Dienstag, 17. März 2020

기생충 - Gisaengchung - Parasite (2019)

https://www.imdb.com/title/tt6751668/

Die vierköpfige Familie Kim ist schon sehr lange arbeitslos, weshalb der Vater Ki-taek (Kang-ho Song) zusammen mit seiner Frau Chung-sook (Hyae Jin Chang) und seinen Kindern Ki-woo (Woo-sik Choi) und Ki-jung (So-dam Park) in einem runtergekommenen Keller unter ärmlichen Bedingungen haust. Wenn sie sich nicht gerade mit Aushilfsjobs, wie dem Zusammenfalten von Pizzakartons über Wasser halten, versuchen sie in die hintersten Winkel ihrer Behausung zu kommen, um etwas vom WLAN der anderen Mitbewohner abzugreifen. Als der jüngste Sprössling es schafft, bei der gut situierten Familie Park einen Job als Nachhilfelehrer an Land zu ziehen, bietet das der Familie einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. Kaum in der noblen Villa des reichen Geschäftsmanns Mr. Park (Sun-kyun Lee) und seiner Frau Yeon-kyo (Yeo-Jeong Cho) angekommen, sorgt Ki-woo dafür, dass alle anderen Bediensteten der Parks durch seine Familienmitglieder ersetzt werden. Doch was dann folgt, stellt alles vorangegangene in den Schatten...

Bong Joon-ho wendete sich mit einem Brief an die Presse. Er bat ("inständig") um spoilerfreie Rezensionen ab dem Zeitpunkt der Handlung, "nachdem der Bruder und die Schwester beginnen, als Nachhilfelehrer zu arbeiten". Den automatisch aufkeimenden Verdacht, dass sein Film "Parasite" von einer großen Wendung am Ende abhängen könnte, entkräftete der Filmemacher allerdings entschieden. Ohne jene Ereignisse gesondert zu analysieren und schließlich – im Verbund – zu kontextualisieren, die im weiteren Verlauf stattfinden, lässt sich aber nun einmal kein geeignetes Urteil treffen, um dieses „wunderbare Geschenk an das Publikum“ weiterzuempfehlen. Und "Parasite" ist ein wunderbares Geschenk, mehr noch: ist zwei wunderbare Geschenke in einem, ist sowohl ungeschöntes Abstiegsgedicht als auch fintenreicher Überlebensthriller: Es kämpfen Arm gegen Reich, Reich gegen Arm, Arm gegen Arm, Reich gegen Reich in unterschiedlich geschichteten Konstellationen. Es ist eines der hässlichsten Symptome der freien Marktwirtschaft: auf jene, die viel haben, folgen noch mehr mit wenig bis nichts in den Händen. Auch Familie Kim zählt zur letzteren Kategorie dieser Ausschuss-Existenzen. Bis sich ihnen unvermittelt die eine Chance unter einer Million eröffnet, einen Fuß in den Haushalt des Unternehmers Park zu bekommen. Was aufs Vorstellungsgespräch von Sohnemann Kevin als neuer Nachhilfelehrer folgt, sorgte bei einer ganzen Reihe internationaler Festival- und letztlich bei der Oscar-Jury für offene Münder. Mal vom diesjährigen Academy-Awards-Siegeszug abgesehen, bleibt "Parasite" aber auch als Film eine Sensation.


Das Timing hebt und trägt "Parasite". Die Montage ermuntert zu spannungsgeladenem Nägelkauen, wenn sich die Armen verkleiden, um sich bei den Reichen einzunisten. Arm sind vier Protagonisten, die in einem modrigen, Kakerlaken anlockenden Kellerverschlag hausen. Sie suchen Handy-WLAN – und sind verzweifelt, sobald sie sich per Passwort einwählen müssen. Sie erleben, wie vor ihrem Fenster öffentlich jemand (wiederholt) an die Wände pinkelt. Sie reißen sich um Jobs, die sich nicht bewähren: Sie falten Pizzakartons so, dass die Verpackungen andernorts Knickfalten aufweisen. Als sich für den Sohn der Armen (Choi Woo-shik) unversehens die Gelegenheit bietet, Nachhilfeunterricht für die Tochter der Reichen (Jung Ji-so) zu geben, ziehen Schwester (als Kunststudentin: Park So-dam), Vater (als Chauffeur: Song Kang-ho) und Mutter (als Haushälterin: Jang Hye-jin) nach. Beschwingt erzählt Bong Joon-ho eine Infiltrationsgeschichte, die aus dem Ruder läuft. Wer sind eigentlich die Parasiten?

Die Reichen? "Parasite" wappnet sich mit dem Schild moralischer Mehrdeutigkeit in einem bizarren Doppelspiel zweier sozialer Milieus gegen Denunzierung und Dämonisierung. Und wenn Bong Joon-ho die Reichen veralbert, dann keck – die Leichtgläubigkeit von Yeon-kyo (Jo Yeo-jeong), der Mutter, ist beeindruckend schief, aber nie zu schief, als dass sie nicht fürsorglich wäre. Als die Bilder ihres Sohnes (Jung Hyun-joon) psychoanalytisch interpretiert werden (Verdacht auf Schizophrenie!), nickt sie jeden zweiten Satz ab, als ob sie jeden Satz abnicken würde – bereit, das Beste zu tun, was eine Mutter zu tun bereit ist. Die blinde, denkfaule Autoritätshörigkeit von Menschen, die in ihrer freiwillig mustergültigen Rolle als Autorität selbst austauschbar bleiben, überspitzt "Parasite" bis ins Unkenntliche, während fadenscheinigste Ausflüchte gesucht werden, langjähriges Personal zu entlassen. Die Reichen hören auf andere, auf Fremde mit Zertifikaten, obwohl uns Bong Joon-ho mitzuteilen versucht: Hört nicht auf den Status.

