https://www.imdb.com/de/title/tt20969586/Nachdem Yelena Belova/Black Widow (Florence Pugh), Alexei Shostakov/Red Guardian (David Harbour), Antonia Dreykov/Taskmaster (Olga Kurylenko), John Walker/U.S. Agent (Wyatt Russell), Ava Starr/Ghost (Hannah John-Kamen) und Bucky Barnes/Winter Soldier (Sebastian Stan) in eine von Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) gestellte Todesfalle geraten sind, sehen sich die hoffnungslosen Außenseiter gezwungen, eine riskante Mission zu übernehmen. Diese führt sie nicht nur an gefährliche Orte, sondern auch tief in die dunklen Kapitel ihrer eigenen Vergangenheit. Zwischen Misstrauen, inneren Konflikten und alten Wunden steht die Frage im Raum: Wird sich die dysfunktionale Gruppe gegenseitig zerstören – oder gelingt es ihnen, über sich hinauszuwachsen und gemeinsam etwas Größeres zu erschaffen, bevor die Zeit abläuft?
Es ist merkwürdig. Denn als "Avengers: Endgame" 2019 erschien, wirkte die Tagline rückblickend wie eine Vorausdeutung auf kommende MCU-Projekte. Nicht, dass Marvel in den 2020er-Jahren keine Hits gehabt hätte, aber es gab einfach keine ununterbrochene Kette von Blockbustern mehr, und auch die Geschichte, die sich wie ein roter Faden bis dato durch alle Filme zog, fesselte das Publikum nicht mehr. Doch mit "Thunderbolts" findet diese Durststrecke ihr Ende.
Die Marvel-Filme, die seit "Avengers: Endgame" am erfolgreichsten waren, haben sich am weitesten vom Muster der sogenannten "Infinity Saga" entfernt - den ersten 22 Teilen der Reihe, die sich um den Kampf gegen den Superschurken Thanos drehten. Der letztjährige Film "Deadpool & Wolverine" enthielt fast keine Charaktere aus dem Marvel Cinematic Universe (MCU); der postmoderne "Spider-Man: No Way Home" war eine Hommage an die Spider-Man-Filme, die nicht von den Marvel Studios produziert wurden; und auch der neueste Marvel-Film "Thunderbolts"* (man beachte den Stern) hat seine ganz eigene Identität. Das soll nicht heißen, dass er nicht zum MCU gehört. Tatsächlich ist es eine seiner cleveren Eigenheiten, dass er gezielt die Niedergeschlagenheit der Menschen in einer Welt thematisiert, in der Iron Man, Thor und Captain America nicht mehr existieren. Doch dem zum Trotz haben Regisseur Jake Shreier und die Drehbuchautoren Eric Pearson und Joanna Calo eine eigenwillige Interpretation des Superhelden-Genres geschaffen, die ihn zum erfrischendsten MCU-Angebot seit Jahren macht.
Der Clou: Anstatt zu versuchen, so hochglänzend und ausufernd wie die Filme der "Infinity Saga" zu sein, bietet "Thunderbolts"* kämpferischen, schmuddelig wirkenden und bodenständigen Spaß. Es ist nicht die epische Geschichte unzerstörbarer Titanen, die das Universum, geschweige denn das Multiversum, retten; es ist ein komödiantisch angehauchtes Abenteuer über stümperhafte Geheimagenten, die von ihrer ehemaligen Arbeitgeberfirma als Belastung angesehen werden. Das Szenario ist nicht neu: Nach "Die Bourne Identität" gab es unzählige Actionfilme, in denen sich desavouierte Spione ihren ehemaligen Auftraggebern entzogen. Doch "Thunderbolts"* sticht heraus, weil er eine ganze Gruppe solcher Spione zeigt: einen zusammengewürfelten Haufen depressiver, dysfunktionaler Einzelgänger, die zusammenarbeiten müssen und ständig darüber nörgeln. Besonders ungewöhnlich an dem Film ist für Marvel-Verhältnisse, dass seine Prämisse auch ohne wirkliche Superkräfte der Charaktere tragfähig wäre. Und tatsächlich sind sie im Vergleich zu den bereits erwähnten Captain America und Thor gar nicht so superstark. Ein Teil ihres Reizes liegt darin, dass sie durch Kugeln getötet und in verschlossenen Räumen gefangen gehalten werden können, was sie viel greifbarer macht als nordische Götter.

Daraus kann der Zuschauer eine Lektion lernen, die die Macher von Box-Office-Enttäuschungen wie "
Eternals" und "
The Marvels" hätten lernen sollen. Nicht die Kräfte der Figuren sind entscheidend, sondern ihre Persönlichkeit. In "Thunderbolts"* sind diese Figuren Yelena (Florence Pugh), eine russische Auftragsmörderin und Adoptivschwester von Scarlett Johanssons Black Widow, die nun wegen der sinnlosen Gewalt in ihrem Leben zutiefst unglücklich ist; ihr Adoptivvater Red Guardian (David Harbour), ein abgehalfterter Chaot, der seinen Tagen als Nationalheld nachtrauert; der mit bionischen Waffen ausgestattete Winter Soldier (Sebastian Stan), der im Zweiten Weltkrieg Captain Americas Kumpel war und sich im 21. Jahrhundert immer noch unwohl zu fühlen scheint; John Walker (Wyatt Russell), ein verbitterter Supersoldat, der der neue Captain America werden sollte, dieser Aufgabe aber nicht gewachsen war; der verwirrte, hin- und hergerissene Bob (Lewis Pullman), ein weiterer misslungener Versuch, einen Ersatz für Captain America zu schaffen; und Ghost (Hannah John-Kamen), ein schiefgelaufenes wissenschaftliches Experiment - die aber im Gegensatz zu den anderen Charakteren darüber hinaus nicht sehr gut definiert ist. Auf verschiedene Weise sind sie alle mit einer der denkwürdigsten, schlüpfrigsten Bösewichte von Marvel verbunden, Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus), einer Geschäftsfrau mit all dem spröden, herablassenden Selbstbewusstsein, das man von dem zuverlässig hervorragenden Star auch erwarten würde.

Die Handlung von "Thunderbolts*" ist so clever konstruiert, dass man den Kern der Geschichte versteht und die Geschichte genießen kann, egal ob man Marvel-Fan ist oder nicht. De Fontaine, so scheint es, steckt hinter mehreren geheimen Superhelden-Operationen. Als ihre politischen Gegner ihr nun auf die Fersen kommen, beschließt sie, alle Beweise für ihre zwielichtigen Machenschaften zu vernichten, einschließlich derer, die sie durchgeführt haben. Und so kommt es, dass Yelena und die anderen nicht mehr versuchen, sich gegenseitig umzubringen, sondern sich gegenseitig am Leben zu erhalten. Sie werden zu einer Art Team, sind sich aber nicht sicher, ob sie sich "Thunderbolts" nennen sollen. Der Stern im Titel bedeutet daher, dass es sich nur um einen Platzhalter handelt, bis ihnen etwas Besseres einfällt.

Ein kleiner Haken: Die Hintergrundgeschichten der meisten Charaktere finden sich in anderen Filmen und der Fernsehserie "The Falcon And The Winter Soldier" wieder, nicht in "Thunderbolts*". Ein weiterer Haken ist, dass die Verfolgung der Bande durch De Fontaines Truppen den Großteil der Filmlaufzeit einnimmt, sodass es kaum Szenen gibt, die nicht schon in den Trailern zu sehen waren. Andererseits sind Superheldenfilme selten so fokussiert und entwickeln sich selten so nahtlos von Szene zu Szene, ohne Atempausen und ohne plötzliche Sprünge an verschiedene Enden der Welt. "Captain America: Brave New World", der im Februar in die Kinos kam, ähnelte "Thunderbolts"* insofern, als er sich um die Politik in Washington D.C. drehte und an "The Falcon And The Winter Soldier" anknüpfte. Doch dieser Film war ein chaotisches Durcheinander, während dieser hier so geschickt konstruiert ist, dass man den Kern versteht und die Fahrt genießen kann. Die zugrunde liegenden Themen in "Thunderbolts"* sind genauso fokussiert wie die Erzählung. Alle Charaktere müssen mit der Scham und dem Trauma ihrer schwierigen Vergangenheit fertig werden - und dieses Thema zieht sich von der Eröffnungsszene bis zum obligatorischen "Final Battle" durch, welcher zwar etwas überhastet, aber stilvoll surreal genug ist. Dazwischen wird die Schuld der Charaktere in einigen berührenden und überraschend brutalen Sequenzen sowie in einigen scharfsinnig geschriebenen, zügig geschnittenen und gekonnt gespielten komischen Szenen thematisiert.

An beiden Enden des Spektrums liefert Pugh eine Leistung ab, die ihr Preise einbringen würde, wäre sie nicht in einem Superheldenfilm. Sie liefert ihre Pointen mit perfektem Timing, besonders wenn sie mit Red Guardian zankt und scherzt. Aber sie kann auch pure Emotionen ausstrahlen - und das alles, während sie einen ordentlichen russischen Akzent behält und sich durch ihre akrobatischen Kampfszenen wälzt. Letztendlich ist "Thunderbolts"* deshalb so viel besser als die meisten Marvel-Filme nach "Avengers: Endgame". Nicht nur, weil es ein knallharter, großherziger Spionagethriller über liebenswert ahnungslose Antihelden ist. Sondern weil ein so charismatischer Schauspieler wie Pugh im Mittelpunkt steht. Und damit bietet der neueste Teil der Superhelden-Reihe kämpferischen, schmuddeligen und bodenständigen Spaß, der von Anfang bis Ende wunderbar unterhält.
8/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Marvel
Poster/Artwork: Marvel