Eine Mutter (Naomi Watts) will sich nach einer Schönheitsoperation in einem abgeschiedenen Haus zusammen mit ihren Kindern erholen. Als ihre Zwillinge Elias (Cameron Crovetti) und Lucas (Nicholas Crovetti) sie mit ihrem bandagierten Gesicht sehen, sind sie befremdet, doch bald wird alles noch schlimmer: Denn nicht nur sieht ihre Mutter anders aus, sie verhält sich auch sonderbar. Mit ihren Kindern will sie kaum etwas zu tun haben, mahnt sie ständig zur Ruhe, erinnert sich nicht mehr an besondere Dinge wie das Lieblingslied des einen Kindes. Inmitten der immer angespannter werdenden Atmosphäre im Haus kommt den Zwillingen ein schrecklicher Verdacht: Ist die bandagierte Frau vielleicht gar nicht ihre Mutter, sondern eine Betrügerin? Sie wollen es herausfinden und gehen dabei gnadenlos vor.
Nur wenige Remakes erscheinen notwendig, aber englischsprachige Versionen internationaler Horrorfilme haben es besonders schwer, ihre Existenz zu rechtfertigen. George Sluizer und Michael Haneke mussten ihre eigenen Filme "The Vanishing" und "Funny Games" nicht für ein Publikum mit Untertiteln neu auflegen, und auch bei "Nachtwache" hat niemand nach einem Remake gefragt, als er zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Natürlich sind "brauchen" und "wollen" zwei verschiedene Dinge, doch mit Naomi Watts als Protagonistin in Matt Sobels Remake von Veronika Franz und Severin Fialas "Ich Seh Ich Seh" hat man auf der Haben_Seite schon mal eine erfahrene, ansprechende Darstellerin. Der Film erfüllt auch gleich zwei Gruselfaktoren: nicht nur der Anblick der Mutter (Watts) in einer Maske, sondern auch die Zwillingsbrüder in genau demselben Outfit - ein von Natur aus beunruhigendes Bild. Einern von ihnen fragt kurz nach ihrer Ankunft in dem abgeschiedenen Haus "Was meinst du, wie sie da drunter aussieht?". Die Jungen freuen sich darauf, ihre Mutter zu sehen, aber sie werden auch von ihrem Aussehen und einer Reihe neuer strenger Regeln abgeschreckt: Die Jalousien müssen geschlossen bleiben, da sie im Moment empfindlich auf Sonnenlicht reagiert, sie müssen leise sein und dürfen sich nicht in ihrem Schlafzimmer und Büro aufhalten. Sie erhebt nie ihre Stimme oder wird wirklich wütend auf sie an diesem ersten Tag, aber sie wirkt distanziert, sogar anders - so sehr, dass Elias und Lucas sich fragen, ob die Frau unter den Bandagen überhaupt ihre Mutter ist.
Watts ist herrlich verstörend in einer Rolle, die von ihr verlangt, die wahre Natur ihrer Figur ebenso zu verbergen wie ihr Gesicht. Die Erkenntnis, dass die Person, die einen geboren hat, auch jenseits ihrer Rolle als Mutter als lebendes, atmendes menschliches Wesen existiert, ist schon seltsam genug, wenn man sich sicher ist, dass sie tatsächlich die eigene Mutter ist, und Watts spielt mit dieser Zweideutigkeit wie ein Zauberer, der seinen neuesten Kunstgriff vorführt. Eine herausragende Szene ist die, in der Elias seine Mutter halb zufällig dabei beobachtet, wie sie in ihrer Unterwäsche vor dem Spiegel zu Edwyn Collins' "A Girl Like You" tanzt. Dass sie dabei scheinbar zum ersten Mal eine Zigarette raucht, ist eine Sache; dass sie gerade ein Bild zerrissen hat, das die Zwillinge für sie gemalt haben, eine ganz andere. Obwohl er sichtlich verwirrt ist, kann er nicht wegsehen - ihre Bewegungen sind seltsam, sogar fremdartig, und im Moment kann er nicht sagen, ob es sich um eine völlig andere Person unter den Bandagen handelt oder nur um eine, die er nie wirklich gesehen hat, bis wir mehr darüber erfahren, was in dem abgelegenen Haus wirklich vor sich geht.
Haben die Jungs also Wahnvorstellungen, oder ist "Mutter" gar keine Mutter? "Goodnight Mommy" macht das nie deutlich und verwischt die Grenzen zwischen paranoidem Thriller und psychologischem Horror effektiver, als man es von einem Remake erwarten würde. Durchlässig sind auch die Grenzen zwischen Bösewicht und Opfer, die Rollen, die zwischen den Kindern und ihrer Mutter hin- und herwechseln. Die Zwillinge haben ihre eigene Dynamik, wobei Lucas seinen Bruder mehr beherrscht und seiner Mutter weniger vertraut, die Elias einfach nur lieben will - und von ihm geliebt werden möchte. Niemand, der das Original gesehen hat, wird von der Entwicklung ihrer Beziehung schockiert sein, da "Goodnight Mommy" die gleichen Erzählstränge wie sein österreichisches Pendant verfolgt, aber diejenigen, die es nicht kennen, könnten angenehm überrascht sein. Obwohl der Film deutlich weniger beunruhigend ist als das Original - sowohl das Verhalten der Zwillinge als auch die Bandagen der Mutter sind dieses Mal deutlich weniger gruselig - schafft er es, weniger zynisch und überflüssig zu wirken als die meisten Neuverfilmungen. Das ist okay.
6,5/10
Inhaltsangabe: amazon Video
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