Earl Stone (Clint Eastwood) ist ein Veteran des Zweiten Weltkriegs und nach seiner militärischen Karriere zu einem anerkannten Gartenbauexperten aufgestiegen. Doch er ist hoch verschuldet, was den über 80 Jahren alten Earl dazu verleitet, für ein mexikanisches Kartell Kokain über die Grenze zu schmuggeln. Weil er als betagter Mann für die Grenzpolizisten ein harmloser alter Mann zu sein scheint, leistet Earl als Schmuggler sehr gute Arbeit, sogar so gut, dass seine zu transportierende Fracht immer wertvoller wird. Das Kartell beauftragt sogar einen Aufpasser, der nur ein Auge auf Earl haben soll. Obwohl die Geschäfte zwischen Earl und dem Kartell so gut laufen, gerät er eines Tages auf den Radar des erbarmungslosen DEA-Agenten Colin Bates (Bradley Cooper). Die Geldsorgen gehören für Earl fortan der Vergangenheit an, doch die Fehler, die er einst in seiner Vergangenheit begann, verfolgen ihn bis heute. Für Earl ist es an der Zeit, Wiedergutmachung zu leisten, wenn er nicht vorher vom Kartell oder den Gesetzeshütern erwischt wird...
Clint Eastwood hat in den vergangenen Jahren verstärkt auf real existierende Helden gesetzt. Und so ist auch "The Mule" von einer wahren Geschichte inspiriert worden. Der Fall des 2011 gefassten, fast 90-jährigen Drogenkuriers Leo Sharp war durch einen Artikel in der New York Times einer breiten Öffentlichkeit in den USA bekannt geworden. Der zentrale Konflikt in "The Mule" ist aber nicht der zwischen Gesetz und Verbrechen. Die Schuld, zu der sich Eastwoods Charakter am Ende bekennt, ist nicht in erster Linie die justiziable. Schuldig geworden ist er gegenüber seiner Familie. So führt denn die Heldenreise des Earl Stone zu der für Eastwood typischen Erkenntnis, dass die Familie das höchste Gut im Leben ist. Die Werte, zu denen sich der Libertäre Eastwood bekennt, sind nicht dieselben wie die, von denen sich die Gesetzgeber in Washington leiten lasen. Sie sind bedeutend archaischer. Sie betonen eine individuelle Freiheit, die sich eben nicht durch abstrakte Paragrafen einschränken lassen will, sondern nur durch individuelle Bande – wie eben die der Familie.
Earl Stone ist so ein typischer knurriger Individualist, der seine Verwandschaft mit dem ebenfalls von Eastwood gespielten Walt Kowalski aus Gran Torino nicht leugnen kann. Er scheut sich nicht, seine Vorurteile offen auszusprechen, ohne dabei starrsinnig auf ihnen zu beharren. Als er einem farbigen Paar beim Reifenwechsel hilft, meint er unverblümt: "Da kann ich auch mal einem Neger helfen." Dass man das heutzutage nicht mehr so sagt, quittiert er achselzuckend. Ironisch blickt er auf technisch affine jüngere Menschen: "Das ist das Problem mit dieser Generation", sagt er. "Sie kriegen keinen Obstkarton auf ohne dieses Internet." Der Drogenfahnder Colin Bates (Bradley Cooper) sagt bei einem zufälligen Treffen zu ihm: "Sie leben schon so lange, dass sie mittlerweile alles gerade heraus sagen können." Stone entgegnet: "Ich habe nie was anderes gemacht, finde ich." Auch dies vielleicht eine Referenz auf sein eigenes Leben, in dem Eastwood selten ein Blatt vor den Mund genommen hat – selbst wenn er mit einem leeren Stuhl redete.
Verschmitzt zeigt sich Earl Stone immerhin lernfähig und turtelt auch in seinem hohen Alter noch charmant mit dem anderen Geschlecht herum. Was böse Zungen schon als Eastwoods Altherrenfantasie ausgelegt haben, ergibt im Rahmen der Geschichte als Element der Verführung durchaus Sinn. Doch auch dies ließe sich als ironische Selbstreferenz werten. Davon gibt es in "The Mule" einige. Als Stone bei seinen Fahrten immer sicherer wird, fängt er an, die Songs im Radio mit zu singen. Eastwood ist nicht nur Musikfan, sondern hat selbst für seine Filme komponiert und immer wieder mal gesungen, sei es im Westernmusical Westwärts zieht der Wind neben Lee Marvin oder im eigenen Honkytonk Man in der Rolle eines abgehalfterten Countrysängers. Wenn also Earl Stone mit brüchiger Stimme Jazzstandards aus dem Radio begleitet, blitzt auch hier die Selbstironie auf.
Die filmischen Mittel sind in "The Mule" so unauffällig wie El Tata als Drogenkurier. Eastwood ordnet die Gestaltung wie immer der Geschichte unter. Er erzählt betont ruhig und konventionell ohne irgendwelche Mätzchen. Die einzige Extravaganz leistet er sich, als Drogenboss Laton (Andy Garcia) von seiner Nummer Zwei beseitigt wird. Mit dem Machtwechsel im Kartell wird auch für Earl Stone die Welt weniger perfekt. Die Handlungsstränge um die Fahnder und den Drogenkurier werden in klassischer Manier parallel erzählt, der Rythmus verdichtet sich mit zunehmender Brisanz, auch wenn er zum Ende hin ein wenig holprig wird. Leider verzichtet Eastwood nicht auf alle Klischees, wenn etwa der sonst strahlende Sonnenschein beim Eintreffen der schlechten Nachricht von der schweren Erkrankung seiner Ex-Frau dem Regen weicht.
Vor allem sind es die schauspielerischen Leistungen, die "The Mule" auszeichnen. Insbesondere Clint Eastwood selbst, der hier entgegen früherer Ankündigungen doch noch einmal auch vor die Kamera trat, kann mit seinem minimalistischen Spiel und seiner nuancierten Mimik voll überzeugen. Wie das kurze Innehalten, ein Aufflackern schlechten Gewissens, als er bei der Preisverleihung am Anfang des Films eine Hochzeitsgesellschaft beobachtet, und ihm einfällt, dass seine Tochter auch gerade heiratet. Was er aber mit der nächsten Lokalrunde gleich wieder zu vergessen versucht. "Ich liebe sie", sagt er später nicht über seine Familie, sondern über seine Taglilien. "Sie blühen nur einen Tag, und dann ist es zu Ende. Sie sind alle Zeit und alles Geld wert." Seine Ex-Frau antwortet: "Genau wie die Familie." Wenn sich später langsam das Begreifen seines Versagens in Eastwoods Gesicht widerspiegelt, ist das einfach großartiges Spiel.
Dies lässt den übrigen ebenfalls herausragenden Darstellern etwas wenig Raum. Aber was soll’s: Dies ist Eastwoods Show, vielleicht seine letzte als Darsteller. Man mag dem Film vorwerfen, die Drogenproblematik zu verharmlosen, zumal er die Gangster des Kartells als nette Kerle von nebenan zeichnet. Aber darum geht es in dem Film nicht. Es geht um Familie. "Alles andere ist Scheiße", sagt Earl Stone.
9/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Warner Bros.
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