http://www.imdb.com/title/tt0119349/
Die 70-er Jahre in den USA bei Lichte besehen: Die sexuelle Aufklärung
tobt und mit ihr der Partnertausch, die Wasserbetten und der schlechte
Geschmack. Der Regisseur Ang Lee zeichnet das Leben von zwei
benachbarten wohlanständigen Mittelstandsfamilien. Papa Ben Hood von
der einen Familie hat ein Verhältnis mit Mama Carver von der anderen
Familie. Bens Frau ist neurotisch: Sie stiehlt kräftig in Läden und
liest Sexualratgeber. Wer selbst so sehr mit seiner eigenen Entwicklung
beschäftigt ist, kommt nicht dazu, sich um seine pubertierenden Kinder
zu beschäftigen. Und so mündet der Film bei aller vorhergehenden Komik
in einen Eissturm und einem tragischen Ende...
Ein Film für Cineasten und Zuschauer mit Verstand. Der Film hat einen
subtilen Humor und durchleuchtet die törichte, amerikanische Familie der 70er Jahre. Eine Gesellschaftsstudie. November 1973, Thanksgiving-Wochenende. Die Watergate-Affäre hat
erst begonnen, der Vietnam-Krieg ist bereits zu ende, die sexuelle
Revolution hat inzwischen auch die Vorstädte der Ostküste erreicht. Zwei benachbarte, befreundete Familien. Beide sind nur auf den ersten
Blick glücklich. Der
introvertierte Paul (Tobey Maguire) fährt aus dem Internat heim. Während
Paul für eine Mitschülerin (Katie Holmes) schwärmt, wird seine
Schwester (Christina Ricci) vom ältesten Sohn (Elijah Wood) der Nachbarn
angehimmelt. Seine Mutter (Joan Allen) ist vom Familienalltag frustriert,
sein Vater (Kevin Kline) steigt der Nachbarin (Sigourney Weaver) nach. Affären, Betrug und Verletzlichkeit verbinden die
Eltern, die vergeblich versuchen eine funktionierende Scheinrealität
aufrecht zu erhalten. Die Unsicherheit des Erwachsenwerdens und
vorsichtige Zuneigung zueinander verbinden die Kinder. Nach und nach
erst offenbaren sich die tiefen, emotionalen Risse in der nur äußerlich
makellosen Fassade. Der titelgebende Eissturm ist dabei lediglich
Katalysator einer Zerrissenheit, die sich schon längst ihren Weg in die
Familien gesucht hat. Am Ende wird er seine Opfer fordern, physisch wie
psychisch. Und Ang Lee hält dies in grandios bitteren, zärtlichen
Aufnahmen fest.
Lee rekonstruiert einerseits sehr detailliert die US-Gegenwart der
70er und demontiert andererseits, die damalig herrschenden familiären
Sitten aufgrund der sozialen Umbrüche. Dies weckt Zweifel am angeblichen
Erfolgsmodell der Liberalisierung, die sich in den Staaten breit
machte. Die beiden bürgerlichen Familien dienen hier als Spiegelbild der
amerikanischen Gesellschaft der 70er. Die "Schlüsselparty" ist nicht
nur ein Relikt jener Zeit. Sie dient innerhalb der Handlung auch als
Verweis auf den Egoismus der Erwachsenen. Die Folge dieser
gesellschaftlichen Zusammenkunft sind Konflikte und die Besinnung auf
einstige Werte.
Auch wenn Ang Lee eine recht einseitige und teilweise zynische
Abrechnung betreibt, ist sein Sozialdrama stilistisch beeindruckend und
emotional intensiv. Einzig das moralgetränkte Ende will nicht ganz so recht passen. Aber sei's drum. "Der Eissturm" ist nicht nur wegen der
herausstechenden Besetzung sehenswert, er gehört aufgrund Story, Inszenierung, Aussage und Empfindlichkeit definitiv zu Ang Lees besten Werken.
8/10
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