Der Kameramann und Filmemacher Jason Tantra (Alain Chabat) sucht bei einem Produzenten die finanzielle Unterstützung für seinen nächsten Film. Da es sich dabei um einen Horrorfilm handeln soll, stellt der betreffende Produzent ihm eine Bedingung: Er soll den besten Schmerzschrei für den Sound des Filmes einfangen, einen, der ihm einen Oscar einbringen könnte. Und das in achtundvierzig Stunden. Dennis (John Heder), der Moderator einer Koch-Show, leidet unter permanentem Juckreiz und geht der Ursache dafür auf den Grund. Währenddessen findet ein kleines Mädchen (Kyla Kenedy) ein Videoband mit dem Titel "Reality" im Bauch eines Wildschweins, das ihr Großvater, ein Tierpräparator, ausweidet. Zunächst wirft sie es in den Papierkorb, doch dann fragt sie sich schließlich, ob sie es sich nicht doch ansehen soll...
Quentin Dupieux. Der französische Filmemacher zeigt Filme wie kaum ein anderer. Stets surreal, stets mit der Erwartungshaltung der Zuschauer spielend, immer überraschend. Sein "Reality", eine gleichwohl surreale Komödie, die als eine Reihe überlappender und zunehmend unlogischer Traumsequenzen erzählt wird, ist ein ebenso herrlich entspannter Geniestreich. Es ist eine chimäre Parodie auf hübsche, rätselhafte Science-Fiction-Filme und Dramen, bei denen irgendwie alles zusammenhängt. Und auf das "irgendwie" kommt es an. Charaktere wie Dennis (Jon Heder), ein Kochshow-Moderator mit einem imaginären Hautausschlag, und Jason (Alain Chabat), ein Kameramann, der davon besessen ist, das perfekte Stöhnen aufzunehmen, interagieren zögernd miteinander und finden dann heraus, dass sie eigentlich in den Träumen des anderen sind, in Träumen von Filmen über Träume. In diesem Sinne sollte "Reality" als langer Witz betrachtet werden, da man einfach weiß, dass sich am Ende nichts ergibt. Das erkennt man daran, dass Zog (John Glover), der Regisseur eines Films im Film, seinem verständlicherweise verwirrten Produzenten Bob (Jonathan Lambert) immer wieder versichert, dass er Geduld haben müsse. Um "Reality" genießen zu können, sollten die Zuschauer nicht so viel Geduld aufbringen. Der Film funktioniert nur dann, wenn man erwartet, dass er keinen Sinn ergibt, und Spaß an Witzen haben, die immer weitergehen und dann plötzlich (und wiederholt) von der einen oder anderen Klippe stürzen. Wie man das eben von Dupieux kennt. Und liebt. (Oder halt auch nicht)
Auf den ersten Blick scheinen die verschiedenen Nebenhandlungen, die sich kreuz und quer durch "Reality" ziehen, Stoff zu sein, der ganz frech und unverhohlen von Tarantino abgekupfert wurde. Doch jede Geschichte ist im Grunde eine Suche nach Antworten, aber keine der Antworten scheint etwas zu bedeuten. Während Reality (Kyle Kenedy) mit dem rätselhaften Namen über ein mysteriöses Vidotape rätselt, das sie im Magen eines toten Wildschweins findet, quält sich Jason mit seinem tragbaren Tonbandgerät und kämpft darum, einen perfekten Schrei zu erzeugen oder auf natürliche Weise aufzuzeichnen. Je mehr sich die Geschichten dieser Charaktere überschneiden, desto unklarer wird die Bedeutung ihrer jeweiligen Erzählungen. Der Zuschauer entdeckt bald, dass Reality von Zog gefilmt wird, während sie schläft, und dass Zogs Produzent in Wirklichkeit Jasons Chef ist. Alles hängt zusammen, aber diese Verbindungen sind nicht unbedingt aufschlussreich. Wenn man in den Ereignissen des Films einen Sinn finden möchte, kann man ihn als abgestumpfte Kulturkritik lesen. Jason ist nur auf der Suche nach dem perfekten Schrei, weil er einen Science-Fiction-Film über intelligente Fernseher machen will, der die Zuschauer dazu zwingt, mehr fernzusehen, und ihnen dann den Kopf zum Explodieren bringt. So funktioniert der Film nicht nur - er überhäuft einen mit Fehlstarts, Ablenkungsmanövern und unverständlichen Wendungen -, sondern auch, wie der Film mit den jeweiligen Antworten seiner Charaktere umgeht. Es macht also (irgendwie) Sinn, dass Dennis unverblümt gesagt wird, dass er nicht an einem normalen Hautausschlag leide, sondern an "einem Geistesausschlag". Das bedeutet nicht, dass Dennis' Leiden nicht real ist, sondern vielmehr, dass es sich um eine selbstgemachte Krankheit handelt, die er sich zwangsweise selbst zufügt. Das ist Nihilismus auf College-Niveau: Das menschliche Bewusstsein ist eine Plage, die jedem, der damit verflucht ist, unweigerlich Leid bringt. Wenn man nachdenkt, versucht man, Verbindungen herzustellen - aber diese Verbindungen verbessern das Leben nicht.
Diese Art von kindlichem Zynismus wäre deprimierend, wenn es nicht so lustig wäre. Autor/Regisseur Quentin Dupieux nimmt sich unglaublich viel Zeit, um die Verwirrungen seiner Figuren hervorzuheben. Chabat profitiert am meisten vom entspannten, aber souveränen Tempo des Films. Jason, ein nervöser, selbstsüchtiger Tagträumer, ist der emotionale Anker des Films. Wenn er also in Panik gerät, signalisiert dies einige der größten (und verwirrendsten) Wendungen des Films. Chabat zuckt und lacht nervös in diesen entscheidenden Szenen, wie in der Szene, in der er träumt, er könne nicht von seinem Stuhl aufstehen, als ihm ein Oscar für das beste Stöhnen verliehen wird. Diese Sequenz ist von Natur aus beunruhigend, dank Dupieux‘ minimalistischer Synthesizer-Partitur und dem Auditorium voller Smoking-Mannequins, die Chabat umgeben. Aber was die Szene großartig macht, ist die Art und Weise, wie Chabat sich bescheiden windet und nie weiter übertreibt als nötig. "Reality" ist durchweg wirkungsvoll, weil Dupieux genau zu wissen scheint, was er sagen will, egal wie kindisch oder unsinnig es auch sein mag. "Reality" fühlt sich wie das Werk eines Künstlers an, der es sich leichter gemacht hat, ein Klugscheißer zu sein. Sogar eine kleine, tangentiale Szene, wie die, in der der Cross-Dressing-Zuschauer Henri (Eric Wareheim) einen Fremden an seiner Haustür verärgert konfrontiert, ist beunruhigend. Dupieux ist eben gut darin, sein Publikum zu begeistern, und hat "Reality" zu einer freudig aufwühlenden Anspielung gemacht.
7,5/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Pierrot Le Fou
Poster/Artwork: Realitism Films
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen