Dr. William (Tom Cruise) und Alice Harford (Nicole Kidman) sind Mitglieder der besseren Gesellschaft Manhattans. Auf einem Ball drängt der smarte Mr. Szavost (Sky Dumont) Alice, ihm in den ersten Stock zu folgen. Er fragt sie beim Tanz: "Glauben Sie nicht, dass das Reizvolle der Ehe unter anderem darin besteht, dass sie für beide Beteiligten die Täuschung zu einer Notwendigkeit macht." Alice entzieht sich dem charmanten Verführer, denkt aber danach immer wieder über die Frage der Treue nach. Auch William hat auf dem Ball ein seltsames Erlebnis als er einer Frau im Drogenrausch zu Hilfe kommt, die sich jedoch bald wieder erholt. Am nächsten Tag erfährt er von einem geheimnisvollen Ort, an dem ausschweifende Orgien stattfinden sollen, denen man jedoch nur unter besonderen Bedingungen beiwohnen darf.
"Eyes Wide Shut" ist der letzte vollendete Film des Regisseurs Stanley Kubrick, der nur wenige Tage nach Fertigstellung des Filmschnitts im März 1999 starb. Wie viele seiner Filme basiert auch Kubricks letztes Werk auf der literarischen Vorlage eines großen Schriftstellers. Nabokov, King, Burgess oder in diesem Fall des österreichischen Autors Arthur Schnitzler, der einst den inneren Monolog in die deutsche Literatur einführte. Es handelt sich um eine ins New York der Gegenwart verlegte Verfilmung der Traumnovelle mit Nicole Kidman und Tom Cruise in den Hauptrollen. Und tatsächlich ist Kubrick hiermit kurz vor seinem Tod noch eine herausragende filmische Umsetzung der Traumnovelle gelungen. Bereits 1968, nachdem "2001: Odyssee im Weltraum" veröffentlicht worden war, hatte Kubrick die Idee, die 1926 veröffentlichte Traumnovelle zu verfilmen. Zu einer tatsächlichen Realisierung des Projekts kam es jedoch erst 30 Jahre später. Kubrick wollte für die beiden Hauptdarsteller ein Ehepaar verpflichten, um so die Hemmschwelle für einige Szenen herabzusetzen. Nachdem zunächst Kim Basinger und Alec Baldwin im Gespräch waren, Baldwin jedoch nicht als geeignet für die Rolle erschien, fiel die Entscheidung schließlich auf Tom Cruise und Nicole Kidman. Der Kontakt kam über den Regisseur Sydney Pollack zustande. Nicole Kidman beendete gerade ihre Dreharbeiten an "Portrait Of A Lady", als sie und Cruise das Drehbuch erhielten. Wegen der ungewöhnlich langen Dreharbeiten verließen einige Darsteller das Ensemble vorzeitig und mussten ersetzt werden. So war die Rolle von Victor Ziegler ursprünglich durch Harvey Keitel besetzt, bevor Sydney Pollack die Rolle übernahm. Jennifer Jason Leigh hatte ursprünglich Marion gespielt, stand jedoch für die Nachdrehs nicht zur Verfügung, so dass sie durch Marie Richardson ersetzt wurde.
Die dominierenden Farben rot und blau erscheinen auch am Anfang der Novelle in einer von der Tochter des Paares vorgelesenen Geschichte: "Der Prinz aber, in seinen Purpurmantel gehüllt, lag allein auf dem Verdeck unter dem dunkelblauen, sternbesäten Nachthimmel". Sie lassen sich unterschiedlich deuten. Dem Rot im Film werden unter anderem das erotische Moment, Weiblichkeit und die Überwindung des Alltags zugeordnet. Blau hingegen wird mit Kälte, Ferne, Alltag und Männlichkeit in Verbindung gebracht. Die Farben treten jedoch sehr häufig und in unterschiedlichen Kontexten auf. Sie sind also nicht zeichenhaft lesbar, sondern vieldeutig angelegt. Kubrick nutzte verschiedene filmische Mittel, um eine traumähnliche Wirkung des Filmes auf den Zuschauer zu realisieren. Bereits zu Beginn der Handlung, in der Szene in der Wohnung der Protagonisten, gibt es eine auffällig hohe Anzahl an Anschlussfehlern und Perspektivwechseln, die ein Gefühl der Orientierungslosigkeit entstehen lassen. Dies wird später bei Bills Odyssee durch die Stadt noch verstärkt: die Szenen wurden sämtlich in derselben Kulisse gedreht und vermitteln durch ständige Déjà-vus das Gefühl, dass Bill auf der Stelle treten würde. Die Theke im Rainbow Fashions ändert von einem Tag zum anderen ihre Position im Raum um 90°, was weiter zur Desorientierung beiträgt. Kubricks wunderschöne Bilder sperren den Zuschauer meistens ein und beenget ihn: in Apartments, Schlösser, Wohnungen, Cafés – in ständig wiederkehrende Situationen unerbittlicher menschlicher Konfrontation. Zuletzt wirkt auch das Bild selbst durch die hohe Lichtempfindlichkeit des Films impressionistischer und traumhafter als in anderen Filmen. Allgemein ist der Film in eher ruhigen Bildern gehalten. Eine Ausnahme stellt die Szene der ersten Aussprache zwischen Bill und Alice dar. Wenn Bill sagt, dass er weiß, dass Alice ihn niemals betrügen würde und diese daraufhin in lautes Gelächter ausbricht, ist die einzige Handkameraaufnahme zu sehen, deren Wackeln die Erschütterung des Fundaments der Ehe visualisiert.

"Eyes Wide Shut" ist ist eine fragmentarische Odyssee, ein zynisches Vexierspiel, ein exzessiver Rausch, untergliedert in Episoden, die sich am Ende alle als Sackgassen entpuppen - und damit einfach ein großartiger Film. Kubricks sinnliche Ergründung von Obsessionen und Gefühlslagen ist ein tiefenpsychologisches Meisterwerk. Er lässt die Fassade einer perfekten Ehe mehr und mehr zerbröseln und zeigt dem Zuschauer eine herausragende Odyssee der vollkommenen Entmenschlichung. Inszenierung, Schauspielerleistungen, Musik, Dialoge; selten wurden alle diese Komponenten so grandios miteinander in Einklang gebracht. Das Thema Sexualität nicht rauschhaft-stimulierend auf die Leinwand zu bannen, sondern sinnlich und psychologisch; das konnte eben nur ein Meister wie Kubrick. Am Ende aber verbleibt "Eyes Wide Shut" geheimnisvoll, Kubrick findet sich ab, mit der Unmöglichkeit von Wahrheiten und Antworten, der Unmöglichkeit klar zu Sehen, selbst wenn die Augen weit aufgerissen sind. Der Film verbleibt eine Frage, ein Angriff, ein Rätsel. Ein unnahbarer, großer letzter Film.
9/10
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