Joe Gardner (Stimme im Original: Jamie Foxx) ist Musiklehrer an einer Mittelschule in New York. Sein sehnlichster Wunsch ist es jedoch, als Jazz-Musiker groß rauszukommen und das Unterrichten endlich an den Nagel hängen zu können. Als sich ihm eines Tages die langersehnte Gelegenheit bietet, mit der berühmten Jazz-Saxophonistin Dorothea (Angela Bassett) aufzutreten, baut Joe einen Unfall – und seine Seele landet an einem Ort namens „Davorseits“. Dort werden ungeborene Seelen mit ihren Persönlichkeiten ausgestattet und auf das Leben auf der Erde vorbereitet. Joe setzt alles daran, um wieder in seinen Körper auf der Erde zu gelangen, denn seinen Auftritt im Jazz-Club will er um nichts in der Welt verpassen. Dafür tut sich der leidenschaftliche Musiker mit der abgeklärten Seele 22 (Tina Fey) zusammen, die schon ewig im „Davorseits“ hockt und absolut keine Lust auf ein Dasein auf der Erde hat. Sie verspricht, Joe zu helfen und beginnt dabei langsam zu begreifen, dass das Leben vielleicht doch mehr Schönes zu bieten hat, als sie bisher dachte...
Die Corona-Pandemie macht auch vor einem der größten Animationsstudios der Welt nicht Halt. Schon bei "Onward: Keine halben Sachen" hatten im März die Pixar Studios das Pech, dass kurz nach dem Kinostart weltweit nahezu alle Kinos schließen mussten. Der zweite große Titel "Soul" wiederum hätte ursprünglich bereits im Juni 2020 veröffentlicht werden sollen, wurde dann auf November verschoben, nur um dann doch beim Disney-internen Streamingdienst Disney+ zu landen. Die Filme von Pixar zeichneten sich schon immer dadurch aus, dass sie stärker als die Werke von Disney, DreamWorks Animation und den anderen großen Studios tatsächlich die ganze Familie bedienen wollen. Während die Grundgeschichte sehr einfach und für Kinder gut verdaulich war, fanden sich immer Elemente, die für Erwachsene gedacht waren. Das konnten mal Nebenthemen sein oder auch versteckte Witze. Die Mischung ist meist gelungen, am Ende kamen beide Seiten auf ihre Kosten. Bei "Soul" versucht man diese Balance zwar auch, doch die Gewichtung hat sich spürbar verschoben. Auch wenn es zwischendurch immer wieder humoristische Szenen gibt, die wohl für den Nachwuchs (unter anderem die Katze) gedacht sind, sie sind diesmal in der Minderheit.
Das liegt vor allem an dem Hauptthema. Existenzielle Fragen wurden bei Pixar natürlich immer schon gestellt. Doch während beispielsweise die Wichtigkeit von Trauer in "Alles steht Kopf" oder der Umgang mit Tod in "Coco: Lebendiger als das Leben" noch nahe genug an der Erfahrungswelt von Kindern waren, geht es in "Soul" um nichts Geringeres als den Sinn des Lebens. Auch das kann für ein junges Publikum wertvoll sein, wenn sich der Film indirekt gegen die Idee der Leistungsgesellschaft wendet – unter der zunehmend schon Kinder zu leiden haben. Die Aussage des Films ist schließlich, dass ein Leben nicht notwendigerweise durch große Taten lebenswert wird, sondern durch die kleinen Momente und das Zwischenmenschliche. Und das ist etwas, das Joe bei seiner Jagd nach dem Traum vergessen hat.
Dennoch dürften die wenigsten Kinder diese Transferleistungen herstellen können. Den größten Eindruck wird "Soul" vielmehr bei Menschen hinterlassen, die selbst schon im mittleren Alter sind, die einiges erlebt haben und sich fragen müssen: War es das wert? Was habe ich eigentlich erreicht? Auch wenn das Thema der Midlife-Crisis nie direkt angesprochen wird, wird es doch kunstvoll in die größere Frage eingebaut, wozu es die Menschen überhaupt gibt. Eine solche Themenstellung ist in einem Animationsfilm natürlich etwas unerwartet. Da dürften manche, die an Weihnachten vor dem Bildschirm Platz nehmen, etwas irritiert sein, auch wenn Docter und sein Team diese Punkte in ein traditionelles Abenteuer gepackt haben und dabei viel Wert auf den Unterhaltungsfaktor legten. Auf diesen Film muss man sich stärker einlassen können als es bei den anderen Werken von Pixar der Fall ist, die komplexe Themen alltagstauglich verpackten.
Wer das aber kann, selbst über den Sinn des Lebens nachgrübelt, für den ist "Soul" einer der schönsten und bewegendsten Filme, die dieses Jahr hervorgebracht hat. Visuell gilt das ohnehin: Der Animationstitel kombiniert 3D mit 2D, Photorealismus mit Surrealem, ist technisch überragend und dabei doch voller kreativer Einfälle. Allein schon die Darstellung der Stadt mit ihren vielen Details ist ein Fest fürs Auge. Beeindruckend ist auch, wie hier sichtlich daran gearbeitet wurde, die vielen Facetten des afroamerikanischen Lebens abzubilden, ohne sich zu sehr auf Klischees oder Stereotype zu versteifen. Denn letztendlich geht es in dem Film darum: Hier wird das Leben in allen Formen und Farben gefeiert, wird das Individuelle betont, ohne daraus die üblichen Zwänge abzuleiten. Vielmehr ist das hier eine Aufmunterung, rauszugehen, Leute zu treffen, für alles und jeden offen zu sein, dem man begegnet. Darin ist nicht nur die Antwort verborgen, wer man selbst ist, sondern auch eine Anleitung zum Glücklichsein.
8,5/10
Von DISNEY kommt der Film auf Blu-ray im limitierten Steelbook:
Quellen:
Inhaltsangabe: Disney / Pixar
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