Montag, 6. Februar 2023

Just Mercy (2019)

https://www.imdb.com/title/tt4916630/

Als junger, vielversprechender Anwalt kann sich Bryan Stevenson (Michael B. Jordan) nach seinem Abschluss in Harvard aussuchen, wo er arbeitet. Sein Antrieb ist aber nicht etwa die Möglichkeit, viel Geld zu verdienen, sondern vor allem denen zu helfen, die seine Hilfe ganz besonders brauchen. Er geht nach Alabama, wo er sich an der Seite von Anwältin Eva Ansley (Brie Larson) für zu unrecht Verurteilte einsetzt - und macht mit einem seiner ersten Fälle gleich Schlagzeilen: Denn Walter McMillian (Jamie Foxx) soll einen grausamen Mord begangen haben, für den er zum Tode verurteilt wurde. Und das obwohl ausreichend Beweise für seine Unschuld vorliegen. Belastet wird der angebliche Täter nur durch die Aussage eines Kriminellen, der auch noch guten Grund hat, zu lügen. Doch Bryan lässt nicht locker und nimmt sich in seinen ersten Berufsjahren zahlreichen Fällen mit geringen Erfolgschancen an, die ihn immer wieder mit offengelegtem Rassismus konfrontieren...

Regisseur Destin Daniel Crettons zeitgemäßes Justizdrama basiert auf den Memoiren des Aktivisten Bryan Stevenson aus dem Jahr 2014 mit dem Untertitel "Eine Geschichte von Gerechtigkeit und Erlösung" und ist größtenteils so bewundernswert unaufdringlich wie sein Thema. Es verzichtet weitgehend auf dramatische Reden zugunsten einer ruhigeren Kontextualisierung und bietet eine bewegende, sachliche Darstellung des Kampfes eines Mannes, der den zum Schweigen gebrachten, enteigneten Insassen der Todeszellen eine Stimme verleiht. Wie das Buch rahmt auch der Film seine umfassende Geschichte von Armut, Vorurteilen und institutionellem Rassismus in einen berüchtigten Justizirrtum ein - den Fall von Walter McMillian, einem Afroamerikaner, der für ein Verbrechen zum Tode verurteilt wurde, das er offensichtlich nicht begangen hat. Doch wie das intelligent zugängliche Drehbuch von Cretton und Andrew Lanham deutlich macht, ist McMillians Fall nicht das ganze Bild; vielmehr ist er ein totemhaftes Beispiel dafür, wie ein sozioökonomisches System, das im Schmelztiegel der Sklaverei geschmiedet wurde, immer noch die Fesseln seiner Vergangenheit trägt.

Der Film beginnt im Jahr 1987 in Monroe County, Alabama, wo der Holzfäller McMillian (ein fast unerkennbar unscheinbarer Jamie Foxx) wegen des Mordes an der weißen Teenagerin Ronda Morrison verhaftet wird. Auf Plakatwänden wird Monroeville als Heimatstadt von Harper Lee angepriesen ("Schauen Sie sich das Mockingbird-Museum an", sagt Rafe Spalls Staatsanwalt, "es ist eines der großen Wahrzeichen für die Bürgerrechte des Südens"), aber der Geist von Atticus Finch scheint in diesen Hallen der Justiz nicht zu spuken. Während der in Harvard ausgebildete Stevenson (Michael B. Jordan) beginnt, Insassen der Todeszelle zu verteidigen, wartet McMillian - auch bekannt als Johnny D. - auf seine Hinrichtung und hat wenig Hoffnung auf Begnadigung und noch weniger Vertrauen in die Anwälte. Als Mitbegründer der Equal Justice Initiative (EJI) ist Stevenson jedoch entschlossen, etwas zu ändern, und trotz der anfänglichen Ablehnung durch seinen potenziellen Mandanten macht er sich auf den Weg in McMillians verarmtes Viertel, um die Freunde und die Familie zu treffen, die wissen, dass er es nicht geschafft hat.

