Mittwoch, 18. November 2020

Boy Erased - Der verlorene Sohn (2018)

https://www.imdb.com/title/tt7008872/

Jared (Lucas Hedges) wächst als Sohn eines Baptistenpredigers (Russell Crowe) in einer Kleinstadt in den amerikanischen Südstaaten auf. Als er mit 19 Jahren von einem College-Mitstudenten als schwul geoutet wird, bricht für seinen Vater und seine Mutter Nancy (Nicole Kidman) sowie die konservative Gemeinde eine Welt zusammen. Um Jared von seiner Homosexualität zu "heilen", soll er an einer von der Kirche unterstützten Reparativtherapie teilnehmen, anderenfalls kann Vater Marshall ihn nicht mehr unter seinem Dach leben lassen. Wenn Jared sich nicht beugt, droht dem Teenager aber nicht nur der Verlust der Familie, sondern auch der Verlust seiner eigenen religiösen Identität. Unter diesem Druck nimmt der junge Mann notgedrungen an dem entwürdigenden, unmenschlichen und absurden Umerziehungsprogramm des erbarmungslosen Therapeuten Victor Sykes (Joel Edgerton) teil, das auf zwölf Tage angelegt ist…  

"Der verlorene Sohn" basiert auf den 2016 von Garrard Conley unter dem Titel "Boy Erased: A Memoir" veröffentlichten Memoiren. Es ist ein realativ stiller Film, der aber dennoch eine Menge zu erzählen hat. Zu erzählen über fanatische Christen, den längst überholten Glauben an die "Reinheit" und Beziehung zwischen Mann und Frau, und nur diese, und über Eltern, die so tief in ihrer religiösen Überzeugung verwurzelt sind, dass sie sogar den Gedanken fassen können, das eigene Fleisch und Blut, den Sohn, zu verstoßen. Doch nicht nur aufgrund dieser Aspekte macht der Film einfach fassungslos. Regisseur Joel Edgerton findet ausdrucksstarke Bilder und einen atmosphärischen Soundtrack für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit und ihm ist es zu verdanken, dass dieses Drama um eine "Krankheit", die natürlich keine ist, behutsam behandelt, aber dennoch stringent gezeigt und mit deutlich erhobenem Zeigefinger in Richtung Kirche und deren Aufgabe aufgearbeitet wird. Gemeinsam mit Conley ist Edgerton aber auch ein hervorragendes Drehbuch gelungen, das sich vor allem durch die liebevolle und authentische Charakterzeichnung auszeichnet.

Dabei zeigt er in seinem gefühlvollen Familiendrama auf, dass es nicht die Homosexuellen sind, die sich ändern und zur Besinnung kommen müssen, sondern die erzkonservativen Personen solcher Einrichtungen. Dass es im Jahr 2018 überhaupt immer noch solche Umerziehungscamps mit der sog. Reparativtherapie gibt, lässt einen nicht minder fassungslos zurück. Und die Methoden, die, streng am Glauben der konservativen Menschen entlang, ausgeführt werden, sind nicht nur fragwürdig, sondern regelrecht widerlich. Dass solche Maßnahmen an psychologischen Missbrauch grenzen, erschließt sich vom ersten Satz an. In den Umerziehungslagern predigt Therapeut Sykes (Joel Edgerton) vermeintlich verwirrten Seelen, dass Homosexualität lediglich eine Entscheidung sei und dass sich Männlichkeit antrainieren lasse. Natürlich begnügt sich dieser Tempel der hohlen Lehre nicht dem Vermitteln allzu bequemer Weltbilder. Praktiziert wird eine geistige und körperliche Erniedrigung, die letztlich nur auf die Geldbörse besorgter Eltern abzielt und eine langfristige Bindung der Jungen und Mädchen an die Organisation zu erzielen sucht.

Es gibt ihn leider, diesen Horror, der nur vom wahren Leben geschrieben werden kann. "Der verlorene Sohn" handelt die einzelnen Schritte dieser "Behandlung" ab, die harmlos und schwachsinnig anrollt und schließlich ein gar perfides Konstrukt der Nötigung offenlegt. Hier geht es nur ums Lokalisieren von Schwachstellen, wie der schmächlichen Familienhistorie, die allein dazu dient, Löcher in die Psyche zu hämmern, um Menschen gefügig zu machen. Die beunruhigende Wirkung ist maximal abstoßend. Verstärkt wird dies noch durch die bewusst passive Haltung von Hauptdarsteller Lucas Hedges, der diese Tortur größtenteils stumm aufsaugt und damit viel Raum fürs Entsetzen des Zuschauers lässt. Gerade mit dieser sich sehr langsam entwickelten Art vermittelt "Der verlorene Sohn" die Konfusion und den lähmenden Schock, der bei jemanden einsetzen muss, der, noch gar nicht im Klaren über sich selbst, in diese Mangel genommen wird. Wie diese Mangel sich Menschen einverleibt oder diese daran schließlich zerbrechen müssen. Und wie sich auch subtil und irgendwann doch merklich, ein Graben zwischen einem überzeugten gottes-fürchtigen Vater und seine Frau auftut, die nicht nur aufs Wort von Leuten baut, die ja so viel klüger in diesen Dingen sein sollen.

Die Odyssee des Protagonisten hier wird zwar im Film ein wenig zu sehr ausformuliert, trotzdem vermitteln allein die engagiert aufspielenden Eltern-Darsteller wie Russel Crowe und Nicole Kidman ein Gefühl der Ohnmacht. Deswegen ist "Der verlorene Sohn" kein schablonenhafter Film. Das Drama ist vielleicht gemächlich, die Analyse der leider realen Heilungsstätte hingegen trifft genau den richtigen Nerv. "Der verlorene Sohn" lässt einen bei der hier gezeigten Verblendung mit dem Kopf schütteln, den Ausbruch der Hauptfigur aus seinem emotionalen Gefängnis bejubeln und mit einem beflügelten Gefühl und vielleicht sogar der einen oder anderen Träne zurück.

8/10

Quellen
Inhaltsangabe: Universal Pictures
Textauszüge: Wikipedia

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