Für die Rückreise von einem seiner Fälle nimmt Hercule Poirot (Kenneth Branagh) den legendären Orient-Express. An eine gemütliche Zugfahrt ist aber nicht lange zu denken, stattdessen hat der berühmte Meisterdetektiv bald wieder Arbeit: Ein Passagier wird ermordet und damit ist klar, dass einer der übrigen Reisenden der Täter sein muss. Die spanische Missionarin Pilar Estravados (Penélope Cruz), die Gouvernante Mary Debenham (Daisy Ridley), Professor Gerhard Hardman (Willem Dafoe), die Witwe Mrs. Hubbard (Michelle Pfeiffer) und der Doktor Arbuthnot (Leslie Odom Jr.) sind alle verdächtig. Doch bald wird Poirot klar, dass er den Fall nicht lösen wird, wenn er mehr über die möglichen Täter erfährt. Er muss mehr über das Opfer herausfinden - und sich beeilen, damit der Killer nicht nochmal zuschlägt...
Die Neuverfilmung des Klassikers "Mord im Orient-Express" von Regisseur Kenneth Branagh leidet unter dem Wahn, dass filmische Qualität allein durch nahmhafte Schauspieler zu holen ist. Und namhaft ist die Besetzung durchaus: Judi Dench, Michelle Pfeiffer, Johnny Depp und Penélope Cruz sind schon bedeutsame Persönlichkeiten, ebenso wie Kenneth Branagh selbst, der nicht weniger wie die Hauptrolle spielt. Dazu gesellen sich Daisy Ridley, Josh Gad, Derek Jacobi und viele andere. Wenn Filme wirklich nur von Namen abhängig wären - dies wäre ein Meisterwerk. Aber "Mord im Orient-Express" beweist, dass es eben nicht so ist. Branaghs Nacherzählung der klassischen Agatha-Christie-Geschichte ist ohne Abschweife visuell prächtig, aber ansonsten träge, eine Reihe von Auftritten von Darstellern, die viel zu begabt sind, um ihre Zeit auf diese Weise zu verschwenden. Eigentlich sollte man generell verbieten, beispielsweise eine Judi Dench in einem Film zu besetzen und ihr dann praktisch nichts zu tun zu geben. Kurz: dieser Film präsentiert eine All-Star-Besetzung in historischen Kostümen, von denen jeder seine Starqualitäten unterdrücken muss, um Teil dieser Besetzung zu sein.
Dabei handelt es sich bei der Story um Agatha Christies wohl besten Krimi aus dem Jahr 1934, in dem es um einen grausamen Mord an Bord eines Zuges geht, der im Schnee stecken geblieben ist.
Der Film ist eine einigermaßen
getreue Adaption des Romans, und einige seiner Variationen sind
Verbesserungen. Zwei Figuren - ein Arzt und ein Soldat - werden
sinnvollerweise zu einer verschmolzen, und eine zweite Messerstecherei
wird mit gutem Effekt eingeführt. Andere Änderungen wirken leider eher
wie Zugeständnisse an das Temperament der Zeit: eine Verfolgungsjagd
über die Stützpfeiler einer Alpenbrücke, ein Kampf und eine Schusswunde,
eine sinnlose Hintergrundgeschichte über Poirots verlorene Liebe und
ein ausgedehntes moralisches Händeringen, sobald das Rätsel gelöst ist. Die altmodische, luxuriöse Aufmachung des Films ist eine Hommage an Sidney Lumets eigene, mit A-Promis gespickte Version aus dem Jahr 1974 - mit Albert Finney als eher dyspeptischem und grimmigem Poirot - und der Film scheint das Fahrwasser für ein lukratives neues Franchise auszutesten, denn das nächste Rätsel ist "Tod auf dem Nil". Dieser "Mord im Orient-Express" gibt der Geschichte eine etwas modernere Perspektive; einige Charaktere wurden umgestaltet und die Einstellungen der Epoche in Frage gestellt, obwohl es zu Beginn einen süffisanten Gag über eine fröhliche Prostituierte gibt. Zwei Figuren spielen merkwürdigerweise auf einen ernsthaften Streit an, den sie angeblich über den "Stalinismus" geführt haben, wobei keineswegs klar ist, wer dafür und wer dagegen ist.
Aber die größte Abweichung von der Vorlage ist in der Person von Poirot selbst zu finden. Christies Poirot war eine etwas komische Figur, ein kleiner Mann (fünf Fuß vier, um genau zu sein) mit einem Kopf, der "genau die Form eines Eies" hatte, und einem akribisch gewachsten Schnurrbart, der sich in zwei Spitzen nach oben wölbte. Branaghs Poirot behält den Schnurrbart bei - ja, er treibt ihn sogar ins Absurde, indem er sich zu sechs Spitzen wölbt -, aber ansonsten sieht er ziemlich genau so aus wie der Filmstar Kenneth Branagh. Er hat sich angewöhnt, wie Sherlock Holmes, Fremde zu beeindrucken, indem er ihre Herkunft und ihren Beruf anhand winziger körperlicher Details errät. Und wie Holmes ist auch er ein Meister des körperlichen Kampfes geworden. Diese platte heroische Darstellung von Christies kauzigem kleinen belgischen Detektiv wäre vielleicht weniger ärgerlich, wenn sie nicht den Beigeschmack der Eitelkeit des Regisseurs hätte. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass Branagh sich selbst mehr Leinwandzeit einräumt als all seinen illustren Mitspielern zusammen. Letzteres lässt sich wohl nur schwer vermeiden: Auch Finney dominierte die Starbesetzung der Version von 1974. Dies erscheint ein wenig unfair gegenüber Branagh, aber das ist der Drahtseilakt, den man bei Filmen, die in Eigenregie gedreht werden und Blockbuster werden sollen, vollführen muss.
6,5/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Twentieth Century Fox
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