Die Komik der Armen hingegen intensiviert sich in dem Risiko, wie weit im Voraus die Gefahr abschätzbar ist, im falschen Kostüm erwischt zu werden. Denn das Haus der Reichen verfügt über allerhand labyrinthische Geheimecken, in denen die "Parasiten" sich entmaterialisieren. Sie werden weggesperrt. Das Haus (geschmackvoller Designarchitektur), in dem "Parasite" zu großen Teilen spielt, hat ebenfalls einen "Keller" für den Fall, dass der Gerichtsvollzieher erscheint, und in dem in der Tat jemand heimlich und ungestört lebt. Es ist daher nicht weit hergeholt, dass die Metapher des Kellers eine Metapher über die solidarische Schizophrenie zwischen denen, die viel haben, und denen, die nichts haben, darstellt. Nicht umsonst ist der Keller schwer erreichbar – zuvor muss ein nicht minder schweres Regal verschoben werden. Der Aussätzige, der stinkt und bettelt, gehört verdrängt und aus dem Bewusstsein verstoßen. Jeder dunkle Gedanke an ihn zwingt zur Sublimierung akzeptierterer Lebensführung.


Mit beneidenswerter Leichtigkeit gelingt es Regisseur und Strippenzieher Bong Joon-ho, alles unter einen Hut zu bringen. Vom schwarzen Humor, den teils schrägen Charakter-zügen bis zu den sozial-kritischen Spitzen. Dabei ist es umso bemerkenswerter, wie sich uns die Hochstapler-Familie nicht als Antihelden präsentiert, deren Taten und Intrigen sich allein als "dreist" oder "rücksichtslos" definieren lassen. Die Kims haben Chuzpe, profitieren von einem scheinbar natürlichen Talent fürs Fälschen und Rollenspiel und sie bereiten ihre Schachzüge nicht weniger minutiös und intensiv vor als andere Big-Player der Leistungs-Gesellschaft. Weshalb der Coup der Souterrain-Sippe auch echten Respekt abnötigt. Wie sie besonders die Leichtgläubigkeit der Dame des Hauses ausnutzen und nach und nach jedes Familienmitglied ins Haus holen, ist im Grunde ja nur eine Auslegung des Mottos "Frechheit siegt". Aber noch bevor es ihm zu einseitig wird, krempelt Bong Joon-ho "Parasite" dann nochmals um und bereitet den Boden für ein Ende, das blutige Klingen und einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

Im sozialkritischen Genrekino von Bong Joon-ho fungiert der Klassenkampf nach wie vor als tagesaktueller Knotenpunkt politischer Partizipation, der - auch in "Parasite" - blutig sein Unwesen treibt. Der Film erscheint bestenfalls freudianisch und schlimmstenfalls tragikomisch: Die neoliberalen Verheißungen eines ökonomischen Aufstiegs, der mit harter Arbeit, strengem Verzicht und eisernem Willen durchgesetzt werden kann, erweist sich als Illusion derjenigen, die bereits in ein determiniertes Selbstverständnis hineingeboren worden, jemand gegenüber anderen zu sein. Wie kompliziert die Vorstellungswelten von Privilegierten und Nichtprivilegierten sein können, zeigt eine Szene, in der Wasser das Armenviertel flutet. Auf der einen Seite, so wird behauptet, ein starker Regen, auf der anderen Seite, so wird gezeigt, ein existenzgefährdender, reißender Strom: Die Überlebenden treiben als Stück Fleisch ohne Hab und Gut auf dem Wasser und übernachten in einer Sporthalle. Sie werden ihrem Schicksal überantwortet.

Steigerungsevangelien und Ausbruchsverhältnisse ohne systemische Bedingt- und Unvermeidlichkeiten zu denken, evozieren ideologische Fehlschlüsse. So heiter, verschlafen und weltentrückt Kim Gi-taek (Song Kang-ho) seine alte und neue Umwelt durchlebt, so kurzlebig ist der Kleber des Etiketts, das er sich anheftet. Die Zuschreibungen, die ihn von außen erreichen, sind parasitär, und ein anderes Shampoo gegen den Körpergeruch hilft selten gegen das, was Kopfsache ist: Vorverhandlungen, Urteile im Voraus, Beweise im Nachgang. Trotz vieler schwarzwitziger Avancen zwischen Pfirsichen, Morsezeichen und Tuberkulose-Taschentüchern hegt "Parasite" fatalistisch Zweifel am Nebeneinander der Menschen aus unterschiedlichem Hause. Ein Rest an Entfremdung schlüpft in jede Maske – und jedes Saufgelage in einer Umgebung, die das Saufen in eine kultivierte Kulturpraxis überführte, erweckt den Anschein von uneingeladener, vorübergehender Fehllei(s)tung: Kim Gi-taek muss in seine Rolle zurückkehren. Es gehört natürlich auch erwähnt, dass der "Parasite", bei allem sozialen Sprengstoff, natürlich auch nur als launige und hintersinnige Satire verstanden werden kann, deren makellose Handhabung einen einfach nur der Hut ziehen lässt.

10/10

Von CAPELIGHT PICTURES erschien der Film hierzulande in HD in einem tollen Mediabook:

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