Samstag, 8. Februar 2020

Midsommar (2019)

https://www.imdb.com/title/tt8772262/

Alle 90 Jahre feiern die Bewohner eines verschlafenen schwedischen Dorfes die Sommersonnenwende. Ganze neun Tage lang halten die Feierlichkeiten an, die mit den altbekannten, traditionellen Festivitäten der Region allerdings nur wenig gemeinsam haben. Das weckt Christians (Jack Reynor) Neugier, der unbedingt an „Midsommar“ teilnehmen will und dafür auch gemeinsam mit seiner Freundin Dani (Florence Pugh) extra die weite Reise ins skandinavische Hinterland auf sich nimmt. Ohne eine wirkliche Ahnung davon zu haben, was sie dort überhaupt erwartet, müssen die beiden allerdings schon kurz nach ihrer Ankunft feststellen, dass hier irgendwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Statt fröhlicher Tänze und Blumenpflücken stehen nämlich unheimliche, groteske Rituale auf dem Programm, die den vermeintlich romantischen Urlaub zu einem Horrortrip werden lassen. Wo ist das junge Paar hier nur reingeraten?

Nach seinem Debüt "Hereditary" legt Regisseur Ari Aster nun mit "Midsommar" zügig nach und vermag erneut unter Beweis zu stellen, warum er als großer Hoffnungsträger gehandelt wird. Wo sein Erstling noch visuell eher düster und räumlich begrenzt daherkam, da ist Midsommar nun geradezu von Licht durchflutet und sehr offen gehalten, was der unangenehmen Grundstimmung jedoch keinesfalls schadet. Eher im Gegenteil, geht dadurch jegliches Zeitgefühl verloren, wenn Stunden und Tage zerdehnt regelrecht ineinander zerfließen und zunehmend Drogen induzierte Orientierungslosigkeit um sich greift.

"Midsommar" ist definitiv kein einfacher Film. Man kann ihn auf viele verschiedene Weisen aufnehmen und verstehen. Und je nach mitgebrachter Empathie hat der Film nochmal eine ganz andere Wirkung. Regisseur Ari Aster, der schon mit "Hereditary" einen grandiosen Horrorfilm ablieferte, gelint hier etwas, mit dem man so nicht rechnen konnte. Denn wie kann ein Film gleichzeitig dermassen abgrundtief erschütternd und unglaublich wundervoll sein? "Midsommar" zeigt dies gekonnt und mit faszinierender, spannender Leichtigkeit. "Midsommar" ist ein ruhiges, aber intensives Psycho-Drama mit absurdem Humor. Und der Film ist vielschichtiger als man es anfänglich vermutet. Die Story an sich ist nicht kompliziert, der aufmerksame Betrachter merkt schnell, wo das Ganze hinführt. Es sind die vielen Kleinigkeiten, die Kamerafahrten von oben, die Spiegel, das Licht, die Bäume, etc. Und irgendwann erwischt man sich selbst dabei, wie man selbst in harmlosen Nebensträngen irgendwas vermutet. Man muss vermutlich den Film ein zweites oder drittes Mal sichten, um alles aufzunehmen. Aber: für die eigentliche Handlung ist das nicht unbedingt entscheidend. Und da entsteht auch ein Problem: die Optik erhebt sich über die eigentliche Geschichte. Wenn man damit konform geht, dann ist alles gut. Ansonsten kann das Ganze auch in gediegene Langeweile mit abstrakten Bildern abtriften. Doch Regisseur Ari Aster scheint einen Nerv zu treffen und das tut dem Kino geht. Denn "Midsommar" ist einer der Filme, die unbedingt auf die große Leinwand gehören. Leider muss der Kinogänger abseits der größeren Städte oft suchen, wo er denn auch gezeigt wird.

"Midsommar" ist in allen Belangen unfassbar gut inszeniert und handwerklich makellos, wenn Aster neben den offensichtlichen Merkwürdigkeiten immer wieder kleine Verschiebungen im sozialen Miteinander einwebt, auf die es gefühlt keine angemessene Reaktion zu geben scheint. Mitunter wirkt das schreiend komisch, doch das Lachen ist hilflos distanziert und bleibt einem immer auch irgendwie im Halse stecken ohne jemals ins Alberne abzugleiten. Die Ausgangslage ist schnell klar, die Handlung relativ offensichtlich und groß verheimlicht wird hier gar nicht erst, so dass es eher die Psychen der Figuren und ihre sozialen Dynamiken sind, welche Aster auszuloten und zu sezieren gedenkt. Überhaupt kommt der wahre Horror hier erneut von Innen heraus: toxische Beziehungen, zerstörte Familien, emotionale Schieflagen und die Unfähigkeit zur Kommunikation rückt Aster immer wieder in den Fokus. Ihr Alltag ist bereits heillos aus den Fugen geraten und die Gefühlswelt von Dani - überragend glaubwürdig gespielt von Florence Pugh - ist ein absoluter Ausnahmezustand, den er auch ohne Einflüsse von Außen nahezu perfekt zu übertragen versteht und erfahrbar macht.

Obwohl aufreizend ausschweifend und ganz bewusst langsam erzählt, entwickelt Midsommar eine enorme, beinahe schon rauschhafte und unterschwellig immerzu unheimlich bedrohliche Sogkraft und ungemein fesselnde Bilder zwischen Ekstase, Mystizismus und lädierten Psychen. All das und allem voran die fabelhafte, bildgewaltige und ausgesprochen präzise Inszenierung von Ari Aster macht "Midsommar" wie bereits "Hereditary" zu einer regelrechten Wohltat zwischen all dem Konserven-Horror dieser Zeit.

8,5/10

Von WELTKINO kommt der Film im limitierten Mediabook auf BD inkl. Director's Cut (OmU)

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