Alexia (Agathe Rousselle) trägt seit einem Autounfall in ihrer Kindheit eine Titanplatte im Kopf und hat auch ansonsten ein enges Verhältnis zu nicht-organischen Dingen: Sie ist eine erotische Tänzerin, die bei Autoshows auftritt und irgendwann sogar Sex nicht nur in, sondern mit einem der Vehikel hat. Männer aber leben in ihrer Nähe gefährlich – und nach mehreren männlichen Opfern, die auf Alexias Kappe gehen, muss sie untertauchen. Alexia gibt sich fortan als Mann aus und nimmt die Identität des als Kind verschwundenen Adrien an. Adriens Vater Vincent (Vincent Lindon), der lange nach seinem Sohn gesucht hat, nimmt die verkleidete Alexia also bei sich auf. Doch er wird schnell zu aufdringlich und außerdem kann Alexia bald kaum noch die sichtbaren Zeichen einer Schwangerschaft verbergen...
Kaum ein Film spaltete zuletzt so sehr die Gemüter, sowohl auf Seiten der Kritiker wie auch des Publikums, wie die belgisch-französische Koproduktion "Titane", der zweite Film von Regisseurin Julia Ducournau (die zurvor mit "Raw" auf sich aufmerksam machte). Der im besten Sinne bizarre Bodyhorror konnte überraschend die goldene Palme in Cannes gewinnen und wurde in der Rede von seiner Regisseurin als Statement für mehr Diversität beschrieben. "Titane" ist aber wirklich auch eine Herausforderung für seine Zuschauer. Statt seine haarsträubende Narrative mit unpassender Selbstironie aufzulockern, zieht der Film diese knallhart und ernst bis zum grausigen Finale durch. Vor allem die beiden überragenden Hauptdarsteller Agathe Rousselle und Vincent Lindon tauchen dabei tief in die Psyche ihrer gebrochenen Charaktere ein und geben physisch wie psychisch einfach alles. Julia Ducournau fängt die gewaltsame Odyssee ihrer Protagonistin in gediegenen Bildern ein und wechselt gekonnt von knisternder Erotik zu eruptiver Gewalt, von schockierendem Body-Horror zu einfühlsamer Familienwerdung.
Überhaupt wirkt "Titane" neben seinen oberflächlichen Genrezutaten vor allem wie ein Film der Metamorphosen. Alles in ihm, vor allem Alexia, scheint beständig im Wandel zu sein. Sie wandelt sich von einer Frau zum Mann (und wieder zurück), von einer gefühlskalten Mörderin zum Familienmenschen, selbst der Wandel vom Mensch zur Maschine ist hier möglich. Dabei geht "Titane" geradezu aus Prinzip immer den Weg des größtmöglichen Wiederstands. Er ist bewusst unangepasst, unbequem und zieht seine Zuschauer entweder in seinen Bann oder stößt sie komplett ab. Dies liegt auch daran, dass er keine Rechtfertigungen oder Erklärungen für das Handeln seiner Figuren liefert. Der Zuschauer sucht sich diese entweder selber oder akzeptiert die Entscheidungen der Figuren einfach, obwohl diese oftmals nur schwer nachzuvollziehen sind. Gelingt dies nicht, wird man als Zuschauer wohl auch keinen Zugang zum Film bekommen. Unterm Strich ist Julia Ducournaus zweiter Spielfilm nichts für zarte Gemüter und definitiv kein Film für jedermann. Er ist ein explosives Statement für Diversität und ein äußerst eigenwilliger Beitrag zum modernen französischen Kino. "Titane" wird wohl auch in Zukunft die Menschheit in zwei Gruppen spalten und irgendwie scheint es, als wenn er genau das tun wollte.Wenn man Interesse daran zeigt, funktioniert das aber vollends.7/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Koch Films
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