Dienstag, 15. Februar 2022

The Boy In The Striped Pyjamas - Der Junge im gestreiften Pyjama (2008)

https://www.imdb.com/title/tt0914798/

Als sein Vater (David Thewlis), ein SS-Offizier, in den 1940er Jahren gemeinsam mit der Familie aus Berlin wegzieht, kann der 8-jährige Bruno (Asa Butterfield) mit dem Leben auf dem Land nichts anfangen. Er weiß auch nicht, dass sein Vater Kommandant eines Konzentrationslagers geworden ist, beziehungsweise was ein Konzentrationslager überhaupt ist. Aus Langeweile verlässt Bruno trotz Verbot das Grundstück des elterlichen Heims und geht zum Stacheldraht, hinter dem er viele Menschen in gestreiften "Schlafanzügen" sieht. Er freundet sich mit dem jüdischen Jungen Schmuel (Jack Scanlon) an, der im Konzentrationslager eingesperrt ist. Beiden gemeinsam ist, dass sie die Realität des Lagers aus ihrer kindlichen Sicht heraus nicht vollständig begreifen können. Bruno besorgt unter anderem Essen für Schmuel, weil er das ganze für ein Spiel hält. 

"Childhood is measured out by sounds and smells and sights, before the dark hour of reason grows." / "Die Kindheit misst sich in Geräuschen, Gerüchen und  Anblicken, bevor das Dunkel der Vernunft heranwächst. - John Betjeman

"Der Junge im gestreiften Pyjama" ist ein Film, der allein aufgrund seiner Prämisse und dem fröhlichen Beginn, der eine spielenden Bande aus Jungs in Berlin zeigt, schon einen Kloß im Hals des Zuschauers produziert, der allein aufgrund der Inhaltsangabe genau weiß, wohin das alles heir führen wird. Der Film spielt mit der kindlichen Naivität und zeigt, ähnlich wie in "Das Leben ist schön", eine ganz andere Sicht auf das Grauen des Krieges. Nach der Buchvorlage des irischen Schriftstellers John Boyneist es hier ein 8-jähriger Junge, der den Holocaust mit ansehen muss und nicht begreift, was hier überhaupt passiert.

Bruno ist gutherzig, unschuldig und naiv - ein achtjähriges Kind eben, und so betrachtet er die Welt. Als er Schmuel auf der anderen Seite des Zauns trifft, dessen Gefangenenkleidung er als Teil eines Spiels interpretiert, empört er sich: "Das ist ungerecht! Während ich ganz allein bin, kannst du den ganzen Tag mit deinen Freunden spielen." Später lädt er Schmuel zum Essen nach Hause ein; als dieser auf den Stacheldraht verweist, antwortet Bruno: "Ich dachte, das ist, damit die Tiere nicht weglaufen?" Bruno ist somit weder Täter noch Opfer, gehört aber auch nicht zu denen, die nicht wissen, weil sie es nicht wollen und wegschauen - er kann es nicht besser wissen. Die Geschehnisse des Holocaust übersteigen den Horizont eines achtjährigen Jungen; durch die Augen dieses Kindes wird der Horror nicht ersichtlich. Mit seiner Naivität und Menschlichkeit bewahrt er sich die Unschuld - zu welchem fürchterlichen Ende das führt, ist der schockierende, aber konsequente Schlusspunkt der Erzählung. Diese letzten 10 Minuten sind einfach furchtbar. Man sitzt mit zum stummen Schrei offenem Mund vor dem Film, der Hals zugeschwollen, die Augen mit Tränen gefüllt - und ist gleichzeitig so schrecklich machtlos.

Doch "Der Junge im gestreiften Pyjama" beschreitet wahrlich kein cineastisches Neuland. Es finden sich Motive vieler älterer Holocaust-Dramen wieder. Dennoch trägt dieser Film mit einem neuen Ansatz zur Pluralisierung der Erinnerungsdiskurse bei, indem die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive des achtjährigen Kindes erzählt wird. Dabei sind filmische Auseinandersetzungen mit dem Holocaust alles andere als unproblematisch. Der französische Regisseur Claude Lanzmann sagte einmal, dass es jenseits der Dokumente keine Bilder geben könne, weder erfundene noch nachempfundene. So kann denn auch darüber gestritten werden, ob diese Dramaturgie im Gewand einer fiktiven Familiengeschichte und Coming-of-Age-Story notwendig ist, um darzustellen, wie falsch die Greueltaten der Nationalsozialisten waren. Die emotionale Bindung der Zuschauer und deren Erinnerung oder Bewusstwerden dieser Taten sind damit jedoch gewährleistet. Bruno und Schmuel, die Freunde, die eigentlich Feinde sein müssten, werden zu Hoffnungsträgern in grausamen Zeiten. Dies ist die große Stärke dieses Films: Mit ihrer packenden und bewegenden Inszenierung eines grausamen Ereignisses, das Generationen zurückliegt und leicht vergessen werden könnte, aber nicht vergessen werden darf, dürften die Macher vor allem bei einem jüngerem Publikum eine große Sensibilität für dieses Thema erreicht haben. "Der Junge im gestreiften Pyjama" ist nicht als Geschichtsstunde geeignet - er transportiert jedoch eine wertvolle Botschaft, die ihre Wirkung nicht verfehlt.

Der Film ist herzzerreißend authentisch, ohne dabei mit allen Mitteln auf die Tränendrüse drücken zu wollen. Eine unfassbar traurige Geschichte mit wirklich guten Kinderdarstellern, die einen wohl lange nicht loslassen wird und den 2. Weltkrieg sowie den scheußlichen Antisemitismus aus Kinderaugen erleben lassen. 

8,5/10

Quellen
Inhaltsangabe: Netflix

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