Donnerstag, 20. Juli 2023

[KINO] Oppenheimer (2023)

https://www.imdb.com/title/tt15398776/

Als dem Physiker Julius Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) während des Zweiten Weltkriegs die wissenschaftliche Leitung des Manhattan-Projekts übertragen wird, können er und seine Ehefrau Kitty (Emily Blunt) sich nicht vorstellen, welche Auswirkungen Oppenheimers Arbeit nicht nur auf ihr Leben, sondern auf die ganze Welt haben wird. Im Los Alamos National Laboratory in New Mexico sollen er und sein Team unter der Aufsicht von Lt. Leslie Groves (Matt Damon) eine Nuklearwaffe entwickeln - was ihnen auch gelingt. Oppenheimer wird zum "Vater der Atombombe" ausgerufen, doch dass seine tödliche Erfindung bald folgenschwer in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wird, lässt Oppenheimer Abstand von dem Projekt nehmen. Als der Krieg zu Ende geht, setzt sich Robert Oppenheimer als Berater der US-amerikanischen Atomenergiebehörde, die von Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) mitbegründet wurde, für eine internationale Kontrolle von Kernenergie und gegen ein nukleares Wettrüsten ein - und gerät ins Visier des FBI....

Der theoretische Physiker Julius Robert Oppenheimer (1904-1967) stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie und gab zu, ein "Mitläufer Mitläufer" der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten von Amerika zu sein. Oft anfällig für Depressionen, war ein hervorragender Chemiker und Physiker sowie und ein Pionier der Quantenmechanik. Er wurde vor allem während des Zweiten Weltkriegs für seine Rolle als wissenschaftlicher Leiter des "Manhattan-Projekts" bekannt. Dieses im Jahr 1943 geheim gehaltenen Los Alamos National Laboratory in New Mexico stationierte Projekt hatte zum Ziel, die ersten Nuklearwaffen zu entwickeln. Robert Oppenheimer gilt als "Vater der Atombombe", verurteilte jedoch ihren weiteren Einsatz, nachdem er die Folgen ihres Einsatzes gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki gesehen hatte. Nach dem Krieg arbeitete Robert Oppenheimer als Berater der 1946 neu gegründeten Atomenergiebehörde der Vereinigten Staaten und nutzte diese Position dazu, sich für eine internationale Kontrolle der Kernenergie und gegen ein nukleares Wettrüsten zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten einzusetzen. Nachdem er sich mit seinen politischen Ansichten das Missfallen vieler Politiker während der McCarthy-Ära zugezogen hatte, wurde ihm am 29. Juni 1954 die Sicherheitsberechtigung entzogen. Von direkter politischer Einflussnahme ausgeschlossen, setzte er seine Arbeit als Physiker in Forschung und Lehre fort. Knapp ein Jahrzehnt später wurde Robert Oppenheimer 1963 durch Präsident Lyndon B. Johnson als Zeichen seiner politischen Rehabilitierung der Enrico-Fermi-Preis verliehen.

In Christopher Nolans zwölftem Spielfilm mit dem Titel "Oppenheimer" spielt Cillian Murphy die Rolle von J. Robert Oppenheimer. Autor und Regisseur Paul Schrader bezeichnete "Oppenheimer" als "den besten und wichtigsten Film dieses Jahrhunderts". Und man kann ohne Umschweife behaupten, dass, wenn man nur einen Film im Jahr sehen will, es "Oppenheimer" sein sollte. Dazu muss man auch kein Nolan-Groupie sein, aber dieser Film reißt einfach die Türen aus den Angeln. Nolan klammert in seinem Film grob aus, was in Oppenheimers Jugend oder in seinem Ruhestand geschah, und konzentriert sich auf das, was im Mittelpunkt des nach der gleichnamigen Figur benannten Biopics steht. Soweit es die eher elliptische Struktur des Films zulässt, geht es dem Filmemacher um die Frage, ob Wissenschaftler sowohl vor ihrem eigenen Gewissen als auch vor dem Rest der Menschheit für die Nutzung ihrer Erfindungen durch Politiker verantwortlich sind.

