Spanien in den frühen 1980er-Jahren: Als Lola (Milena Smit) während ihrer Hochzeit mit Adolfo (Jaime Lorente) ihr ungeborenes Baby verliert und danach auch noch erfährt, dass sie nie wieder ein Kind zur Welt bringen kann, verfällt sie in tiefste Trauer. In beiden reift später jedoch die Entscheidung heran, zwei Kinder zu adoptieren, die ihre Eltern verloren haben. In einem von Nonnen geführten Waisenhaus lernen sie Tin (Carlos González Morollón) und Tina (Anastasia Russo) kennen, Albino-Zwillinge mit offenbar hervorragenden Manieren und bester Erziehung. Doch als die beiden bei Lola und Adolfo einziehen, kommt es zu immer bizarreren Vorfällen.
Die Ausgangslage des spanische "Tin & Tina", der exkluisv bei Netflix zu sehen ist, ist beileibe nicht neu: Zu Beginn des Films lernt man Lola und Adolfo kennen, ein Paar, das soeben geheiratet hat und sich auf ein gemeinsames Leben mit Kindern freut. Diese Freude wird jäh unterbrochen, als die Braut noch während der Hochzeit angeschossen wird, ihr (ungeborenes) Kind verliert und von nun ab nie wieder Kinder haben kann. Doch ihr verzweifelter Wunsch nach einer Familie scheint erhört, als sie von einem örtlichen Kloster hören, das Waisenkinder beherbergt. Zunächst wollen die beiden ein Baby mit nach Hause nehmen, aber als Lola Mitleid mit Tin und Tina bekommt, die im Kloster stehen und traurig aussehen, beschließen sie, sie stattdessen zu adoptieren. Eine schlechte Wahl. Die Kinder sind mit strengen Nonnen und einer fundamentalistischen christlichen Lehre aufgewachsen und neigen daher dazu, alles wörtlich zu nehmen, was sie in der Bibel gelesen haben. Das wäre nicht so schlimm, wenn sie ihren Glauben für sich behalten würden, aber ihr Glaube schwappt auf immer gefährlichere Weise in den Haushalt über, als sie beginnen, ihre neuen Eltern in ihre religiösen Wahnvorstellungen hineinzuziehen.
Wenn man jemals ein Kind adoptieren wöllte, sollte man sich hüten, ein Kind mit dem Namen Damian Thorne ("Das Omen"), Carrie White ("Carrie"), Isaac Croner ("Kinder des Zorns") oder Esther Coleman ("Orphan") aufzunehmen. Und warum? Naja, die anstehende Zeit könnte hart werden. So sollte man sich es auch zweimal überlegen, bevor man blonde Zwillinge mit den Namen Tin und Tina adoptiert. Das hätten die hoffnungsvollen Eltern dieses Films tun sollen, bevor sie die beiden aus dem Waisenhaus mit nach Hause nahmen. Es ist schwer, ein Spiel über glückliche Familien zu spielen, wenn die Kinder in deinem Haushalt deinen Hund im Namen Gottes ermorden und zur Buße für ihre Sünden mit Gabeln auf den Knien herumlaufen, aber das ist es, was die ungewöhnlich aussehenden Kinder in diesem spanischen Horror-Thriller tun.
Oberflächlich betrachtet ist dies ein weiterer Horrorfilm über gruselige Kinder, die Menschen (und Tieren), die sie nicht mögen, schreckliche Dinge antun. Doch die Kinder, die im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen, scheinen nicht zu wissen, was sie da tun. Ihr Verhalten hängt mit ihrem Glauben an Gott zusammen und damit, dass das, was sie tun, für ihn richtig ist, so dass man tatsächlich Mitleid mit ihnen haben könnte. Die Nonnen sind größtenteils für ihr Handeln verantwortlich, obwohl auch andere Faktoren eine Rolle spielen könnten, wie z. B. psychische Erkrankungen, die durch frühkindliche Traumata verursacht wurden, die sie erlebt haben könnten, bevor sie als Babys vor den Toren des Klosters ausgesetzt wurden. Diese Kinder haben nicht den Teufel in sich (sie wären auch entsetzt, wenn sie das hören würden). Sie haben keine übersinnlichen Kräfte. Und es sind auch keine engelsgleichen Kinder, die zu Serienmördern werden könnten. Es sind Kinder, die es gut meinen, auch wenn sie mit ihren Taten ständig die Menschen in ihrer Umgebung verletzen. Das Gleiche könnte man von jedem religiösen Besessenen sagen, der es versäumt, Bibelverse in einen Kontext zu setzen, wenn er seinen Glauben auslebt.