Für diejenigen, die mit den glaubwürdigen Details des realen Falles (der 1992 in der US-Nachrichtensendung "60 Minutes" gezeigt wurde) noch nicht vertraut sind, möchte ich es dem Film überlassen, seinen verfahrenstechnischen Zauber zu entfalten, da die Enthüllung der wichtigsten Fakten die Verurteilung durch den Staat untergräbt. Es genügt zu sagen, dass es nicht lange dauert, bis alles zusammenbricht und sich die Feindseligkeit einer (zivilen und juristischen) Gemeinschaft zuzieht, die sehr daran interessiert ist, den Fall Morrison unter Verschluss zu halten. Auf Plakaten für "Just Mercy" prangen Zitate, die zu Recht die "Oscar-würdigen" Leistungen des Films preisen, und es ist leicht, seine Abwesenheit bei den Nominierungen als weiteren Beweis dafür zu sehen, dass #OscarsSoWhite immer noch gilt - ein Gefühl, das durch den ähnlich deprimierenden Mangel an Anerkennung für herausragende Leistungen von Lupita Nyong'o, Jennifer Lopez, Awkwafina, Song Kang-ho und anderen im Jahr 2019 verstärkt wird. Dass Crettons Film übersehen wird, könnte aber auch damit zu tun haben, dass er keine Oscar-freundliche Effekthascherei betreibt und im Gegensatz zum Gewinner von 2018 "Green Book" erschreckend zeitgemäß wirkt.

In seinem ausgezeichneten Interview mit Stevenson aus dem Jahr 2015 für diese Zeitung mit der Überschrift "America's Mandela" (ein von Erzbischof Desmond Tutu geprägter Begriff) verweist Tim Adams wiederholt auf Stevensons gewohnte Untertreibung jeglicher Vorstellung von Heldentum, beschreibt ihn als "ruhig und genau" sprechend und bemerkt den "gemessenen, anekdotischen" Stil seines Schreibens im Angesicht von "kaum glaublicher Unmenschlichkeit". Diese Attribute passen zu Crettons filmischem Lebenslauf, der bis zu seinem Spielfilmdebüt aus dem Jahr 2013 zurück reicht. Brie Larson arbeitet in "Just Mercy" erneut mit Cretton zusammen, und zwar in der entscheidenden, aber unauffälligen Rolle der EJI-Mitbegründerin Eva Ansley. Es ist eine trotzig unauffällige Nebenrolle, die dazu beiträgt, die Geschichte zu erzählen, ohne jemals im Rampenlicht zu stehen. Andere Ensemble-Rollen sind ebenso wenig auf sich selbst bezogen, eine Eigenschaft, die sich normalerweise als Kryptonit für die Preisverleiher erweist. O'Shea Jackson Jr. und Rob Morgan sind absolut überzeugend als Anthony Ray Hinton und Herbert Richardson, Mitgefangene in der Todeszelle, deren Schuld oder Unschuld zweitrangig wird gegenüber dem grotesken Schreckgespenst der Todesstrafe, das ebenso eindrucksvoll heraufbeschworen wird wie in Tim Robbins' Oscar-gekröntem Drama "Dead Man Walking" von 1995. Darrell Britt-Gibson verleiht der Rolle des widerstrebenden Zeugen Darnell Houston eine nervöse Energie, während Tim Blake Nelson als McMillians Hauptankläger überzeugend aus der Form gerät. Was Foxx und Jordan betrifft, so zahlt sich ihre zurückgenommene Disziplin aus und verleiht den wenigen Momenten (ein Showdown im Gerichtssaal, ein Zusammenbruch im Gefängnis), in denen Cretton kurzzeitig die Dramatik erhöht, mehr Gewicht - mit einem insgesamt mitreißendem Ergebnis. 

8,5/10

Quellen
Inhaltsangabe: Warner Bros.
Textauszüge: The Guardian / Wikipedia

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