https://www.imdb.com/title/tt8772262/
Alle 90 Jahre feiern die Bewohner eines verschlafenen schwedischen
Dorfes die Sommersonnenwende. Ganze neun Tage lang halten die
Feierlichkeiten an, die mit den altbekannten, traditionellen
Festivitäten der Region allerdings nur wenig gemeinsam haben. Das weckt
Christians (Jack Reynor) Neugier, der unbedingt an „Midsommar“
teilnehmen will und dafür auch gemeinsam mit seiner Freundin Dani
(Florence Pugh) extra die weite Reise ins skandinavische Hinterland auf
sich nimmt. Ohne eine wirkliche Ahnung davon zu haben, was sie dort
überhaupt erwartet, müssen die beiden allerdings schon kurz nach ihrer
Ankunft feststellen, dass hier irgendwas nicht mit rechten Dingen
zugeht. Statt fröhlicher Tänze und Blumenpflücken stehen nämlich
unheimliche, groteske Rituale auf dem Programm, die den vermeintlich
romantischen Urlaub zu einem Horrortrip werden lassen. Wo ist das junge
Paar hier nur reingeraten?
Nach seinem Debüt "Hereditary" legt Regisseur Ari Aster nun mit
"Midsommar" zügig nach und vermag erneut unter Beweis zu stellen, warum er
als großer Hoffnungsträger gehandelt wird. Wo sein Erstling noch
visuell eher düster und räumlich begrenzt daherkam, da ist Midsommar nun
geradezu von Licht durchflutet und sehr offen gehalten, was der
unangenehmen Grundstimmung jedoch keinesfalls schadet. Eher im
Gegenteil, geht dadurch jegliches Zeitgefühl verloren, wenn Stunden und
Tage zerdehnt regelrecht ineinander zerfließen und zunehmend Drogen
induzierte Orientierungslosigkeit um sich greift.
"Midsommar" ist definitiv kein einfacher Film. Man kann ihn auf viele
verschiedene Weisen aufnehmen und verstehen. Und je nach mitgebrachter
Empathie hat der Film nochmal eine ganz andere Wirkung. Regisseur Ari Aster, der schon mit "Hereditary" einen grandiosen Horrorfilm ablieferte, gelint hier etwas, mit dem man so nicht rechnen konnte. Denn wie kann ein Film gleichzeitig dermassen abgrundtief erschütternd und unglaublich wundervoll sein? "Midsommar" zeigt dies gekonnt und mit faszinierender, spannender Leichtigkeit. "Midsommar" ist ein ruhiges, aber intensives Psycho-Drama mit absurdem
Humor. Und der Film ist vielschichtiger als man es anfänglich vermutet. Die Story an sich ist nicht kompliziert, der aufmerksame Betrachter
merkt schnell, wo das Ganze hinführt. Es sind die vielen Kleinigkeiten,
die Kamerafahrten von oben, die Spiegel, das Licht, die Bäume, etc. Und
irgendwann erwischt man sich selbst dabei, wie man selbst in harmlosen
Nebensträngen irgendwas vermutet. Man muss vermutlich den Film ein
zweites oder drittes Mal sichten, um alles aufzunehmen. Aber: für die
eigentliche Handlung ist das nicht unbedingt entscheidend. Und da
entsteht auch ein Problem: die Optik erhebt sich über die eigentliche
Geschichte. Wenn man damit konform geht, dann ist alles gut. Ansonsten
kann das Ganze auch in gediegene Langeweile mit abstrakten Bildern
abtriften. Doch Regisseur Ari Aster scheint einen Nerv zu treffen und
das tut dem Kino geht. Denn "Midsommar" ist einer der Filme, die
unbedingt auf die große Leinwand gehören. Leider muss der Kinogänger
abseits der größeren Städte oft suchen, wo er denn auch gezeigt wird.
"Midsommar" ist in allen Belangen unfassbar gut inszeniert und
handwerklich makellos, wenn Aster neben den offensichtlichen
Merkwürdigkeiten immer wieder kleine Verschiebungen im sozialen
Miteinander einwebt, auf die es gefühlt keine angemessene Reaktion zu
geben scheint. Mitunter wirkt das schreiend komisch, doch das Lachen ist
hilflos distanziert und bleibt einem immer auch irgendwie im Halse
stecken ohne jemals ins Alberne abzugleiten. Die Ausgangslage ist schnell klar, die Handlung relativ
offensichtlich und groß verheimlicht wird hier gar nicht erst, so dass
es eher die Psychen der Figuren und ihre sozialen Dynamiken sind, welche
Aster auszuloten und zu sezieren gedenkt. Überhaupt kommt der wahre
Horror hier erneut von Innen heraus: toxische Beziehungen, zerstörte
Familien, emotionale Schieflagen und die Unfähigkeit zur Kommunikation
rückt Aster immer wieder in den Fokus. Ihr Alltag ist bereits heillos
aus den Fugen geraten und die Gefühlswelt von Dani - überragend
glaubwürdig gespielt von Florence Pugh - ist ein absoluter
Ausnahmezustand, den er auch ohne Einflüsse von Außen nahezu perfekt zu
übertragen versteht und erfahrbar macht.
Obwohl aufreizend ausschweifend und ganz bewusst langsam erzählt,
entwickelt Midsommar eine enorme, beinahe schon rauschhafte und
unterschwellig immerzu unheimlich bedrohliche Sogkraft und ungemein
fesselnde Bilder zwischen Ekstase, Mystizismus und lädierten Psychen.
All das und allem voran die fabelhafte, bildgewaltige und ausgesprochen
präzise Inszenierung von Ari Aster macht "Midsommar" wie bereits
"Hereditary" zu einer regelrechten Wohltat zwischen all dem
Konserven-Horror dieser Zeit.
8,5/10
Von WELTKINO kommt der Film im limitierten
Mediabook auf BD inkl. Director's Cut (OmU)
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