Mittwoch, 11. Januar 2023

Murder On The Orient Express - Mord im Orient-Express (2017)

Für die Rückreise von einem seiner Fälle nimmt Hercule Poirot (Kenneth Branagh) den legendären Orient-Express. An eine gemütliche Zugfahrt ist aber nicht lange zu denken, stattdessen hat der berühmte Meisterdetektiv bald wieder Arbeit: Ein Passagier wird ermordet und damit ist klar, dass einer der übrigen Reisenden der Täter sein muss. Die spanische Missionarin Pilar Estravados (Penélope Cruz), die Gouvernante Mary Debenham (Daisy Ridley), Professor Gerhard Hardman (Willem Dafoe), die Witwe Mrs. Hubbard (Michelle Pfeiffer) und der Doktor Arbuthnot (Leslie Odom Jr.) sind alle verdächtig. Doch bald wird Poirot klar, dass er den Fall nicht lösen wird, wenn er mehr über die möglichen Täter erfährt. Er muss mehr über das Opfer herausfinden - und sich beeilen, damit der Killer nicht nochmal zuschlägt...

Die Neuverfilmung des Klassikers "Mord im Orient-Express" von Regisseur Kenneth Branagh leidet unter dem Wahn, dass filmische Qualität allein durch nahmhafte Schauspieler zu holen ist. Und namhaft ist die Besetzung durchaus: Judi Dench, Michelle Pfeiffer, Johnny Depp und Penélope Cruz sind schon bedeutsame Persönlichkeiten, ebenso wie Kenneth Branagh selbst, der nicht weniger wie die Hauptrolle spielt. Dazu gesellen sich Daisy Ridley, Josh Gad, Derek Jacobi und viele andere. Wenn Filme wirklich nur von Namen abhängig wären - dies wäre ein Meisterwerk. Aber "Mord im Orient-Express" beweist, dass es eben nicht so ist. Branaghs Nacherzählung der klassischen Agatha-Christie-Geschichte ist ohne Abschweife visuell prächtig, aber ansonsten träge, eine Reihe von Auftritten von Darstellern, die viel zu begabt sind, um ihre Zeit auf diese Weise zu verschwenden. Eigentlich sollte man generell verbieten, beispielsweise eine Judi Dench in einem Film zu besetzen und ihr dann praktisch nichts zu tun zu geben. Kurz: dieser Film präsentiert eine All-Star-Besetzung in historischen Kostümen, von denen jeder seine Starqualitäten unterdrücken muss, um Teil dieser Besetzung zu sein.

Dabei handelt es sich bei der Story um Agatha Christies wohl besten Krimi aus dem Jahr 1934, in dem es um einen grausamen Mord an Bord eines Zuges geht, der im Schnee stecken geblieben ist. 

Die Handlung sollte selbst denjenigen vertraut sein, die weder den Roman gelesen noch Sidney Lumets berühmte Verfilmung von 1974 mit Albert Finney in der Hauptrolle gesehen haben: Wir schreiben das Jahr 1935, und 13 scheinbar Fremde teilen sich einen Waggon im Zug von Istanbul nach Calais. Einer von ihnen wird in seinem Abteil mit einem guten Dutzend Stichen ermordet, und die übrigen sitzen im Zug fest, weil eine Schneewehe die Gleise blockiert hat. Stellt sich die Frage: wer von ihnen ist der Mörder? Glücklicherweise ist auch der berühmte Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) unter ihnen, und er wird das Rätsel lösen. Der Film beginnt mit einer Einführungsszene, in der Poirot ein Rätsel lösen soll, in das ein Priester, ein Rabbi und ein Imam verwickelt sind - ja, der obligatorische Witz über das Betreten einer Bar wird gemacht - und der Diebstahl einer heiligen Reliquie. Dabei lernen wir Hercule Poirot kennen, einen eingefleischten Perfektionisten: Er misst zum Frühstück seine beiden gekochten Eier sorgfältig ab, um sicherzugehen, dass sie gleich groß sind; nachdem er mit einem Fuß in einen Misthaufen getreten ist, stellt er auch den anderen Fuß vorsichtig hinein, um das "Gleichgewicht" zu wahren (im philosophischen und nicht im gehenden Sinne). Auf die Frage, wie es ihm gelingt, selbst die verborgensten Wahrheiten zu erkennen, antwortet er: "Ich kann die Welt nur so sehen, wie sie sein sollte. Und wenn sie nicht so ist, sticht die Unvollkommenheit hervor wie die Nase in einem Gesicht."

