1925. Zwei Brüder, die gemeinsam eine große Ranch in Montana besitzen, versuchen auf ihre Weise das gemeinsame Land zu führen. Allerdings könnten Phil (Benedict Cumberbatch) und George (Jesse Plemons) unterschiedlicher nicht sein: Während Phil mit Strenge und Härte auf der Farm anpackt, will sich George der Kontrolle seines Bruders entziehen. Er legt mehr Wert auf teure Autos, gute Kleidung und ein Leben fernab von Rindern und Feldarbeit. Die Heirat mit der Witwe Rose (Kirsten Dunst) könnte sein Ausweg aus seinem bisherigen Leben sein. Zusammen mit ihr und ihrem Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) will er auf der Ranch einen neuen Lebensabschnitt markieren. Die Fronten zu seinem Bruder Phil scheinen sich durch die Anwesenheit von Rose jedoch nur zu verstärken. Von familiärer Liebe und Gastfreundlichkeit ist nichts zu spüren. Allerdings beginnen sich die Machtverhältnisse nach und nach zu verschieben...
Wer bei Jane Campions "The Power Of The Dog" einen althergebrachten Western erwartet, wird bitter enttäuscht werden. "The Power Of The Dog" könnte man eher als Kammerspiel bezeichnen, ein grandioses Drama vor bildgewaltiger Kulisse, dessen Kernthematik aber ebenso als schlichtes Theaterstück funktionieren würde. Genauso irreführend wie das Setting ist die Besetzung, denn denkt man an einen Western, ist Benedict Cumberbatch vielleicht nicht der erste Schauspieler, der einem in den Sinn kommt. Und doch ist er genau das, was dieser Film braucht. Er verkörpert eine Figur, die sich in einer männlichen Krise befindet, ständig muss er beweisen, dass er der raueste und härteste Anführer in einem Wolfsrudel von Cowboys ist, möglicherweise um seine Bewunderung und Zuneigung für den längst verstorbenen Mann zu verbergen, der ihm mehr als nur das Reiten beigebracht hat. Autorin/Regisseurin Campion hat Neuseeland als Schauplatz für das Montana der 1920er Jahre gewählt und diesen ruhigen, aber dennoch grundsätzlich wütenden Western vor einen rauen Hintergrund gestellt, der sowohl schön als auch beeindruckend ist. Für Peter stellt sie eine verhärtete Männlichkeit dar, die er überwinden lernen muss. Für Phil ist diese windgepeitschte Natur eine Flucht vor dem privilegierten Leben, das er nicht führen will. Auf dem Rücken eines Pferdes hat er zu sich selbst gefunden, und auf diesen Kuhpfaden, Bergpässen und versteckten Flüssen hat er gelernt, seine Sehnsüchte zu verbergen.Cumberbatchs Phil ist der raue und ungestüme Remus im Vergleich zum freundlicheren Romulus des Films, seinem Bruder George (Jesse Plemons). Wo Phil respektlos und gemein ist, ist George sanftmütiger und wortkarger und oft den Sticheleien seines Bruders ausgeliefert. Bei einem Zwischenstopp in einem Restaurant verspottet Phil Rose (Kirsten Dunst), eine Witwe, die den Laden betreibt, und ihren Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee), den Phil so lange schikaniert, bis Peter den Job hinschmeißt und seine Mutter in Tränen zurücklässt. George versucht, sie zu trösten, und verliebt sich in sie. Das macht Phil wütend, der den Verlust seines Bruders an diese Frau sehr schwer nimmt. Doch da ist noch etwas anderes. In Jane Campions Verfilmung "The Power Of The Dog" herrscht eine Art Grundrauschen eines "Brokeback Mountain", die (trotz einiger Drehbuchschwächen) gut und profiliert eingefangen. Es ist eine kluge Parabel auf die Emanzipation einer neuen Generation von Menschen, die sich ihre Andersartigkeit von einem Gesellschaftsdiktat nicht wegunterdrücken lässt - die sich mit einem limitiert binären Angebot von 1 oder 0 nicht mehr zufrieden gibt und auch nicht mehr so tut als ob.Campions Verfilmung des gleichnamigen Romans von Thomas Savage ist roh und erzählt seine Hintergrundgeschichte schnell und in kurzen Dialogen. Es gibt keine Rückblenden, nur ein paar Szenen, in denen die Figuren einander ihre Vergangenheit erzählen. Campion und ihr Kameramann Ari Wegner schreiben so ganze Charakterstudien in ihren Nahaufnahmen. Aus dieser Perspektive bekommt der Zuschauer ein Gefühl dafür, was die Darsteller vielleicht nie verbalisieren. Es ist der gequälte und panische Gesichtsausdruck von Rose, als sie nach einer weiteren Runde von Phils Schikanen zu trinken beginnt. Es sind die stählernen Blicke, die Peter Phil zuwirft, wenn er schikaniert wird. Es ist der Blick von George, der auf den Boden starrt, weil er weiß, dass er die Quälereien seines Bruders nicht verhindern kann. Es ist die Wut in Phils Gesicht, als er merkt, dass seine enge Beziehung zu seinem Bruder mit Georges Heirat mit Rose zu Ende geht. Durch Phils Bewegungen, Körpersprache und Reaktionen spricht Cumberbatch auch mit jedem finsteren Blick und jedem trotzigen Lächeln Bände.
Audiotechnisch wird Spektakuläres geboten. Jonny Greenwoods Komposition unterstreicht viele der Szenen, die sich auf dem Bildschirm abspielen. Die Stücke drehen und wenden sich so heftig wie die Handlung des Films, die die Gefühle der Zuschauer in bestimmte Richtungen ziehen soll und sind so schnell, dass sie wie eine Anspielung auf die angespannte Dynamik zwischen den Brüdern, der Witwe und ihrem Sohn deutbar werden. Die Musik entfernt sich zwar nicht allzu weit vom typischen Western-Sound, fügt aber dennoch zusätzlichen Facetten hinzu. Greenwood ist hierfür mindestens eine Oscar-Nominierung zu wünschen. "The Power Of The Dog" ist also sinnbildlich der Wachhund, der Haus und Hof bewacht und jeden noch so fremden Eindringling mit harschen Bellen und bissigem Knurren zurückweist. Und es gibt nur einen dieser Hunde, der keinem je freundlich gesinnt ist und heimtückisch eine giftige Umgebung schafft, um die Macht über ihr Geschäft und die Herrschaft über die Farm zu behalten. Ruhig erzählt, vielschichtig und äusserst faszinierend. Insgesamt ein beachtliches Werk das Campion hier aus dem Ärmel schüttelt und ein Paradebeispiel dafür was ein Budget von knapp 40 Mio Dollar zur freien künstlerischen Verfügung und frei von Marketing-Belangen bedeuten kann. Ein schöner und wichtiger Film und vielleicht ein Denkanstoß.
9/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Netflix
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