Montag, 15. August 2022

Benedetta - Blessed Virgin - Benedetta (2021)

https://www.imdb.com/title/tt6823148/

Im 17. Jahrhundert wird die italienische Nonne Benedetta (Virginie Efira) in ihrem Konvent in der Toskana von schrecklichen Visionen heimgesucht. Diese sind nicht nur von religiöser, sondern auch von erotischer Natur. Eine ihrer Mitschwestern, Bartolomea (Daphne Patakia), steht ihr in ihrer Verstörung zur Seite und aus der freundschaftlichen Beziehung entwickelt sich langsam eine romantische Liebesaffäre. Derartige amouröse Verhältnisse sind unter Ordensschwestern natürlich strengstens verboten. Würde die Äbtissin (Charlotte Rampling) oder der Nuntius (Lambert Wilson) von den beiden Frauen Wind bekommen, gäbe es einen handfesten Skandal, der die Kirche erschüttern könnte. Zunächst gelingt die Geheimhaltung auch und Benedetta lässt sich in fast schon mystischer Ausformung verehren. Doch schon bald wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt - und erneut auf eine harte Probe gestellt... 

Paul Verhoeven verfilmte mit "Benedetta" das Sachbuch "Immodest Acts: The Life Of A Lesbian Nun In Renaissance Italy" von Judith C. Brown, welches 1987 veröffentlicht wurde. Buch und Film behandeln die unwirklich klingende Geschichte der Nonne Benedetta Carlini, die aufgrund zahlreicher religiöser Visionen bis zur Äbtissin aufsteigt, bevor bei einer Untersuchung ihre homosexuelle Beziehung zu der Nonne Bartolomea ans Licht kommt.

Verhoevens Erzählung beginnt mit einem jungen Mädchen, das nach einem ihr angeblichen wiederfahrenem Wunder in ein Kloster aufgenommen wird - nur gegen entsprechende Bezahlung, versteht sich. Achtzehn Jahre später beginnt sie eine Affäre mit einer Novizin. Sexuelle Aktivitäten hinter Klostermauern von zwei Menschen, die beide keine kleinen Kinder mehr sind - das sieht die katholische Kirche gar nicht gerne. Auf der anderen Seite mehren sich aber auch Anzeichen, dass Benedetta eine Wiedergängerin Jesu sein könnte. Wie also verfährt man mit einer derartigen Personalie? Die potenziellen Wunder finanziell ausschlachten oder ein Exempel wegen Ketzerei statuieren? Und wie verfährt man mit den Kritiker(inne)n , die Benedetta der Blasphemie beschuldigen? Schwierig, schwierig. Es ist nicht zuviel zu verraten, dass nahezu alle, die nicht komplett unten in der kirchlichen Hierarchie stehen, mehr oder weniger ausschließlich ihre ganz eigene Agenda zu verfolgen scheinen - notfalls auch im Zickzack-Kurs. Prinzipientreue gilt nur insofern, dass man zuallererst an sich selbst glaubt, in zweiter Linie an die Kirche, in dritter Linie an irgendwelche Zeichen des Aberglaubens und - eher so nebenbei - vielleicht sogar an Gott. Der finale Dialog zwischen Benedetta und dem Nuntius könnte das gar nicht bissiger auf den Punkt bringen. Das ist feinster, bitterer Humor nach Verhoeven-Art eben.

Ganz egal, wie man zu Benedettas Fall auch stehen mag: Die Inszenierung erweckt den Eindruck, dass sie bereits in sehr jungen Jahren verstanden haben muss, wie man zu argumentieren hat, wenn man es innerhalb der katholischen Kirche zu etwas bringen will. Dass ihr andererseits ihr Übermut im Weg steht, steht auf einem anderen Blatt. Aber indirekt legt sie durch ihr Verhalten derart viele eiternde Pestbeulen der Kirche offen, dass sie so oder so zu einer Bedrohung für den Vatikan wird - und sei es nur in der Form, dass sie im Falle eines Unterganges auch einige hohe Tiere mit in den Abgrund reißen würde. Unter dem Strich erweist sich "Benedetta" als boshaft-bissige Karikatur eines moralisch verkommenen Klerus, die auch ganz nebenbei noch einige glaubenstheoretische Fragen aufwirft und trotzdem auch den Voyeurismus des Publikums ins Visier nimmt. Zwar könnte man Verhoeven vorhalten, dass er ganz offensichtlich kühl kalkuliert eine regelrechte Checkliste an Provokationen abarbeitet. Allerdings hat sein Drehbuch auch ausreichend Fleisch auf den Rippen, um als anklagendes Drama durchzugehen. Mit fast schon diebischer Freude reiht er Nunsploitation-Auswüchse an glaubentheoretische Einwürfe, die wiederum von einer möglichen Fraud Story durchbrochen werden. Der Ansatz ist ganz gewiss nicht neu, dürfte bisher aber nur ganz selten (wenn überhaupt) mit vergleichbaren finanziellen und stilistischen Mitteln verfilmt worden sein. Projekte wie dieses bekommt man eben nur mit einem entsprechenden Namen gestemmt. Paul Verhoevens erotisch aufgeladenes Historiendrama will natürlich bewusst provozieren und polarisieren, kann darüber hinaus aber auch durch sein historisches Setting und gute Darsteller punkten. Neben einigen Fragen, die der Film über Religion, Sexualität oder die Rolle der Frau aufwirft und die zum Nachdenken anregen, tragen diverse Verhoeven-typisch explizite Szenen zum vordergründigen Unterhaltungswert des Films bei. Insgesamt liefert Verhoeven, was sein Name verspricht: Einen Arthaus-Film mit Mainstream-Einschlag, der über seine volle Laufzeit gut unterhält. Für erzkonservative Christen vermutlich jedoch eher ungeeignet.

7/10

Quellen
Inhaltsangabe: Capelight / Koch Films

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