Der Film ist eine einigermaßen getreue Adaption des Romans, und einige seiner Variationen sind Verbesserungen. Zwei Figuren - ein Arzt und ein Soldat - werden sinnvollerweise zu einer verschmolzen, und eine zweite Messerstecherei wird mit gutem Effekt eingeführt. Andere Änderungen wirken leider eher wie Zugeständnisse an das Temperament der Zeit: eine Verfolgungsjagd über die Stützpfeiler einer Alpenbrücke, ein Kampf und eine Schusswunde, eine sinnlose Hintergrundgeschichte über Poirots verlorene Liebe und ein ausgedehntes moralisches Händeringen, sobald das Rätsel gelöst ist. Die altmodische, luxuriöse Aufmachung des Films ist eine Hommage an Sidney Lumets eigene, mit A-Promis gespickte Version aus dem Jahr 1974 - mit Albert Finney als eher dyspeptischem und grimmigem Poirot - und der Film scheint das Fahrwasser für ein lukratives neues Franchise auszutesten, denn das nächste Rätsel ist "Tod auf dem Nil". Dieser "Mord im Orient-Express" gibt der Geschichte eine etwas modernere Perspektive; einige Charaktere wurden umgestaltet und die Einstellungen der Epoche in Frage gestellt, obwohl es zu Beginn einen süffisanten Gag über eine fröhliche Prostituierte gibt. Zwei Figuren spielen merkwürdigerweise auf einen ernsthaften Streit an, den sie angeblich über den "Stalinismus" geführt haben, wobei keineswegs klar ist, wer dafür und wer dagegen ist.

Aber die größte Abweichung von der Vorlage ist in der Person von Poirot selbst zu finden. Christies Poirot war eine etwas komische Figur, ein kleiner Mann (fünf Fuß vier, um genau zu sein) mit einem Kopf, der "genau die Form eines Eies" hatte, und einem akribisch gewachsten Schnurrbart, der sich in zwei Spitzen nach oben wölbte. Branaghs Poirot behält den Schnurrbart bei - ja, er treibt ihn sogar ins Absurde, indem er sich zu sechs Spitzen wölbt -, aber ansonsten sieht er ziemlich genau so aus wie der Filmstar Kenneth Branagh. Er hat sich angewöhnt, wie Sherlock Holmes, Fremde zu beeindrucken, indem er ihre Herkunft und ihren Beruf anhand winziger körperlicher Details errät. Und wie Holmes ist auch er ein Meister des körperlichen Kampfes geworden. Diese platte heroische Darstellung von Christies kauzigem kleinen belgischen Detektiv wäre vielleicht weniger ärgerlich, wenn sie nicht den Beigeschmack der Eitelkeit des Regisseurs hätte. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass Branagh sich selbst mehr Leinwandzeit einräumt als all seinen illustren Mitspielern zusammen. Letzteres lässt sich wohl nur schwer vermeiden: Auch Finney dominierte die Starbesetzung der Version von 1974. Dies erscheint ein wenig unfair gegenüber Branagh, aber das ist der Drahtseilakt, den man bei Filmen, die in Eigenregie gedreht werden und Blockbuster werden sollen, vollführen muss.

Dieser "Mord im Orient-Express" versucht auch, die Dinge ein wenig aufzulockern, indem sie ein paar waghalsige Aktionen im eisigen Schnee inszeniert, bevor sich die Leute klugerweise in den warmen Wagen zurückziehen. Bezeichnenderweise geschehen diese Momente vor dem Mord, dessen Entdeckung auf verblüffend indirekte Weise gefilmt wird. Branagh inszeniert eine auffällige Draufsicht auf die Köpfe der Leute, die in das Abteil des Opfers einbrechen, und der Schockfaktor der Enthüllung der blutigen Leiche geht verloren, ohne dass dadurch viel an Subtilität oder indirekter Enthüllung gewonnen wird.
 
Mit der Ankündigung des Mordes wird das erzählerische Uhrwerk als in Gang gesetzt angenommen. Und doch ist es eher wie mit der Taschenuhr des Opfers, die bei der Gewaltanwendung zertrümmert wurde und nicht mehr funktioniert, wodurch Poirot einen entscheidenden Hinweis auf den Todeszeitpunkt erhält. Irgendetwas an der Geschichte selbst ist in diesem Moment tot und wird erst mit der großen Enthüllung am Ende wiederbelebt, für die Poirot die Verdächtigen draußen versammelt, die alle an einer Art "Letztes Abendmahl" an einem Tisch sitzen. Es muss eine Qual gewesen sein, dieses Ding im Zug mitzuschleppen, aber am Ende war es doch ganz nützlich. "Mord im Orient-Express" ist damit kein schlechter Film per se, nur eben einer, der sich selbstgefällig und völlig unnötig anfühlt. Und das, obwohl Austattung, Setting, Schauspieler, Kostüme usw. vollkommen stimmen.

6,5/10

Quellen
Inhaltsangabe: Twentieth Century Fox

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