Freitag, 8. Juli 2022

La vie d'Adèle - Blue Is The Warmest Color - Blau ist eine warme Farbe (2013)

https://www.imdb.com/title/tt2278871/

Adèle (Adèle Exarchopoulos) geht noch zur Schule, als sie feststellt, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Nachdem sie ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit einem Mann gemacht hat, ohne dabei große Erfüllung zu verspüren, verliebt sich die 17-Jährige in die ältere Kunststudentin Emma (Léa Seydoux), die sie mit ihrem außergewöhnlichen Aussehen und ihrer bildungsbürgerlichen Attitüde beeindruckt. Die beiden Frauen lassen sich auf eine Affäre ein, aus der eine Beziehung entsteht. Nach ihrem Schulabschluss beginnt Adèle eine Ausbildung zur Pädagogin und ist ihrer Freundin völlig verfallen. Emma macht Adèle zu ihrer Muse und stellt sie ihrem erlesenen Freundeskreis vor, in dem Adèle zwar positiv aufgenommen wird, sich jedoch in der ungewohnten Umgebung nicht völlig wohlfühlt. Als Emma einige Zeit mit ihrer Ex-Freundin Lise (Mona Walravens) verbringt, reagiert Adèle sehr eifersüchtig und wirft sich dem nächstbesten Mann in die Arme...

"Blau ist eine warme Farbe" ist ein Film, der den Zuschauer zutiefst berühren kann. Es geht um eine Liebe, die sowohl Feuer und Lust in sich trägt, aber auch Unbehagen bereitet. Der Zuschauer muss sich auf viel ruhige atmosphärische Szenen einstellen, die der reinen sinnlichen Atmosphäre und den beiden fantastischen Hauptdarstellerinnen dienen sollen. Wer also mit einer ruhigen Erzählweise und vielen natürlichen, beinahe schon banalen Dialogen nichts anfangen kann sollte lieber die Finger von diesem Werk lassen.

Allein die Handlung macht einen ausgesprochen natürlichen und realistischen Eindruck. Die Charaktere werden ruhig und mit viel Zeit porträtiert und wachsen dem Zuschauer ans Herz, sodass man glaubt die gezeichneten Figuren zu kennen. Man merkt dem Skript an, dass es hier nicht darum ging einen Film über Homosexualität und dessen Probleme im Speziellen zu machen. Vielmehr geht es um eine Liebe, die in der Gesellschaft von heute gewisse Probleme mit sich bringt. So etwa, dass man sich vor seinen Eltern ein wenig für seine/n Partner/Partnerin schämt, oder das Gefühl in der Welt des anderen doch etwas zu deplatziert zu sein und sich dort nicht richtig einfinden zu können. Es geht auch um unterschiedliche Vorstellungen von Zukunftsplänen und Familienwünschen und darum, etwas aus seinem Leben zu machen. Unsicherheiten werden ebenso gezeigt, wie sexuelle Leidenschaften und einzigartige Neigungen, die beide an sich entdecken und intime Geheimnisse über den anderen erkunden. Die Akzeptanz oder auch Nichtakzeptanz der eigenen Freunde bezüglich eines neuen unerwarteten Lebensstil, den man seiner Liebe wegen annimmt, kann genauso wie die anderen genannten Themen in jeder Beziehung aufkommen und ist allgemeingültig. Durch die Thematisierung einer lesbischen Beziehung werden die Konflikte lediglich verdeutlicht und ein bisschen auf die Spitze getrieben, aber immer in einem Maße, dass der Zuschauer jederzeit mitfühlen kann. "Blau ist eine warme Farbe" porträtiert eine Beziehung so intensiv, wie man es selten bei einem Film erlebt hat und gibt dabei einen tiefen Einblick in das Privatleben dieser beiden Frauen. Tatsächlich fühlt sich der Zuschauer ebenso unwohl wie eine der Protagonistinnen, weil die intensiven, intimen Szenen fast schon zu stark bewegen - und besonders die Szenen, in denen sich eine der beiden Charaktere unwohl fühlt. Daher wirkt die Natürlichkeit manchmal einen kleinen Tick zu viel des Guten und man kann sich fragen, wofür diese Szene jetzt nötig war und ob man nicht einige Szenen, die ihren Alltag betreffen, hätte weglassen, oder kürzen können. Zumal man hier von einem Film mit einer Laufzeit von 172 Minuten spricht.

Die einzigartige Atmosphäre ist natürlich vor allem den beiden herausragenden Hauptdarstellerinnen sowie der ausgezeichneten Regie von Abdellatif Kechiche zu verdanken. Seine Adaption der Graphic Novel "Le Bleu est une couleur chaude" betrachtete er als "einen universellen Film über die Leidenschaft und die Suche nach der sexuellen Identität". So sagte er über seine Intentionen: "Es lag mir fern, irgendeine militante Aussage zum Thema Homosexualität zu äußern". In seinem Film gehe es ihm "um die Geschichte eines Liebespaares schlechthin, um die Höhen und Tiefen einer tief empfundenen Beziehung, die jeden, ganz unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, anrühren." Und das passt. Die Kamera ist unglaublich sinnlich. Immer wieder werden die Gesichter und Reaktionen in Großaufnahme eingefangen. Besonders Tanzszenen oder Szenen, in denen die beiden Darstellerinnen lange Blicke austauschen wirken intensiv und können begeistern. Doch man muss eben ein Faible für eine ruhige Kamera und intensive Erzählweise mitbringen, Manch einer mag dies wohl eher als langweilig empfinden. Doch wer sich darauf einlasen kann, könnte sich darin verlieren. Die Musik wirkt ebenfalls passend und stimmig. Genauso wie sämtliche Sets authentisch und passen gewählt worden sind. Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos liefern hier beide atemberaubende Darbietungen ab und beweisen nebenbei viel Mut, besonders was die Darstellung der Sexszenen angeht, die bei diesem Film in den Spalten der Presse heiß diskutiert wurden. Und ja, sie erinnern teilweise schon stark an einen pornografischen Film und dennoch kann man sie nicht als unpassend empfinden. Dass der Film eine FSK-16 bekommen hat, grenzt an ein Wunder. Umso intensiver erlebt man die Beziehung der beiden und alles in allem ist es sogar ein Plädoyer für mehr sexuelle Offenheit, mit dem die Hauptfigur ja auch zuweilen zu kämpfen hat.

Zusammenfassend ist "Blau ist eine warme Farbe" ein sehr bewegender Film, der einen auch nach der Sichtung nicht so leicht loslassen will. Man muss sich auf ruhige und sinnliche Einstellungen gefasst machen, doch lässt man sich darauf ein, kann man sicherlich einen der gefühlvollsten Filme der letzten 10 Jahre, wenn nicht gar überhaupt, genießen. Auch wenn ein wenig Sitzfleisch gefordert ist, so ist der Streifen nie langweilig, sondern vermittelt mehr und mehr das Gefühl, alles realistisch mitzuerleben. Für alle Fans von ruhigem, bewegendem Arthaus-Kino eine uneingeschränkte Empfehlung und zu Recht der große Gewinner in Cannes 2013.

9/10

Quellen
Inhaltsangabe: Wild Bunch
Textauszüge: Wikipedia

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