Einige Zeit ist seit dem Aufeinandertreffen zwischen Miles Morales (Stimme im Original: Shameik Moore) und Gwen Stacy (Hailee Steinfeld) ins Land gezogen. Zwar befinden sich die beiden wieder in fernen Multiversen, doch in Gedanken bleiben sie verbunden. Doch Gwen hat inzwischen ganz eigene Sorgen. In ihrer eigenen Heimat bleibt sie weiter eine Einzelgängerin, die als Spider-Girl zwar immer wieder die Welt rettet und es mit fiesen Schurken aufnimmt, aber trotzdem steht sie im Verdacht, am Tod von Peter Parker beteiligt gewesen zu sein. Insbesondere ihr Vater (Shea Whigham) setzt alles daran, die mutmaßliche Verbrecherin endlich dingfest zu machen – daran ändert auch Gwens Demaskierung nichts. Als Gwen es während einer Routine-Mission plötzlich mit einer seltsam altertümlich anmutenden Version des Bösewichts Vulture (Jorma Taccone) zu tun bekommt, muss sie feststellen, dass sich scheinbar weitere Lücken im Multiversum aufgetan haben – und das es Spider-Menschen gibt, die sich zwischen den einzelnen Universen frei bewegen können. Angeführt von Miguel O'Hara alias Spider-Man 2099 (Oscar Isaac) sorgt eine Vereinigung für Ordnung im Spider-Multiversum. Gwen Stacy wittert eine Chance: Gibt es eine Möglichkeit, noch einmal Kontakt mit Miles Morales aufzunehmen? Währenddessen hat Miles in seinem Universum auch einiges um die Ohren: Ein neuer Schurke namens The Spot (Jason Schwartzman) sorgt in der Stadt für Chaos und setzt dabei eine Kette von Ereignissen in Bewegung, die die Zukunft des Multiversums beeinflussen wird...
Ohne zu spoilern sollte man Eingangs nicht unerwähnt lassen, dass der zweite Teil der von Sony Animation Studios in Kooperation mit Marvel animierten Spider-Man-Kinoreihe "Spider-Man: Across The Spider-Verse" mit einem Schlagzeugsolo beginnt. Oder besser gesagt, es ist kein Spoiler, wenn die Details darüber, wer dieses Solo spielt und warum, geheim gehalten werden. Für die Zwecke des Arguments sind diese Details jedoch nicht relevant. Relevant ist, dass Gwen Stacy während des Solos eine so prägnante Erklärung abgibt, dass man gar nicht merkt, dass es sich um eine Erklärung handelt. Jede Einstellung ist so wunderschön illustriert, so gekonnt vertont, dass sie sich direkt im Hirn des Zuschauers festsetzt - wo sie auch hingehört. Das ist der Zeitpunkt, in der es sich Fans im Kinosessel bequem machen und die kommenden zwei Stunden genießen dürfen.
Ohne Umschweife: Man kann "Spider-Man: Into The Spider-verse" nur lieben. Mit zwei Stunden und 20 Minuten ist "Spider-Man: Across The Spider-Verse" etwas länger als sein Vorgänger "Spider-Man: Into the Spider-Verse", aber die Zeit geht genauso schnell vorbei. Befreit von der Verantwortung der Kontinuität mit dem Rest des Marvel Cinematic Universe, springt der Film mit charmanter Leichtigkeit von einem Gag zum nächsten. Es ist nicht so, dass der Film nichts mit dem MCU zu tun hätte - Charaktere aus diesen Filmen werden erwähnt (und das ist alles, was dazu gesagt werden sollte) -, sondern vielmehr, dass er nicht die erzählerische Last trägt, die die Live-Action-Filme mit sich bringen. Niemand erwartet von diesem Film, dass er auf einen weiteren Film vorbereitet, und weil er im Spider-Verse existiert, kann er tun und lassen, was er will. Andere Marvel-Filme sollten mal so viel Glück haben. Aber wer weiß, vielleicht in naher Zukunft...
