Jim White (Roy Abramsohn) ist ein völlig gewöhnlicher Familienvater, der im Urlaub erfährt, dass er ohne ersichtlichen Grund gefeuert wurde. Anstatt seiner Familie davon zu berichten, verschweigt er die schlechten Neuigkeiten und bricht mit seinen Kindern Sara (Katelynn Rodriguez) und Elliot (Jack Dalton) sowie seiner Ehefrau Emily (Elena Schuber) zu einem Tagesausflug nach Disneyworld auf. Für Jim bietet der Park allerdings nicht die erhoffte Flucht aus der Realität, vielmehr treiben ihn Mickey Mouse und Co. langsam in den Wahnsinn. Er leidet an zunehmendem Gedächtnisschwund und wird von unheimlichen Visionen heimgesucht. Zuerst legen nur die merkwürdig veränderten Disney-Figuren ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag, aber dann erscheinen Jim sogar monströse Versionen seiner eigenen Familie. Er hat offenbar den Verstand verloren…
"Escape From Tomorrow" ist ein kleines Wunder. Nicht etwa, weil der Film vollständig in Schwarzweiß gedreht wurde, oder weil so überragend ist, nein. Regisseur Randy Moore drehte den Film bereits 2010 in Disney-Freizeitparks, ohne die Erlaubnis der Walt Disney Company einzuholen. Deshalb musste er die Arbeiten geheim halten und Guerilla-Filmtechniken einsetzen, mit denen nicht auffiel, dass gefilmt wurde. So sollten alle, die an dem Film mitarbeiteten, niemandem, nicht einmal engen Freunden, verraten, woran sie arbeiteten. Obwohl der Handlungsort im Film als ein einzelnes Parkresort dargestellt ist, fanden Dreharbeiten sowohl in Disneyworld in Orlando für zehn Tage als auch in Disneyland in Anaheim für zwei Wochen statt, für die die Beteiligten jeweils Saison-Pässe erworben hatten, um sie als "normale Besucher" zu betreten, sodass sich eine Mischung ergab und Attraktionen aus beiden Parks zu sehen sind. Doch entgegen den Befürchtungen des Machers und von Journalisten klagte Disney nicht gegen den Film. Um nicht als Filmcrew aufzufallen, waren intensive Vorbereitungen und einzigartige Schritte in den Parks vor dem Dreh notwendig. Moore fasst zusammen: "Wir müssen den gesamten Film mindestens acht- oder neunmal in mehreren Erkundungstrips durchgegangen sein, bevor wir überhaupt eine Kamera laufen ließen." Aus der Besetzung betraten immer nur kleine Gruppen auf einmal die Parks, um nicht aufzufallen. Der Kameramann und der Regieassistent betrieben im Vorfeld intensive Standorterkundung und der Zeitplan wurde Wochen im Voraus in Übereinstimmung mit der kartografisch erfassten Position der Sonne für jede Aufnahme vorsichtig geplant, um das Fehlen von Beleuchtungsausstattung auszugleichen.
Der gesamte Film wurde mit in der Hand tragbaren digitalen Spiegelreflexkameras Canon EOS 5D Mark II aufgenommen, wodurch es schien, als würden Besucher ihren Urlaub dokumentieren. Dass die Produktion zu keinem Zeitpunkt von jemandem im Park aufgehalten wurde, führt Moore darauf zurück, dass es eine der natürlichsten Handlungen sei, eine Kamera herauszuholen und vor Leute im Park zu halten. Die Entscheidung, in Schwarzweiß zu filmen, traf Moore erst nach Erkundung der Drehorte, was ihm eine von Anfang an gewünschte gespenstische und traumhafte Atmosphäre brachte. Laut Moore fühlte es sich an, als habe er eine geheime und verborgene Welt entdeckt. Die Dialoge eines Tages wurden morgens in Moores Hotelzimmer geprobt und Regieanweisungen zunächst nur mit den Schauspielern durchgegangen, dann mit dem Kameramann, während die Schauspieler auf ihr Stichwort warteten. Aufnahmen wurden auf drei bis vier Einstellungen am Stück beschränkt, bevor der Ort gewechselt wurde, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Statt Drehbücher auszudrucken wurden alle Informationen auf iPhones gesammelt und weitergegeben, damit es aussehe, als läsen die Schauspieler bloß ihre Telefonnachrichten, und auch die Kommunikation zwischen der Besetzung verlief über elektronische Geräte, damit sie weiter auseinander stehen konnten und keine auffällige Gruppe bildeten. Ebenfalls für Tonaufnahmen wurden zum Teil Smartphones genutzt, sowie Digitalrekorder, die an den Schauspielern befestigt waren und den ganzen Tag lang aufzeichneten.
So ist es am Ende schwierig, von "Escape From Tomorrow" nicht mit gemischten Gefühlen zurückgelassen zu werden. Was zunächst wie eine schräge, schwarzhumorige Familienkomödie wirkt, reißt sich bald von allen Genreansätzen los und ist dann vor allem eins: Ungreifbare Paranoia. Das surreale Disney World-Abenteuer hat immerhin eine der spannenderen Entstehungsgeschichten der (jüngeren) Filmgeschichte. Dass die Dreharbeiten so sporadisch strukturiert waren merkt man dem Lynch'esken Film stets an, oft gerade zum Vorteil dessen. Aber Lynch ist hier längst nicht alles, denn der Film hat seine ganz eigene Ausgangsbasis, die weit mehr als ein nettes Gadget ist: Disney. Frei und unverblümt nimmt sich der Film alle möglichen Figuren, Symbole, Chiffren des bekannten Kinderuniversums und fügt sie in schrille bis beängstigend fremde Kontexte. Gerade, indem er dabei reale Örtlichkeiten verwendet, verschärft sich dessen Surrealität. Die Qualität der Schauspieler ist zwar eher dem B-Movie-Niveau zuzuordnen und aufgrund der Guerilla-Filmtaktik bleiben auch Filmfehler nicht aus, letztlich kann man dem Film trotz einiger Probleme aber doch einiges Nachsehen, gerade auf Grund des ambitionierten Gimmicks und einer tatsächlich sehr traumwandlerischen Stimmung, die nicht zuletzt dank einiger schöner, in monochrom getränkter Bilder generiert wird und dem stetigen Augenzwinkern. Sicher nicht das geglückteste Filmexperiment, aber definitiv einen Blick wert und ein herrlich erfrischender Irrsinn.
7/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Koch Films
Testauszüge: Wikipedia
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