Sonntag, 11. Februar 2024

Old Henry (2021)

https://www.imdb.com/title/tt12731980/

Der verwitwete Farmer Henry McCarty (Tim Blake Nelson) und sein Sohn nehmen einen mysteriösen, verletzten Mann bei sich auf. Eine Gruppe von Männern, angeführt von Sam Ketchum (Stephen Dorff), möchte den Fremden mitnehmen - die Männer behaupten, im Namen des Gesetzes zu handeln und verweisen auf das Geld, das dieser bei sich hat. Henry McCarty muss sich nun entscheiden, wem er sein Vertrauen schenkt und sieht sich schnell in der Situation, sein Gehöft durch sein Talent zum Schießen zu verteidigen...

Tim Blake Nelson ist ein vielseitiger Schauspieler, aber seit Jahren gibt es eine Figur, die er sein Eigen nennen darf: den Bauerntölpel, den struppigen, grinsenden Hinterwäldler, der nie ein großes Wort verliert. Mit seiner Darstellung in "The Ballad Of Buster Scruggs" überzeugte er bereits auf ganzer Linie und man hat als Zuschauer das Gefühl, dass er eben nicht schauspielert, sondern einfach so ist. Aber Henry McCarty, der finstere und schweigsame Bauer, den Nelson in "Old Henry" spielt, ist niemand, über den man lachen kann (und sollte). Er hat eine hinterlistige Anziehungskraft. Er ist auch niemand, mit dem man sich anlegen würde. Wenn man ihn zum ersten Mal sieht, weiß man bereits, dass seine zukünftigen Gegner (und auch der Zuschauer) ihn unterschätzen werden - weil er so räudig aussieht. Nelson trägt einen langen Schnurrbart, der bis in seine stoppeligen Wangen reicht, fettiges Haar, das platt hängt, unter seinen Hosenträgern ein schmutziges weißes Hemd und manchmal einen Hut, der seinen Kopf zu verschlucken droht. Er scheint seit etwa drei Wochen nicht mehr gebadet zu haben. Doch je genauer man hinschaut, desto mehr bemerkt man unter dieser Fassade sein blasses Gesicht und seine traurigen Augen, die sich zu Schlitzen des Zorns verengen. "Old Henry" spielt im Oklahoma-Territorium im Jahr 1906 und Henry ist ein Witwer, der mit seinem jugendlichen Sohn Wyatt (Gavin Lewis) in einem schäbigen, grauen Bauernhaus lebt am Ende eines abschüssigen Feldes. Es sind nur sie beide, worüber Wyatt nicht glücklich ist. Er denkt, dass sie mitten im Nirgendwo gestrandet sind (was irgendwie auch stimmt) und dass sein Vater ein pflichtbewusster Dummkopf ist (was er auf den ersten Blick auch zu sein scheint). Aber auch Wyatt unterschätzt Henry.

Der Film beginnt mit einem Gewaltausbruch: Ein Mann rennt vor drei Männern davon, und bald erschießen sie ihn - und dann erwürgt ihn Ketchum, der Anführer, nachdem er alle Informationen aus ihm herausgequetscht hat, mit einem Seil. hauptsächlich aus Spaß an der Freude. Stephen Dorff, der ein guter Schauspieler ist, spielt Ketchum als steinernen Soziopathen mit einem breiten, herablassenden Grinsen. "Old Henry", geschrieben und inszeniert von Potsy Ponciroli, ist ein langsamer Western, der Henry gegen dieses korrupte, unbarmherzige Trio antreten lässt. Alles wird ausgelöst, als der junge Wyatt auf ein reiterloses Pferd mit Blut am Sattel trifft. Als Henry Nachforschungen anstellt, entdeckt er eine Tasche voller Bargeld und einen Mann, dem in die Brust geschossen wurde, Curry (Scott Haze), den er zum Bauernhaus zurückbringt. Auch diesen Kerl wollen die Schurken töten. Aber obwohl Henry auf das Geld schaut und zuerst "Nein" sagt, hat er den Instinkt, ihn zu beschützen. Während er sich daran macht, bemerkt man etwas an ihm. Er hat keine Angst.

Man bemerkt auch, wie viele Dinge Henry kann. Er weiß, wie man seine eigenen Spuren verwischt, wie man ein halbes Dutzend Schläger überwältigt, wie man eine Schusswunde mit Pflanzen heilt. Bald schon treffen die Gesetzlosen ein und stehen vor dem Bauernhaus, und Henry kommt auf die Veranda, um sie zu treffen. Mit einer großen Pistole an seiner Seite sieht Nelson mit seinem strengen Blick fast cool aus. Es wäre unfair, mehr von "Old Henry" zu verraten, einem grundsoliden Western abseits der ausgetretenen Pfade, der als eine Art Podest für Nelsons Leistung errichtet wurde. Es gibt Wendungen darüber, wer all diese gewalttätigen Männer wirklich sind. Dennoch weiß man, wohin der Film führen wird, und es ist eine stetige, unterhaltsame Fahrt, die manchmal etwas prosaisch ist und sich in eine Art minimalistische Kammerversion von "Erbarmungslos" verwandelt, mit einem überraschend berührenden Ergebnis. Was der Zuschauer nicht weiß, ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Henry ist nicht ganz das, was er zu sein scheint. Und so wie Nelson ihn spielt, mit einer charismatischen, knorrigen Überzeugung, die sich im Laufe des Films vertieft, wirkt die Enthüllung, wer er wirklich ist, wie eine atemberaubende Überraschung, ein Witz und ein hinterhältiger Beweis dafür, wie die Landschaft des Westens sein könnte. "Old Henry" handelt von Gewalt und Erlösung, Vätern und Söhnen und der Mythologie, die in allen Herzen lebt.

7,5/10 

Quellen
Inhaltsangabe: Koch Films
Poster/Artwork: Hideout Pictures / Shout

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