Mitten in der Nacht lernt die junge Spanierin Victoria (Laia Costa) vor einem Club in Berlin die vier Freunde Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yigit) und Fuß (Max Mauff) kennen. Schnell kommen sich die Frau aus Madrid und der draufgängerische Sonne näher. Doch für die Jungs fängt die Nacht gerade erst an. Um eine Schuld bei Gangster Andi (André M. Hennicke) begleichen zu können, sehen sich die Vier gezwungen, eine krumme Sache durchzuziehen. Als einer aus der Gruppe schließlich unerwartet ausfällt, soll ausgerechnet Victoria als Fahrerin bei der heiklen Unternehmung einspringen. Was für sie zunächst wie ein spannendes Abenteurer klingt, entwickelt sich rasch zum Albtraum, denn der geplante Coup geht gründlich schief und das junge Glück von Victoria und Sonne wird knallhart auf die Probe gestellt...
Eine einzige Kamera. Ein einziger 140-minütiger Take. Eine einzige Nacht. Gedreht mit einer handlichen Canon C300 am 27.April 2014 zwischen 4:30 und 7:00 Uhr in Berlin Kreuzberg und Mitte. Ein einziger langer Shot ohne Schnitte, der einer bis dato gemächlichen und selbstgefälligen Deutschen Filmszene den Boden unter den Füßen wegzieht. Das Drehbuch zu Sebastian Schipper's One-Shot-Wunder "Victoria" zählte gerade einmal 12 Seiten, sodas der Cast,- allen voran Frederick Lau (Sonne) und Lara Costa (Victoria)-, einen Großteil der Dreharbeiten, in die minutiöse Vorbereitung der Abläufe investierten. Kameramann Sturla Brandth Grøvlen brauchte nur ganze drei komplette Durchläufe, bis er das Ding dann auch im Kasten hatte. Und die Kamera in "Victoria" ist ein sehr wichtiger und eigenständiger Protagonist. Sie ist so dicht an den Figure drann, das man schon nach kurzer Zeit das Gefühl hat, Teil dieser tragischen Gemeinschaft zu sein, die sich "Schritt für Schritt", immer weiter ins Verdeben manövriert. Kurz und gut: "Victoria" ist das beste Beispiel dafür, was dabei herauskommen kann, wenn man ein ambitioniertes Team einfach mal seine Vision umsetzen lässt.
Die zum großen Teil improvisieren Dialoge wirken organisch und tragen ganz entscheidend zur Authentizität des Films bei. Schipper versteht es, den Zuschauer von den ersten Minuten in einem beliebigen Berliner Club mitzunehmen und dabei das Gefühl der Suche nach Zugehörigkeit zu vermitteln, auch wenn manche Situationen weniger aufgeschlossenen Mneschen sicherlich sonderbar erscheinen. Dass sich ein junges Mädchen Hals über Kopf auf einen solchen trip einlässt, der schon von Beginn an Unbehagen verbreitet, macht die ganze Geschichte nicht mehr glaubwürdiger. Doch nimmt man dies als gegeben, so ist "Victoria" ein ziemlich genialer Beitrag zum Genrekino. Hier wird eben nicht nur oberflächlich konstruiert, wie man das so oft im deutschen Film sehen kann, nein, hier wird man durch eine berauschende Mischung aus Naivität und charakteristischen Tiefgängen überrascht. Dabei kann der fehlende Schnitt den wahren Kern der einzelnen Figuren einfangen und die Darsteller in natürlichen Dialogen aufeinander prallen lassen.
Es ist eine Sache, einen Film ohne Schnitt zu drehen. Aber dass der
Film auch noch eine unfassbar spannende Geschichte erzählt ist eine
große Meisterleistung. Der Film vermittelt ein sehr authentisches Bild von Berlin
und während "Victoria" sehr harmlos beginnt, wird er von Minute zu Minute
intensiver, bis er schließlich in einem atemberaubenden Finale endet.
Laia Costa als titelgebende Victoria ist überwältigend. Obwohl sie kein deutsch
spricht und die Dialoge zum größten Teil auf englisch gehalten werden,
ist sie im totalen Einklang mit den anderen Figuren. Sie wirkt schlicht real und auch wenn der ein oder andere ihre Entscheidungen für
fragwürdig halten mag, so ist ihr Vorgehen komplett nachvollziehbar.
Frederik Lau spielt sich auf Anhieb sympathisch in die Herzen der Zuschauer und zu keinem
Zeitpunkt hat man das Gefühl, dass er das alles nur spielt. In nichts stehen Franz
Rogowski, Burak Yigit als auch Max Mauff den beiden in etwas nach. Authentisch, realistisch und ganz nah an den Charakteren
dran. "Victoria" ist grandios. Ein fiebriger, sentimentaler, aber auch
sehnsuchtsvoller Film über Freundschaft bis in den Tod, Loyalität und
den Wunsch, nicht allein und verloren in dieser Welt zu sein. Der
Stil ist brillant und dadurch, dass der Film keinen Schnitt hat, wirkt
er beinahe schon wie eine Reality-Dokumentation. Kleinere Längen mag man ihm da gerne verzeihen.
8/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Senator
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