Als Tom Holland 2015 als Spider-Man gecastet wurde, gab es im Internet Gerüchte, dass die nächste Spidey-Serie vielleicht von Miles Morales angeführt werden könnte, dem halb lateinamerikanischen, halb schwarzen Teenager, der den Spidey-Anzug in der Ultimate-Reihe der Marvel-Comics getragen hatte. Dazu kam es zwar nicht, und Holland ist und war ein hervorragender Peter Parker, aber als die Lego Movie-Regisseure Chris Miller und Phil Lord mit der Produktion eines animierten Spidey-Films beauftragt wurden, wussten sie, was zu tun war. Ihr Spider-Man war Miles, ein Teenager aus Brooklyn, dessen Welt vom pulsierenden Stil des Stadtteils durchdrungen ist. Visuell fühlte sich "Spider-Man: Into the Spider-Verse" wie ein Liebesbrief an New York City, Wild Style und die Comics selbst an. Emotional war der Film ein Loblied auf Kinder, die sich in der ausgrenzungsfreundlichen Welt der Superhelden nicht immer willkommen fühlen. Er wurde 2019 mit dem Oscar für den besten animierten Spielfilm ausgezeichnet.
"Spider-Man: Across The Spider-Verse" versucht, diesen Erfolg noch weiter auszubauen. Der Film hat vielleicht nicht die Franchise-Power, um die 100-Millionen-Dollar-Eröffnungszahlen anderer MCU-Filme zu erreichen - aber niemand, der ihn sieht, wird das Kino mit den Worten verlassen: "Ach, nur ein weiterer Marvel-Film." Kevin Feige und das Team von MARVEL Studios haben fast ein ganzes Jahrzehnt damit verbracht, ein perfektes, zusammenhängendes Franchise zu entwickeln. Es war äußerst erfolgreich; die Entwicklung der MCU-Formel hat die Filme zu einer Formel gemacht. Jeder erwartet Cameos und Post-Credits-Szenen. Bösewichte aus einem Film tauchen in einem anderen auf. Einige bekommen ihre eigenen Shows auf Disney+. "Spider-Man: Across The Spider-Verse" hingegen sieht aus wie kein MCU-Film - oder wirklich wie kein Comic-Film, den man je gesehen hast.
Das ist wörtlich zu nehmen. Da "Spider-Man: Across The Spider-Verse" in einem animierten Multiversum spielt, das mit unzähligen Spider-People in zahllosen Zeitlinien übersät ist, hat jeder Spidey und die Welt, aus der er kommt, seinen eigenen visuellen Stil. Der als Miguel O'Hara bekannte Spider-Man lebt in einem Nueva York, das vage an Cyberpunk erinnert. Die Welt von Spider-Gwen hat ein paar sanftere Pastelltöne und sichtbare Pinselstriche. Spider-Punk sieht aus, als sei er aus Underground-Zines gemacht. Die Beispiele sind endlos. Wo alles in einem traditionellen MCU-Film einen "coolen, aber durch Greenscreen angetriebenen" Geschmack hat, sieht "Spider-Man: Across The Spider-Verse" aus, als wären die Skizzenbuch-Collagen eines Comic-Liebhabers zum Leben erwacht. Das ist kitschig, aber anders kann man nicht ausdrücken, wie verdammt schön dieser Film ist.
An einer Schlüsselstelle in "Spider-Man: Across The Spider-Verse" sagt einer dieser vielen anderen Spider-People zu Miles Morales, dass er nicht zu ihnen gehört. Die Spinne, die ihn gebissen hat und damit die altbekannte Reihe von Ereignissen auslöste, die die Spider-Folks hervorgebracht hat, war für den Peter Parker aus seiner Zeitlinie bestimmt. Das ist natürlich auch die Moral des Films: Nur weil jemand sagt, man gehöre nicht dazu, heißt das nicht, dass es stimmt. In einem Filmuniversum, das mit einer Menge gleichartiger Superheldenfilme überfüllt ist, beweist "Spider-Man: Across The Spider-Verse", dass die Zukunft des Genres in Filmen liegt, die aus der Reihe tanzen. Willkommen im neuen weltweiten Netz.
9/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Sony Pictures / Marvel
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