Im November 2016 verändert ein Tag nicht nur Amerika, sondern die ganze Welt grundlegend, als der exzentrische Milliardär und Republikaner Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gegen die demokratische Favoritin Hillary Clinton gewinnt. Damals rechnete niemand mit seinem Sieg, der einem schmutzigen und krawalligen Wahlkampf folgte. Der oscarprämierte Regisseur Michael Moore („Bowling For Columbine“, „Fahrenheit 9/11“) ergründet in seinem neuen Dokumentarfilm daher wie es nur passieren konnte, dass der reiche Unternehmer an der Spitze der Macht landen konnte. Er offenbart die Umstände und Mechanismen, die zum Sieg geführt haben und beschäftigt sich provokant und unterhaltsam mit den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Trumps Machtergreifung. Dabei rechnet er nicht nur mit dem umstrittenen Sieger ab, sondern übt auch besondere Kritik an den Demokraten, die durch ihr Versagen Trumps Präsidentschaft erst ermöglichten.
"How the fuck did this happen?" fragt Michael Moore nach einigen Minuten seiner neuen Dokumentation "Fahrenheit 11/9". Schon das Intro des Films, in dem der Regisseur die frühen Morgenstunden des 09. Novembers 2016 noch einmal Revue passieren lässt, in denen Donald Trump offiziell zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt wurde, kommt einer ernüchternden Ratlosigkeit gleich, der Moore in den nachfolgenden gut 2 Stunden auf den Grund gehen will. Bereits im Oktober 2016 veröffentlichte der Dokumentarfilmer überraschend ein kurzes Werk namens "Michael Moore in TrumpLand", das den Wahlkampf des damaligen Präsidentschaftskandidaten thematisierte. Schon hier war hingegen klar, dass das nur 73 Minuten lange Statement nicht alles gewesen sein konnte. Über zwei Jahre später folgt mit "Fahrenheit 11/9" nun der fast eine Stunde längere Nachschlag, in dem sich Moore mit einem Amerika, seinem Amerika auseinandersetzt, das in jüngster Vergangenheit längst zu einem TrumpLand geworden ist.
Ähnlich gespalten und chaotisch wie die Lage der US-Nation fällt die neueste Dokumentation des Regisseurs zunächst aus.
Mit Trump hat sich Moore einen Gegner ausgesucht, dem er lange Zeit nicht gewachsen zu sein scheint. Alles, was es an absurden Fakten und haarsträubenden Details über den derzeitigen Präsidenten von Amerika an die Öffentlichkeit zu zerren gibt, befindet sich dort bereits, noch dazu oftmals von ihm selbst ans Tageslicht der öffentlichen Aufmerksamkeit befördert. Offensiv bündelt Moore nach einer kurzen Chronologie von Trumps Aufstieg als TV-Star zum Präsidenten noch einmal besonders verheerende Erkenntnisse wie beispielsweise die auffällig unangenehme Nähe von Trump zu dessen Tochter Ivanka, der Moore ohne großen Kommentar ein inzestuöses Begehren verleiht, während er parallel die Medien für dessen großen Erfolgszug anprangert.
Erst nach gut einer halben Stunde findet der Regisseur mit "Fahrenheit 11/9" dagegen zunehmend mehr in eine erzählerische Spur. Sobald sich Moore nicht mehr nur auf Trump selbst, sondern auf den Weg dahin fokussiert, gewinnt die Dokumentation an gewohnter Schärfe und Profil. Ohne eine einseitige Verurteilung der Republikaner wirft der Regisseur ebenso einen überaus kritischen Blick auf die Manipulation der Vorwahlen durch die Demokraten und das damit verbundene Ausscheiden des eigentlichen Favoriten Bernie Sanders, der sich gegen Hillary Clinton geschlagen geben musste. Besonders eindringlich wird der Film, sobald sich Moore zudem seiner Heimatstadt Flint in Michigan und der dort verursachten Wasserkrise zuwendet, bei der über 100.000 Einwohner mit vergiftetem Trinkwasser extrem schwer belastet wurden. Spätestens hier, wenn Moore das alleinige Verschulden des republikanischen Gouverneurs Rick Snyder als einen Akt bloßstellt, der jegliche Form von terroristischem Plan übertrumpft, ist "Fahrenheit 11/9" kein bloßer Film über Trump mehr, sondern eine ernüchternde Anklage eines verrotteten politischen Systems, das ganz Amerika ins Verderben gestürzt hat.
Selbst den vorangegangenen Präsidenten Barack Obama, der für den hohen afroamerikanischen Bevölkerungsteil von Flint einst als Hoffnungsträger galt, enttarnt der Regisseur als enttäuschenden Rückschlag, wenn dieser bei Aufnahmen öffentlicher Auftritte vor der Bevölkerung Flints vor der nötigen Verantwortung zurückweicht. Wie alle Filme von Moore ist auch "Fahrenheit 11/9" bei näherer Betrachtung mit Vorsicht zu genießen. Der angriffslustige Polemiker wirkt in seinem aktuellen Werk zwar weitaus weniger angriffslustig und dafür wesentlich resignierter als zuletzt. Dafür bedient sich der extrem linke Filmemacher auch hier wieder einiger reißerischer, undifferenzierter Methoden, bei denen er beispielsweise Trump kurz vor dem Finale wenig überraschend mit Adolf Hitler höchstpersönlich gleichsetzt und Interviews mit Leuten führt, die sich exakt in seine persönliche politische Überzeugung einfügen.
Nichtsdestotrotz ist "Fahrenheit 11/9" am Ende vor allem auch ein flammender Aufruf für verstärkten politischen Aktivismus, der klar Stellung beziehen und nach Veränderung streben soll. Das bewegendste und gleichzeitig menschlichste Argument hierfür entdeckt Moore bei seiner Auseinandersetzung mit dem Parkland-Schulmassaker. Ausgerechnet die jüngeren Einwohner der amerikanischen Bevölkerung verhelfen dem Regisseur schließlich doch noch zu einem leisen Optimismus hinsichtlich eines Landes, das womöglich längst untergangen ist.
8/10
Inhaltsangabe: Weltkino
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen