http://www.imdb.com/title/tt0116282/
Jerry Lundegaard (William H. Macy), ein spießiger Autohändler, ist fast
pleite. Er spekuliert auf das Geld seines vermögenden Schwiegervaters
Wade Gustafson (Harve Presnell), doch der rückt so schnell nichts raus.
Da kommt Jerry die ultimative Idee: Er heuert zwei Kleinganoven (Steve
Buscemi und Peter Stormare) an, die seine Frau (Kristin Rudrüd)
entführen sollen. Von dem Lösegeld, das natürlich nicht Jerry, sondern
sein Schwiegervater zahlen soll, geht ein Teil an die Gangster, der Rest
hilft Jerry aus der finanziellen Misere. Eigentlich ein einfacher Plan,
doch Jerry hat die geistige Größe der Kriminellen überschätzt und es
geht einfach alles schief, was schief gehen kann. Aus dem unblutig
geplanten Scheinverbrechen wird ein brutaler Amoklauf, der viele
unschuldige Opfer fordert. Die ebenso clevere wie hochschwangere
Kleinstadt-Polizistin Marge Gunderson (Frances McDormand) heftet sich an
die Fersen des gewalttätigen Gangsterduos...
"Minnesota ist wie Sibirien. Nur die Restaurants sind etwas netter",
sollen die Coen-Brüder einst über ihre Heimat im Mittleren Westen der USA
gesagt haben. Klimatisch sind sich beide Regionen tatsächlich sehr
ähnlich, doch so richtig freundlich scheint es in den verschneiten
Provinznestern zwischen Fargo (North Dakota) und Brainerd (Minnesota) nicht wirklich
zuzugehen. Distanziert, schroff, misstrauisch ist man hier. Ab und an
auch etwas aufbrausend, abweisend und doch hat dieser gewisse
Looser-Typus vom Land mit seiner unkommunikativen, dusseligen und leicht
dümmlichen Art etwas Sympathisches an sich. Hier spricht man nicht oft
miteinander. Und wenn, dann tut man es mit erhobener Stimme, laut,
krächzend, schonungslos ehrlich oder aber man redet gänzlich aneinander
vorbei. "Fargo" gibt einen unverhohlenen, pessimistischen, aber
irgendwie auch realistischen Blick auf einen Zustand, der sich
zweifelsohne auch auf die zwischenmenschlichen Beziehungen über die
Grenzen von Minnesota hinaus projizieren lässt.
Für die Coen Brothers hat dieses eigenwillige Dasein jedoch
sentimentalen Wert, nicht umsonst gibt sich "Fargo" auch zweifelsohne als eine Art
Heimatfilm zu verstehen. Natürlich spielen
die Coens dabei mit den Klischees der rauen Hinterwäldler-Bevölkerung,
die neben ihren typischen Ausdrücken wie "Oki-Doki", "Jepp", "Nope" und "Oh
Jeez" eher einen beschränkten Wortschatz zu haben scheint. Doch es ist
nicht Bosheit, die sie dazu antreibt, sondern die Verbundenheit zu ihrer
Heimat. Sie wissen, wie die Uhren einer Gesellschaft, in der das
Individuum nicht zuletzt durch Ungereimtheiten und einer Menge
Missverständnisse nur noch an sich denkt und glaubt, ticken. Wie es sich
an diesem verlassenen Fleckchen Erde mit viel Schnee und sonst nichts
lebt. Und sie verstehen es perfekt, diese Lebensart liebenswürdig in
einem Film zu verpacken. Und obgleich sich die Brüder über - und auf Kosten dieser - jene lokale
Eigenart amüsieren, lieben sie merklich diese Gepflogenheiten, die Einheimischen,
innig und eröffnen dem Zuschauer so herrlich ungeschliffene Porträts
unterschiedlicher Menschen, die durch ein Szenario stolpern, das in
seiner ganzen Absurdität vollkommen dem Leben selbst entspricht.
Menschen, die sich durch ihren Egoismus, ihre Dummheit, ihre
Verzweiflung und auch durch ihre Güte auszeichnen.
"Kennst du schon den Witz über den Kerl, der sich kein Nummernschild mit
seinen Initialen leisten konnte und seinen Namen in J3L-2404 ändern
ließ?" - "Ja, der ist richtig gut!"
Ihre komödiantisch-dramatische
Krimi-Groteske rund um einen nicht plangemäß verlaufenen Entführungsfall
verfrachten die Coens genau in dieses nicht allzu oft verfilmte Milieu
mitsamt seiner gleichzeitig verlassenen und doch einladenden
Schneelandschaft, die das Blut der gerne und gezielt eingesetzten
Splattereinlagen hervorragend kontrastiert. In Minnesotas
Provinzialität, eingefangen von einer virtuosen Kameraführung, die oft
nah an den Charakteren ist und einen wohligen 90er Flair versprüht, darf
sich der achtsame Cast um William H. Macy, Frances McDormand, Steve
Buscemi und Peter Stormare mit leichtem Overacting austoben und seine
Figuren in eine brenzlige Situation nach der anderen manövrieren.
Das
gibt unterm Strich eine runde Mischung aus stellenweise nervenzährender
Spannung, gelegentlichem Witz, viel schwarzem Humor, Tragik und Schrägheit, kurz und knackig
in 98 Minuten verpackt und mit dem Herz definitiv am rechten Fleck. "Fargo" ist ein Film über eben solche unverstellte Menschen und über
die Nadeln des individuellen moralischen Kompasses, die immer wieder in
verschiedene Richtungen ausschlagen. Unkonventionelles, aber dennoch
schlichtweg brillantes Erzählkino, das sich glücklicherweise erlaubt,
Freiräume für eigene Gedanken zu lassen, in seiner Struktur aber immer
so homogen wie harmonisch wirkt. Kunst. Coen'sche Kunst. Kein Meisterwerk wie etwa "The Big Lebowski",
aber dennoch ein äußerst gelungenes und erinnerungswürdiges Relikt aus
den Mittneunzigern, das sich ganz Coen-esk abseits des
Hollywood-Mainstreams bewegt und gerade durch diese perfektionierte
Bizarrerie hervorragend funktioniert.
9/10
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