Doctor Strange" bringt einfach frischen Wind ins MCU. Das war auch bitter nötig, mit viel Potenzial für zukünftige Geschichten. Und nun, da seine Origin-Story abgehakt wurde, kann man sich auf das kommende Abenteuer mit dem Arzt freuen. Einfach nur Daumen hoch.
9/10
Schade ist nur, dass durch die deutsche Synchronisation einige Gags betreffend des englischen Wortspiels "strange" abhanden gekommen ist. Und es ist auch nur deshalb erwähnenswert, weil es dem Zuchauer im Film auffällt. Hier fehlte es offensichtlich etwas an Geschicklichkeit in der Übersetzung, aber es ist durchaus (ebenfalls mit Wohlwollen) verschmerzbar angesichts der Schwierigkeit der linguistischen Verknüpfung.
"Shamballa!"
Bei zavvi UK gab es den Film in 4K von WALT DISNEY Studios Home Entertainment im limitierten Steelbook.
Quellen:
Inhaltsangabe: Marvel / Disney
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