Nolans Antwort auf seine eigene Frage liefert er in drei Stunden, brillant wie immer, wenn auch mit einem Hang zur Konzeptualität und mit einem Nachdruck, der wie immer dazu führt, dass seine Filme meist in übertrieberer Ausdrucksweise versinken. Angesichts des aktuellen Hollywood-Trends zu infantilisierten Filmen könnte man dafür jedoch fast dankbar sein. Das neue Werk des Regisseurs ist ein sanfter Ausdruck der Formel, die drei Epochen in einer Art chronologischer Verflechtung nebeneinander stellt, wobei jede Epoche mit einem Rückblick auf die vorhergehende beginnt. Nolans clevere Herangehensweise, die den Zuschauer auch schon in Filmen wie "Inception" oder "Tenet" zum Stauenen brachte, weil sich die Abfolge wie eine Matrjoschka anfühlt, wirft auch in "Oppenheimer" nur langsam Licht auf eine sich beim Zuschauer einschleichende Verwirrung. Der längste und letzte Abschnitt - vollständig in Schwarz-Weiß präsentiert - beschreibt das Auftreten von Robert Downey Jr.. Er ist der doppelzüngige Vorsitzende der Atomenergiekommission Lewis Strauss, die die Rolle untersucht, die er bei der Amtsenthebung Oppenheimers einige Jahre zuvor gespielt hat. Es stellt sich heraus, dass Strauss, ein fanatischer Konservativer, der auch von Oppenheimer öffentlich gedemütigt worden war, eine besonders schädliche Aussage macht, die gleichermaßen von Ideologie und persönlichem Groll motiviert ist. Und allein solche Dinge sind, es, die "Oppenheimer" auszeichnen.

Das Hauptereignis ist aber die erschreckende erste Demonstration: der "Trinity"-Atomtest in der Wüste von New Mexico im Juli 1945, bei dem Oppenheimer im Stillen über die Zeilen Vishnus aus der Hindu-Schrift Bhagavad-Gita nachgedacht haben soll (und später im Fernsehen intonierte): "Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten...". Das ist der Urknall, und niemand hätte ihn größer und überwältigender machen können als Nolan. Er tut dies, ohne es einfach in einen Action-Stunt zu verwandeln - obwohl dieser Film bei all seiner Kühnheit und seinem Ehrgeiz nie ganz das Problem seiner eigenen Stumpfheit löst: Er füllt das Drama so ausführlich mit den Qualen des genial-funktionären Oppenheimer auf Kosten der Darstellung der japanischen Erfahrung und der Menschen in Hiroshima und Nagasaki. Nolan bewegt sich in der Zeit vor und zurück, auf beiden Seiten der historischen Feuerpause von 1945, und zeigt Oppenheimers Anfänge als junger Wissenschaftler, einsam und unglücklich, elektrisiert von den neuen Entwicklungen in der Quantenmechanik, der nie Mitglied der kommunistischen Partei wurde, dessen Antifaschismus aber seinen Wunsch beflügelte, die Bombe zu entwickeln, bevor die Nazis es konnten, und der die Arbeit von Hunderten von Wissenschaftlern leitete.

Später, in den 50er Jahren, ist da der desillusionierte, kompromittierte Administrator, der von den McCarthy-Anhängern wegen seiner kommunistischen Verbindungen verfolgt wird, der von seiner eigenen sinnlosen Berühmtheit angewidert ist, von seinem Versagen, nach dem Krieg eine internationale Atomkontrolle zu etablieren, und von einem einzigen verleugneten Gedanken: Die Nazis kapitulierten, lange bevor es irgendeinen Hinweis darauf gab, dass sie die Waffe besaßen, und die Bombardierung der besiegten Japaner in Hiroshima und Nagasaki diente lediglich dazu, die Russen mit einer rücksichtslosen Demonstration der nuklearen Meisterschaft der USA einzuschüchtern. Cillian Murphy sieht Oppenheimer unheimlich ähnlich, mit seinem Markenzeichen, dem Hut und der Pfeife, und es gelingt ihm sehr gut, sein Gefühl der Einsamkeit und der emotionalen Gefangenschaft einzufangen, indem er dem Zuschauer den Oppenheimer-Millionenblick schenkt, mit den großen Augäpfeln in einem hageren Schädel, der Dinge sieht und voraussieht, die er nicht verarbeiten kann.

