Miyabi (Kaho Seto) hat ihre einzige Tochter bei einem Unfall verloren. Nach dem Tod ihrer Tochter hat sie sich scheiden lassen. Sie arbeitet jetzt als Callgirl und lebt mit ihrem neuen Freund zusammen. Eines Tages trifft sie einen seltsamen Kunden namens Oka (Satoshi Oka), der sie bittet, ein Foto von ihrer Wirbelsäule machen zu lassen. Sie tut, was der Mann sagt, und lässt sich von ihm fotografieren, aber dann verlangt er ein Foto von ihren Füßen. Seitdem macht der Mann jedes Mal ein Foto von Miyabi. Eines Tages, als Miyabi zu Hause ist, spürt sie, wie eine kleine Hand ihr Bein streichelt. Sie ahnt, dass es sich um ihre tote Tochter handelt, und erkennt, dass jedes Mal, wenn ein Körperteil fotografiert wird, dieser Teil des Körpers den Geist ihrer Tochter wahrnimmt. Der letzte verbliebene Teil ihres Körpers sind ihre Augen...
22 Uhr (oder eben auf dem FantasyFilmFest nights am Ende des zweitens Tages) ist defintiv die falschen Zeit für den behäbigen und durch Bildsprache definierten japanischen Film des Regisseurs Keishi Kondo. "New Religion" ist sowohl eine beunruhigende Mystery-Horror-Erzählung als auch ein echtes und tief empfundenes Liebesdrama. Dass dieser Film anders sein wird, zeigt sich schon in der Anfangsszene, wenn man minutenlang mit Bildern konfontiert wird, die so (noch) gar keinen Sinn ergeben wollen und als darauf Miyabi, die Protagonistin des Films, feststellt, dass sie schon seit einiger Zeit nicht mehr auf ihre kleine Tochter Aoi aufgepasst hat. Ohne jeglichen Trommelwirbel wird ihr und dem Publikum klar, dass das Kind vom Balkon gestürzt und nun tot ist. Regisseur Keishi Kondo wechselt fast sofort in eine spätere Zeit, in der Miyabi in derselben Wohnung, aber mit einem neuen Freund lebt und verzweifelt versucht, die Ereignisse der Vergangenheit zu überwinden. Gleichzeitig arbeitet sie als Callgirl, um ihren Lebensstil aufrechtzuerhalten, doch da die Geschichte in der Covid-Ära spielt, ist auch diese Branche im Niedergang begriffen. Eine ihrer Angestellten, die ziemlich labil zu sein scheint, verliert schließlich völlig den Verstand, was dazu führt, dass Miyabi einen ihrer Stammkunden, Oka, anstellt.
Der Film ist von einer geheimnisvollen Atmosphäre durchdrungen, und die
suggestiven Bilder und Zeichen sind ebenso verlockend wie beunruhigend.
Und unter dem visuellen Gewebe verbirgt sich eine
Kombination von verschiedenen Zeichen, die die Erzählung in eine
Gesellschaftskritik verwandelt. Einer der Gründe, warum man "New Religon" eigentlich als interessant empfinden sollte. Kondos Erzählung ist die Enthüllung von zwei miteinander verbundenen Rätseln.
Das erste Rätsel betrifft den Wahrheitsgehalt von Akaris
halluzinatorischer Schutzphantasie, das zweite
betrifft den Zusammenhang zwischen dem plötzlichen Ausbruch einer
solchen verkörperten Fantasie und ihrem Amoklauf. Kurz darauf fügt Kondo
ein weiteres erzählerisches Element hinzu, um den Zuschauer weiter zu
verwirren: Okas Besessenheit vom Fotografieren
von Gliedmaßen und anderen Körperteilen.
In einem schon bald zermürbenden
Stil des "langsamen Terrors" erschafft Keishi Kondo eine Welt, in der
alles ein Symbol zu sein scheint und Realität, Traum, Albtraum,
Vergangenheit und Zukunft nebeneinander existieren. Das Ergebnis ist äußerst kompliziert, und bald schon wartet man auf den entscheidenden Schlusspunkt oder zumindest eine Pointe, die sich aber nie einstellt. Kondo schafft eine
Atmosphäre der Desorientierung und der
angedeuteten/schleichenden Gewalt, die den Film über den Großteil seiner
Laufzeit trägt und alle seine filmischen Elemente umsetzt. Die Komposition von "New Religion" ist dabei gut durchdacht und visuell ansprechend. So
taucht der Kameramann Sho Mishima seine Bilder in intensive Rottöne, die
durch einen ikonoklastischen Ansatz, der sich auf Motten,
Fernsehvideos, Fotografien und eine Reihe anderer Elemente konzentriert,
eine der Hauptzutaten für die oben erwähnte Atmosphäre sind. In
Kombination mit dem Sound und dem unheimlichen elektronischen Score
nimmt der Film gelegentlich auch rituelle Züge an. Der Schnitt, der sowohl Rück- als auch
Vorblenden enthält, ergibt ein mal langsames, mal schnelles Tempo, das
zwar mit der Gesamtästhetik des Films harmoniert, aber auch als langatmig und schwer verdaulich empfunden wird. Auch das Ende hätte etwas straffer sein können.
"New Religion" ist letztlich ein Film, der sicher nur wenige begeistern kann. Auch im Kino gab es nach dem Abspann ein erleichteres "Danke" und für den heitersten Moment sorgte ein herzhaftes Gähnen zu etwa der Hälfte der Laufzeit. Damit hat Kondos Film ein Problem: er holt eben nicht jeden ab, obwohl er mit "New Religion" nicht nur durch seinen feinen Sinn für Komposition und die elegante Art und Weise, wie er Atmosphäre schafft, beeindruckt, sondern auch durch die befriedigende Art und Weise, wie er Hinweise einsetzt, um eine beißende Gesellschaftskritik zu liefern. Da es sich um ein Spielfilmdebüt handelt, kann man sicherlich einiges verzeihen, doch am Ende entpuppt sich "New Religion" als ein viel zu schwerer, verkopfter Film, der aber tatsächlich das Potential haben könnte, den J-Horror wiederzubeleben.
4/10
Inhaltsangabe: Reel Suspects
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