Donnerstag, 21. März 2024

Poor Things (2023)

https://www.imdb.com/title/tt14230458/

Eine junge Frau namens Bella Baxter (Emma Stone) wird von dem unkonventionellen Wissenschaftler Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe) zurück ins Leben gebracht. Unter Führung des brillanten Wissenschaftlers begibt sich Bella auf eine Reise zu sich selbst, immer auf der Suche nach der Lebenserfahrung, die ihr bisher fehlt. Sie trifft dabei unter anderem auf Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo), einen Anwalt, der ihr die Welt jenseits der Wissenschaft zeigt und mit ihr ein wildes Abenteuer über mehrere Kontinente hinweg erlebt. Aber auch Baxters Student Max McCandless (Ramy Youssef) Leben ändern sich plötzlich, als er auf Bella trifft und von ihr regelrecht mit- und aus seinem behüteten Leben herausgerissen wird. Bella entdeckt Stück für Stück ihre Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit und Befreiung und kann sich so auch ihrer eigenen Zwänge entledigen, Vorurteile hinter sich lassen und sich immer und immer mehr ausleben.

In "Poor Things", dem Oscar-prämierten Film von Yorgos Lanthimos gibt es viel "wildes Gehopse". Mit diesem Ausdruck beschreibt seine Heldin Bella Baxter (Emma Stone) Sex. Sobald sie zum ersten Mal eine Gurke in ihr "haariges Geschäft" gestopft hat, eröffnet sich ihr eine neue Welt voller Abenteuer und Tragödien. Der Drehbuchautor Tony McNamara, hat den Film nach dem Roman des schottischen Kultautors Alasdair Gray adaptiert, aber das hier beschworene Universum ist dem in früheren Werken des griechischen Regisseurs sehr ähnlich: trockenen Komödien wie "The Lobster" aus dem Jahr 2015 und "The Favourite" aus dem Jahr 2018. Hier nutzt er Surrealismus und extreme Stilisierung (vor allem die Kamera!), um seine Argumente darzulegen, was zu einem Film führt, der brillant und oft zutiefst beunruhigend ist. Skurriler Humor und frauenfeindliche Gewalt liegen hier dicht beieinander. Bella ist die heilige Unschuldige, die die Verderbtheit und Bösartigkeit der Männer entdeckt. Stone liefert sicherlich die bislang kühnste Leistung ihrer Karriere ab, in einer Rolle, die ihr hohe physische und psychische Anforderungen stellt.

In seinen frühen Szenen, die in Schwarzweiß gehalten sind und im London des 19. Jahrhunderts spielen, wirkt der Film wie ein alter Universal-Horrorfilm. Es ist sogar eine ausdrückliche Hommage an die Szenen in "Frankensteins Braut", in denen Elsa Lanchester durch Elektroschocks zum Leben erweckt wird. Hier jedoch ist es Bella, die wiederbelebt wird, nachdem sie sich das Leben genommen hat - vom beeindruckenden Wissenschaftler Dr. Godwin Baxter (ein schrecklich vernarbter Willem Dafoe, der in einem sanften Tonfall spricht und so geschminkt ist, als wäre er Boris Karloff). Bella war zum Zeitpunkt ihres Todes schwanger. Der Arzt oder "Gott", wie sie ihn nennt, hat ihr das Gehirn ihres ungeborenen Babys in den Kopf implantiert. Sie ist daher eine erwachsene Frau mit den Gefühlen eines kleinen Säuglings. Schon früh sieht man sie mit den Füßen Klavier spielen, Essen ausspucken und wild kichern, während sie auf den Boden uriniert. Eine Figur beschreibt sie als "eine sehr hübsche Schlampe". Der Arzt betrachtet sie als "ein Experiment". Ihr Gehirn und ihr Körper sind noch nicht vollständig synchron. Bella hilft dem Arzt im Labor, aber er weigert sich, sie auf lebende Organismen loszulassen. Es macht ihr großen Spaß, Skalpelle und Messer in klebriges Fleisch und Augäpfel zu stechen. Das Haus des Arztes ist wunderschön eingerichtet, aber voller seltsamer, skurriler Tiere wie Hunde mit Hühnerköpfen.

Ramy Youssef spielt Max McCandless, einen jungen Arzthelfer, der sich trotz ihres anarchischen Verhaltens bald in Bella verliebt. Bella brennt jedoch mit jemand anderem durch: einem verführerischen Schurken, gespielt von Mark Ruffalo, in feiner Comicform. Ihre Reisen führen sie nach Lissabon, Alexandria und Paris. Bella nutzt die Reise, um sich auf die Suche nach Sex und Abenteuer zu begeben. Jede neue Stadt wird im fantastischen Stil geschaffen, wobei Lanthimos Erinnerungen an die Arbeit von Wes Anderson oder die alten Stummfilme von Georges Melies in ihrer künstlichsten Form wieder aufleben lässt. Bella weigert sich die ganze Zeit über, zum Opfer zu werden, und unterwirft sich niemals den vielen Männern, die versuchen, sie auszunutzen. Sie ist hungrig nach Erfahrungen und hat oft komischerweise keine Rücksicht auf gesellschaftliche Feinheiten. Wie Jane Fonda in "Barbarella" ist sie eine naive Figur, deren ungekünsteltes Verhalten immer wieder die Korruption und Heuchelei der Menschen um sie herum offenbart.

Teile des Films sind unangenehm voyeuristisch. Lanthimos hat zum Beispiel ein fetischistisches Vergnügen daran, Bella dabei zu zeigen, wie sie ihre verschiedenen älteren, behaarten und übelriechenden Kunden bedient, nachdem sie in einem Bordell in Paris zu arbeiten begonnen hat. Bei allem ironischen Humor, mit dem diese Szenen behandelt werden, ist sie immer noch Gegenstand der oft sehr lüsternen männlichen Blicke. Trotz dieser gelegentlichen Unruhe bietet "Poor Things" letztendlich einen emotionalen Kick. Während die Zeit vergeht und sie immer mehr Wissen aufnimmt, beginnt Bella, das Verhalten und die Motivationen anderer zu verstehen. Sie liest Emerson und andere Philosophen und lernt von ihnen, selbst wenn sie von ihrem Chauvinismus überrascht ist. Sie befürwortet den Sozialismus. Sie hat Mitleid mit allen, sei es mit den verarmten Ausgestoßenen, die sie in Alexandria entdeckt, oder mit dem Frankenstein-ähnlichen Arzt, der für ihren aktuellen Zustand verantwortlich ist. Man kann nicht anders, als sie anzufeuern und zu hoffen, dass sie am Ende als Siegerin hervorgeht. Ein toller Film.

9/10

Quellen:
Inhaltsangabe: Disney
Poster/Artwork: Fox Searchlight

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