https://www.imdb.com/title/tt7282468/
Jong-soo (Yoo Ah-in) lebt in der südkoreanischen Stadt Paju, wo er sich mit Auslieferungsjobs über Wasser hält – dabei hat er eigentlich studiert und träumt davon, einmal Schriftsteller zu werden. Doch ihm fehlt der Fokus im Leben, den er schließlich zu finden scheint, als er seine ehemalige Klassenkameradin Hae-mi (Jeon Jong-seo) zufällig auf der Straße trifft. Die beiden freunden sich wieder an und verbringen sogar eine gemeinsame Nacht, bevor Hae-mi für eine Weile nach Afrika verschwindet. Jong-soo fiebert der Rückkehr seiner Freundin entgegen und ist dann völlig entgeistert, als sie ihm Ben (Steven Yeun) vorstellt, den sie auf ihrem Trip kennengelernt hat. Der gutaussehende Typ an der Seite seiner Angebeteten scheint nämlich nicht nur reich zu sein, sondern auch noch jede Menge Selbstbewusstsein zu haben, das Jong-soo zunehmend einschüchtert. Dennoch schließt er sich immer wieder Unternehmungen von Hae-mi und Ben an, bis dieser eines Tages von seinem unorthodoxen Hobby erzählt, Gewächshäuser in Brand zu stecken…
"Burning" ist ein besonderer Film, bei dem eine Sichtung nicht reicht. Alles wirkt sehr langsam, tagträumerisch und auf seine eigene Art und Weise surreal - und dennoch: der Film besitzt, vermutlich auch aufgrund seiner Unergründbarkeit, eine dermaßen hohe Anziehungskraft, dass man kaum wegschauen möchte. "Burning" ist ein Mystery-Drama über einen jungen Mann, seine neue Liebe und einem unverschämt reichen Gegenspieler. Fahrt nimmt der Film auf, als sie plötzlich spurlos verschwindet und er sich auf Spurensuche begibt. "Burning" ist ein poetisches Werk, welches ruhig erzählt ist und sowohl im Bild als auch im Dialog etwas bedeutungsvolles, metaphorisches und universelles transportiert. Es wartet mit einer Fülle an komplexen Themen auf und schafft es durch eine gewisse Unschärfe, jedes einzelne davon subtil zu bedienen. Bemerkenswerterweise hängt es vom Zuschauer ab, welche Aspekte er darin findet und wie er den Film versteht. Daher erinnert das Werk an ein Puzzle, welches jeder für sich in eine gewisse, passende Form bringen, doch niemand vollends entschlüsseln kann.
Auf der einen Seite erzählt der Film eine Geschichte der Eifersucht, des Verlorenseins und der Suche nach Bedeutung. Auf der einen Seite handelt es sich beim Protagonisten Jong-soo um einen Suchenden, der als aufstrebender Schriftsteller empfänglich für die Feinheiten des Lebens ist und sich treiben lässt, um Bedeutung zu finden. Während er in seiner Berufung sein Selbstwert schöpft, fordert ihn die harte Realität heraus: er muss sich mit Mini-Jobs über Wasser halten, ist alleinstehend und wirkt verloren. Sein Leben durchfährt eine große Veränderung, als er die junge Haemi kennenlernt und mit ihr eine Liaison anfängt. Sie strebt nach dem Sinn des Lebens und reist nach Afrika, um ihn dort zu finden. Doch sie kehrt nicht allein zurück, denn sie hat den attraktiven und reichen Ben kennengelernt. Jong-soo findet sich nun in einer durch Eifersucht geprägten Passivität wieder und sieht in Ben einen erfolgreichen Gegenentwurf zu ihm. Denn Ben hat alles, er weiß, was er will, ist emotional abgestumpft, wirkt stets über allem erhaben und nimmt sich auch, was er will. Sein Lebensentwurf ist ein nihilistischer, der auf einem hedonistischen Gerüst getragen wird.
Eine Schlüsselszene ist die, in der Ben Jong-soo von seiner Leidenschaft erzählt, alle zwei Monate, Gewächshäuser nieder zu brennen. Als Haemi verschwindet, dämmert es Jong-soo, dass es metaphorisch gemeint war und er von Frauen im allgemeinen und Haemi im speziellen sprach. Nach und nach macht er sich auf Spurensuche und kommt zum Entschluss, dass Ben ein Serienmörder ist. Getrieben aus einem Gefühl einer vielschichtigen Vergeltung heraus, erhebt er sich zu einem Helden, der das Urteil über Ben fällt und vollstreckt. Doch war es ein gerechtes Urteil und ist Ben wirklich ein Serienmörder, oder wird man durch die verzerrte Perspektive Jong-soo’s dazu verleitet, zu diesem Schluss zu kommen? Der Film liefert keine Beweise, nur Indizien. Ben ist ein höchst arroganter, narzisstischer und befremdlicher Mensch, doch auch er sucht insgeheim nach einem Sinn. Er ist auf eine Empfehlung Jong-soo’s hin an William Faulkner interessiert. Er lässt sich nichtsahnend von Jong-soo in einen Hinterhalt locken und ihm dämmert erst am Ende, was gerade geschieht - und vergießt hierbei eine Träne.
So hinterlässt der Film ein höchst ambivalentes Gefühl. Ben scheint in gewisser Hinsicht ein stereotypischer Serienmörder zu sein. Doch die Geschichte wird aus Jong-soo’s Sicht erzählt, also jemanden, der voller Eifersucht und Neid auf Ben blickt. Er möchte in Ben einen Mörder sehen, und er möchte Vergeltung dafür, dass er ihm Haemi weggenommen hat - denn spätestens seit ihrer Rückkehr, also bereits vor ihrem Verschwinden, war von einer Liebschaft keine Spur mehr zu sehen.
Und letztendlich wird auch Haemi’s Charakter aufgezeigt. Augenscheinlich etwas farblos, ist sie dennoch voller Tiefe gezeichnet. Es handelt sich bei ihr um eine kindliche, naive Träumerin, die nicht ernst genommen wird, aber erstaunlich poetisch und tiefsinnig ist. Das zeigt sich in einer Szene, in der sie sich auszieht, den Horizont erblickt und tanzt. Als sie sich anschließend zu den beiden Männern hin umdreht, weint sie. Was erblickt sie? Ben, als Repräsentant einer vergnügungssüchtigen, modernen Jugend, die den Nervenkitzel und die soziale Schnelllebigkeit einer tiefen Bindung vorzieht? Jong-soo, als Gefangener gesellschaftlicher Konventionen, der als Jugend-Bekanntschaft zwar Vertrautheit und Vergangenheit repräsentiert, aber sie ebenso nicht verstehen kann. Denn anschließend wirft er ihr vor, sich wie eine Hure zu benehmen. Es ist möglich, dass sie ihr Glück woanders gesucht hat bzw. schlichtweg ausgebrochen ist. Aufgrund der Komplexität der Geschichte und Charaktere, entfaltet der Film erst nach dem Abspann seine volle Wirkung. Daraus schöpft er auch seine Stärke. Nicht jedem wird dieses Werk gefallen, denn dafür ist es zu ruhig erzählt und erfordert vom Zuschauer, sich einzulassen. Auch nicht jeder, wird Gefallen an dieser meisterhaften Vagheit finden, an diesem höchst stimulierenden aber auch frustrierenden psychosozialen Puzzle. Doch allein durch seine enorme Wirkungskraft ist es ein insgesamt absolut besonderer Film, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
8/10
Von CAPELIGHT PICTURES erschien der Film hierzulande in 4K Ultra-HD in einem tollen Mediabook:
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