Hedwig Höß (Sandra Hüller) heißt ihre Mutter willkommen. Es ist deren erster Besuch in der stuckverzierten Villa, in der Hedwig zusammen mit ihren Kindern und ihrem Mann Rudolf (Christian Friedel) lebt. Die Sonne scheint, der Garten ist gepflegt, die Blumen blühen, der Hund lässt sich von seiner Nase durch das Grün treiben, Gemüse und Kräuter gedeihen, die Sonnenblumen stehen übermannshoch, die Kinder planschen im Wasser. Die Familie Höß scheint in einer Bilderbuchidylle zu leben. Nur abseits der Grundstücksmauern wird klar, dass hier - am Rande des Vernichtungslagers Auschwitz - die Hölle auf Erden und SS-Obersturmbannführer Rudolf Höß der Teufel persönlich ist…
Es gibt sehr viel Filme, die auf den ersten Blick beeindrucken, aber sobald man das Kino verlässt, beginnen sie zu rieseln wie eine Handvoll Sand. Dann gibt es andere, weitaus weniger in der Zahl, die beim ersten Ansehen wie ein Blitz einschlagen und bei einem bleiben, sich in die Psyche eingraben und das eigene Filmparadigma auf subtile, aber dauerhafte Weise umkehren. Jonathan Glazers meisterhaftes und gleichzeitig gruseliges "The Zone Of Interest" fällt mühelos in die zweite Gruppe. Schon während des Films ist man erschüttert und getroffen (sofern man sich realistisch mit dem, was auf der Leinwand passiert, auseinandersetzt) und die Bilder verbleiben auch weiterhin hartnäckig im Kopf. Wie die meisten Filmfans zustimmen werden, ist diese Art intensiver Reaktion auf einen Film der heilige Gral des Kinobesuchs. Es ist eine verschwindend seltene Erfahrung, die durch das Gefühl der Entdeckung noch verstärkt wird, das dadurch entsteht, dass man praktisch nichts über einen Film weiß. "The Zone Of Interest" als adaptiertes Drehbuch zu bezeichnen, , welches auf dem gleichnamigen Roman von Martin Amis basiert, ist vielleicht irreführend. Tatsächlich handelt es sich bei dem Film um ein ganz eigenes grüblerisches, kühn unkonventionelles Gebilde, das mit Amis' Buch einen Titel und einen Schauplatz gemeinsam hat: Auschwitz, genauer gesagt direkt außerhalb der Mauern des Lagers, im Haus eines hochrangigen Nazis und seiner Familie - aber sonst wenig.
Die Wände sind ein entscheidender Bestandteil dieses Films, der die täglichen Details des Lebens eines offensichtlich glücklichen Nazi-Paares - des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß (Christian Friedel) und seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) - und ihrer fünf Kinder zeigt. Sie genießen friedliche Picknicks am Fluss (überwiegend, wie der Großteil des Bildes, in leidenschaftslosen Mittel- und Totalaufnahmen festgehalten) und idyllische Tage im üppigen, liebevoll gepflegten Garten der Höß-Villa, auf die Hedwig sehr stolz ist. Die Kamera blickt niemals über die Mauern hinaus, die Hedwigs geliebten Azaleen, Rosen und Dahlien von der industriellen Todesfabrik auf der anderen Seite trennen. Es ist erschreckend, mit welcher Nüchternheit die Gräueltaten des etwa 25 Meter Luftlinie entfernten KZs hier ausgeblendet werden. Und dann schaut man Höß beim Diktat eines gekränkten Memos zu, in welchem er sich über den Mangel an Respekt gegenüber seinen wertvollen Fliedern, die das "Lager zu einem ansehnlicheren Ort machen sollen" beschwert und weiteren respektlosen Umgang mit seinen Pflanzen unter Strafe stellt. Aber durch Johnnie Burns unglaubliches, eindringliches Sounddesign wird der Umgebungslärm, der durch die Schrecken im Lager erzeugt wird, mit einer erstickenden Intensität hervorgerufen, die der erstickenden feurigen Rauchwolke entspricht, die fast ständig aus den Schornsteinen der Auschwitz-Hochöfen aufsteigt. Es ist die Art subtiles Filmemachen, die den Zuschauer zwingt, genauer hinzusehen.Doch Burns bemerkenswerte Arbeit der permanenten und belastenden Hintergrundgeräusche ist nicht das einzige akustische Element, das zur brutalen Kraft des Films beiträgt. Glazer arbeitet erneut mit der Komponistin Mica Levi zusammen, die bereits an seinem vorherigen Film "Under The Skin" mitwirkte. Levis spärlich verwendete Partitur, begleitet von unheimlichen Nachtsicht-Wärmebildern, reißt den Zuschauer aus der ahnungslosen Banalität des Höß-Haushalts heraus. Und ihre Kompositionen ergänzen das Bild mit etwas, das wie ein Chor gequälter Seelen klingt.
9/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Leonine
Poster/Artwork: A24/Extreme Emotions/JW Films
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