Matt Damon ist der barsche Generalleutnant Richard Groves, Oppenheimers militärischer Betreuer; Kenneth Branagh ist sein genialer wissenschaftlicher Held und Mentor Niels Bohr; Florence Pugh spielt seine Geliebte Jean Tatlock, deren Herz er gebrochen hat, während Emily Blunt seine von ihm ebenfalls schlecht behandelte (und stark dem Alkoholismus zugeneigte) Frau Kitty spielt. Letztere beweist aber vor allem im letzten Akt ihre Scharfsinnigkeit und lässt beim Zuschauer die Kinnlade herunter klappen. Tom Conti spielt den traurig-abgehobenen Albert Einstein, und man muss sagen, dass Nolan, ob zu Recht oder zu Unrecht, nicht-jüdische Schauspieler für Oppenheimer und Einstein, zwei der berühmtesten jüdischen Menschen der Geschichte, einsetzt und den Antisemitismus, dem Oppenheimer als assimilierter, säkularer, amerikanischer Jude ausgesetzt war, nicht ganz in den Griff bekommt. Es gibt eine furchtbar ergreifende Szene, die Oppenheimers prägende Erfahrung als unglücklicher Doktorand in England am Christ's College in Cambridge zeigt. Er erlitt so etwas wie einen psychotischen Zusammenbruch und ließ einen vergifteten Apfel auf dem Schreibtisch seines gereizten Vorgesetzten Patrick Blackett (James D'Arcy) liegen, den Blackett glücklicherweise nicht bemerkte und nicht aß. Nolan lädt kühl dazu ein, dies als Gleichnis für das verlorene Eden einer unschuldigeren Vorkriegsphysik zu sehen, mit Oppenheimer als Schlange mit Adams törichter Unschuld. Und natürlich gibt es die schleichende biografische Ironie: wie furchtbar nah Oppenheimer daran war, jemanden mit eigener Hand zu töten.

Die geballte Ladung Angst wird aber in einer Szene geliefert, die Nolan auch mit unverblümtem Gusto behandelt. Nach der erfolgreichen Zündung der Hiroshima-Bombe zeigt Murphy den schockierten Oppenheimer, der aber auch erkennt, dass er vor einem Publikum von jubelnden Kollegen und Untergebenen sprechen muss. Er weiß, dass es seine Pflicht als Führungskraft ist, ihnen zu gratulieren und optimistisch zu sein. Er stammelt eine dumme Bemerkung darüber, dass es den Japanern "nicht gefallen hat", merkt dann, wie gefühllos das war, und beginnt, das Grauen zu halluzinieren. Der Hintergrund verschwimmt, alles dröhnt. Natürlich hat Oppenheimer den tatsächlichen Einsatz seiner Waffe nicht miterlebt, er hat nie etwas gesehen, das zum Tod wurde, zum Zerstörer von Welten, und Nolan beschließt, auch hier wegzusehen, in den USA zu bleiben, bei Oppenheimer selbst zu bleiben, in seiner plötzlichen tragischen Bedeutungslosigkeit.

Der vielleicht wichtigste Moment des Films ist derjenige, der seine eigene Schwäche anspricht: die legendäre Nachkriegsbegegnung im Oval Office des Weißen Hauses zwischen Oppenheimer und Präsident Harry S. Truman (gespielt von Gary Oldman), dem Mann, der die endgültige exekutive Entscheidung zum Abwurf der Bombe traf. Nolan und Murphy zeigen, wie sich Oppenheimer wie ein verängstigter kleiner Junge in die Couch vor ihm verkriecht und offenbar so etwas wie Absolution vom Präsidenten will und murmelt, er habe das Gefühl, "Blut an den Händen zu haben". Wütend und verblüfft sagt Truman ihm knapp, dass er als Präsident für all das verantwortlich sei, und stellt eine sehr berechtigte Frage: Glaubt Oppenheimer, dass es die Japaner interessiert, wer die Bombe gebaut hat? Nein, sie wollen wissen, wer sie abgeworfen hat. Es stimmt: Die Konzentration auf Oppenheimer ist faszinierend und gleichzeitig nebensächlich für die Geschichte.

Und am Ende zeigt Nolan dem Publikum, wie die herrschende Klasse der USA Oppenheimer nicht verzeihen konnte, dass er sie zu Herren des Universums gemacht hat, wie sie es nicht ertragen konnte, in der Schuld dieses liberalen Intellektuellen zu stehen. Oppenheimer verliert sich auf ergreifende Weise in der kaleidoskopischen Masse der gebrochenen Blicke: der Opfer-Heldenfetisch des amerikanischen Jahrhunderts. Ein grandioses Biopic, aber das durfte man auch erwarten.

9,5/10

Quellen
Inhaltsangabe: Universal Pictures
Textauszüge: Wikipedia

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