http://www.imdb.com/title/tt4911940/
Eigentlich kann sich der 14-jährige Maik Klingenberg (Tristan Göbel)
nicht beschweren, denn dank seiner wohlhabenden Eltern verbringt er
seine Tage in eine schicken Haus mit Swimmingpool. Nur leider droht ihm
für die großen Ferien auch die große Langeweile, denn seine Mutter
steckt in einer Entzugsklinik und sein Vater muss auf „Geschäftsreise“
mit seiner Assistentin. Doch dann kreuzt Tschick (Anand Batbileg) auf -
und der Sommer scheint gerettet. Denn Tschick, der aus dem tiefsten
Russland stammt und in einem der Hochhäuser in Berlin-Marzahn lebt, hat
einen Kleinwagen geklaut. Prompt brechen die zwei Freunde ohne Karte,
Kompass und Ziel auf und machen gemeinsam die ostdeutsche Provinz
unsicher...
Man hätte kaum einen passenderen Regisseur als Fatih
Akin für die Verfilmung des gleichnamigen Romans "Tschick" von Wolfgang Herrndorf aus dem Jahr 2010 wählen können. Der gebürtige Hamburger ist ein Meister in kantigem
deutschem Kino und schafft meistens die Gratwanderung zwischen
gespielter Coolness und kindischem Klamauk. "Soul Kitchen" war 2009 ein
leuchtendes Beispiel dafür, dass auch Deutschland schwarzen Humor
beherrscht und dabei sogar gelegentlich in die Weiten des Slacker-Films
abdriftet. Genau dieser liebevolle Hang zur Anarchie wohnt auch "Tschick" inne.
Akin zeigt seine Charaktere mit Fehlern aber ohne diese dafür
bloßzustellen. Viele eher ist Maiks Dasein als Außenseiter ein
notwendiger Schritt in sein erwachsenes Leben. In seinen besten Momenten
zeigt "Tschick" eine ungemeine Liebe zu jugendlicher Naivität und
unreflektiertem Tatendrang und macht aus ihm einen
durch und durch sympathischen Film, den man aufgrund seiner knuffigen
(und doch unheimlich ehrlichen) Art einfach nur ins Herz schließen kann.
Der Freak und der Assi lassen die zwangbehaftete Normalität hinter
sich und suchen das Abenteuer - an dem folgenden Roadtrip ist zwar auf
den ersten Blick nichts besonders, das Märchen von "diesem einen
perfekten Sommer in der Jugend" hat jeder Zuschauer bereits x-mal gesehen, und doch reißt
"Tschick" im seiner frechen Leichtigkeit unheimlich mit. Weil er Herz hat, die richtigen Aussagen zum Jungsein trifft und sich
mit Inbrunst für Individualität und ein Ausbrechen aus der öden Norm
stark macht. Mit angenehm verschrobenen Figuren gesegnet, in seinen
vielen kleinen Momenten herrlich charmant und mit augenzwinkerndem Blick
auf Gesellschaft und Co. bewaffnet, macht diese Reise im Lader ebenso
viel Spaß, wie sie im Kern sehr wahres über das Aufwachsen trägt.
Man könnte "Tschick" vorwerfen ähnlich wie Oskar Roehlers Filme zu
sein. Komplett auf hip gebürstet, ohne über eine inhaltliche
Rechtfertigung nachzudenken. In diese Richtung macht auch "Tschick" ganz
klar Fehler, jedoch ohne komplett darin zu versinken.
Man merkt Akins Film an, dass er gerne Seite an Seite mit "Trainspotting" und ähnlichen Generationenportraits stehen möchte. Maiks
Off-Kommentar ist in seiner zynischen Abgebrühtheit damit auch eher ein
Störfaktor als wirklich ein großes Plus für den Film. Immer wieder
Gerät der Film damit in eine unangenehme Grauzone, in der auch mal
Fremdschämen angesagt ist. Letzteres ist tatsächlich ein Faktor, der einem Film locker mal das Genick
brechen kann. Oftmals, gerade gegen Anfang, drohten gerade längere
Szenen mit Maik auch in diese Ecke abzurutschen, bis dann Tschick
auftritt. Jungschauspieler Anand Batbileg ist derart gut gecastet, dass man - auch ohne den Roman zu kennen - ihm die Rolle zu Einhundert Prozent abkauft. Er wirkt, als hätte man den Charakter direkt
von den Seiten in die Realität übertragen. Batbileg bringt den
hochsympathischen Grundtenor von Tschick haargenau auf die Leinwand.
Letztendlich entspringen den vielen Momenten mit Tschick auch Akins
größte Stärken.
Wenn Isa, Maik und Tschick im See baden gehen, Maik langsam seine
Sexualität entdeckt und Isa mit einer schmutzigen Kiste nach Prag fährt,
entwickelt "Tschick" eine Energie und Schamlosigkeit, die man lange
nicht mehr in deutschen Jugendfilmen bewundern durfte. Klar, immer
wieder ist das Schauspiel etwas ungelenk und immer wieder wirkt der Film
in seiner Dramaturgie zu abgekürzt, dennoch hat "Tschick" das Herz am
rechten Fleck und trifft genau da, wo man es erwarten würde: mitten ins Herz. "Tschick" ist ein kleiner, rotzfrecher
Film, der sich gerne auch mal "Jugendfilm" nennen darf. Klasse!
8/10