Donnerstag, 17. September 2020

万引き家族 - Manbiki Kazoku - Shoplifters: Familienbande (2018)

https://www.imdb.com/title/tt8075192/

In einer kalten Nacht begegnet das diebische Vater-Sohn-Gespann Osamu Shibata (Lily Franky) und Shota (Jyo Kairi) der kleinen Yuri (Sasaki Miyu). Sie ist verwahrlost und halb erfroren und so nimmt Osamu sie kurzerhand mit nach Hause. Nach anfänglichen Bedenken seiner Frau Nobuyo (Ando Sakura) ist bald die ganze Familie, zu der auch noch Großmutter Hatsue (Kiki Kilin) und Halbschwester Aki (Matsuoka Mayu) gehören, begeistert von dem charmanten Neuzugang und Yuri lebt sich schnell bei der bunten Truppe, die sich mit Gaunereien und Diebstählen über Wasser hält, ein. Eines Tages wird diese Harmonie jedoch durch einen Vorfall empfindlich gestört und der Zusammenhalt der Familie durch unvorhergesehen Enthüllungen auf die Probe gestellt...

Der Gewinner der "Goldenen Palme" 2018 ist der japanische Film "Shoplifters" von Hirokazu Koreeda, welcher dem Zuschauer bemitleidenswert realistisch einen Einblick in eine Familie der Unterschicht Tokios und auf vielschichtige Weise das vermeintliche Idealbild einer Familie in prekären Verhältnissen zeigt. Das hört sich erst einmal sehr deprimierend an und lässt ein schweres Stück Film erahnen. Doch Liebe und Zuneigung sind dicker als Blut, und so zeichnet "Shoplifters" eine herzerwärmende Geschichte über die tatsächliche Essenz einer Patchwork-Familie, welche die gängigen Grenzen überschreitet, sodass man manchmal die Umstände vergisst, in welchen sich diese Menschen befinden. Am Rande der Stadt und des Existenzminimums hat sich eine rührselige Familie zusammengefunden, die füreinander da ist. Sie leben in einer engen, mangelhaften Wohnung auf engstem Raum, das Geld reicht vorn und hinten nicht und die Damen des Hauses gehen mehr oder weniger dubiosen Gelegenheitsjobs nach. Nicht nur die Zusammenstellung der Familie ist grenzüberschreitend, sondern auch die Wege der Nahrungsbeschaffung. Dabei romantisiert man Diebstähle und zeigt alternative Lebenswege auf, die fern des Konsumwahns sind und sich gänzlich auf Zuneigung und Zusammenhalt stützen. Dies spürt auch ein kleines, vernachlässigtes Mädchen, das sich dieser Familie anschließt und von ihren lieblosen Eltern nicht einmal wirklich vermisst wird. Auch sie wird als Diebin ausgebildet und in die Familie voll integriert.

Es dauert eine Weile, bis man in der Welt von Hirokazu Koreeda eingetaucht ist. Doch sobald das geschehen ist, möchte man gar nicht mehr weg. Denn trotz des reduzierten und wahrlich unordentlichen Lebensraums, strahlt das Heim der Familie ganz viel Wärme aus. Wärme, die viele andere Familien nicht haben und doch so wichtig ist. So reduziert die Lebensweise, so unaufgeregt ist auch die Inszenierung von Koreeda. Mit ruhiger Kameraarbeit, wird man so zum stillen Beobachter einer faszinierenden Gemeinschaft. Wenngleich auch nur für kurze Zeit. Der Familienalltag wird sehr ruhig und ausführlich als Mikrokosmos fast schon übertrieben idyllisch dargestellt und vor allem die Szenen in der Unterkunft der Familie sind von tollen und wilden Dialogen geprägt. In einer Szene fährt die Familie zum Baden an den Strand, was einen freudigen Höhepunkt des Films darstellt, der danach mit einigen tragischen Ereignissen aufwartet. Einige Stellen des Films sind durchaus auch etwas langatmig und vielleicht sogar schwer zugänglich. Ausserdem braucht man etwas Durchhaltevermögen, um die Charaktere mit all ihren Eigenschaften kennenzulernen. Die interessante Vergangenheit der einzelnen Personen wird tatsächlich nur langsam und sehr verkürzt durch einen Blick von außen, fast nur in Nebensätzen, zum Ende des Filmes vermittelt, die überraschenden, tatsächlichen Beziehungen der Familienangehörigen zueinander hingegen, als sich eines der Kinder beim Diebstahl erwischen lässt.

Doch trotz aller Widrigkeiten, und das macht diesen Film auch so toll, verliert er nie den Glauben daran, dass die Familie zusammenhalten wird, egal wo die einzelnen Personen auch sein mögen. Das ist alles ist in seiner Authentizität wunderbar eindrücklich und rechtfertigt alle Preise die der Film bekommen hat. Die Darsteller mit ihrem bewegenden sowie glaubwürdigem Schauspiel und das Ende des Films verhindern glücklicherweise, dass das alles als zu derbe sozialkitsch verkommt. In Sachen Mitmenschlichkeit kann man viel von diesen Menschen lernen, auch wenn diese Wunschfamilie offensichtlich nach ihren ganz eigenen Regeln lebt und Shota die scheinbar perfekte Fassade bröckeln lässt. Er allein beginnt die Absichten der Erwachsenen kritisch zu hinterfragen und rettet damit seine neu hinzugewonnene "Schwester". Unaufgeregt vermittelt Koreeda in "Shoplifters" mit einer rührenden und herzzerreißenden Geschichte die wahren Familienwerte in einer tristen und zugleich bunten Welt. Ganz großes Gefühlskino.

Im Spiegel ist dazu noch folgende Aussage zu finden, welche hier zitiert werden soll:
"Was macht eine Familie aus? ist die unausgesprochene zentrale Frage, die den Zuschauer durch den Film begleitet. Die Frage, die Nobuyo konkret in einer der letzten Szenen der sie verhörenden Polizistin vorlegt, lautet: "Macht eine Geburt einen schon zur Mutter?" Bis dahin, so Sven von Redens Urteil, habe der Film die Antwort darauf längst gegeben: Nicht Biologie und "Blut" seien entscheidend, sondern Zuneigung und Liebe. "Familie ist nicht etwas, in das man hineingeboren wird. Es ist etwas, das man jeden Tag erst durch sein Handeln erschafft."

9/10

Quellen
Inhaltsangabe: Wild Bunch
Textauszüge: Spiegel

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