Man sollte also keinen typischen Horrorfilm im Stile der anderen von uns genannten Titel erwarten. Er ist zwar immer noch gruselig - der Anblick zweier Kinder, die in blutverschmierter Nachtwäsche am Ende des elterlichen Bettes stehen, ist schon sehr beunruhigend -, aber es gibt keine Jump-Scares oder sensationslüsterne Szenen von Kindern, die aufgrund psychopathischer Tendenzen Morde begehen. Dies ist ein Film, der ganz anders ist, was es schwierig macht, ihn zu kategorisieren. Carlos González Morollón (Tin) und Anastasia Russo (Tina) liefern als Kinder hervorragende Leistungen ab. Sie sind als religiöse Kinder sehr glaubwürdig, oft sogar erschreckend glaubwürdig, da sie die Unschuld ihrer Figuren einfangen, während sie für das "Wohl Gottes" teuflische Taten vollbringen. Milena Smit (Lola) und Jaime Lorente (Adolfo) zeigen ebenfalls brillante Leistungen, vor allem Smit, die eine Reihe von Emotionen und Reaktionen zeigen muss, da sie eine Frau verkörpert, die in einem Moment trauert, im nächsten verwirrt ist und in der zweiten Hälfte des Films völlig entsetzt ist, da der religiöse Wahn ihrer Kinder ihre Familie zu zerstören droht.
Großes Lob gebührt auch Rubin Stein, dem Regisseur, der im Verlauf des Films ein echtes Gefühl der Beunruhigung erzeugt. Anstatt die Kamera in Szenen, die inszeniert wirken könnten, auf seine Figuren zu richten, ist er kreativ in seinen Regieentscheidungen und filmt seine Schauspieler oft aus ungewöhnlichen Blickwinkeln, um die bedrohliche Atmosphäre zu verstärken. Die Musik der englischen Komponistin Jocelyn Pook ist ebenfalls erwähnenswert. Manchmal trägt sie mit gespenstischen Stücken, die einem die Nackenhaare aufstellen, zur gruseligen Stimmung des Films bei, ein anderes Mal füllt sie den Soundtrack mit leichteren Themen, die mit der Unschuld der Kinder spielen.
"Tin & Tina" ist oft unangenehm anzuschauen, mit Szenen, die einem den Magen umdrehen können. Der Moment, in dem die Kinder die Seele des Familienhundes "reinigen", ist besonders ekelerregend. Aber dies ist kein reißerischer oder ausbeuterischer Film, in dem Gewaltszenen vorkommen, weil der Regisseur sein Publikum schockieren will. Dieser Film ist viel intelligenter als die übliche Genrekost und in seiner Geschichte über zwei Kinder, die wegen ihres unschuldigen Glaubens an Gott zu extremen Taten getrieben werden, manchmal viel erschreckender. Der Film hat auch in seiner Geschichte über religiöse Besessenheit weniger mit einem weiteren "Das Omen"-ähnlichen Film, in dem der Teufel alle Entscheidungen trifft, zu tun und ist daher sicherlich eine Sichtung wert, wenn man auf der Suche nach einem intelligenten Horrorstück ist, das sowohl zum Nachdenken als auch zum Fürchten anregt.
7/10
Inhaltsangabe: Netflix
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