Chicago, 1968: Es kommt vermehrt zu zunächst friedlichen, von der Hippie-Kultur geprägten Demonstrationen rund um einen Parteitag der Demokraten, die sich vor allem gegen den Vietnamkrieg richten. Als die Polizei aber schließlich eine Ausgangssperre verhängt und mit aller Kraft durchsetzt, kommt es fünf Tage und Nächte lang zu gewalttätigen Krawallen. Hunderte Menschen werden in dem Gefecht zwischen der mit Tränengas und Schlagstöcken vorgehenden Polizei und den Demonstranten verletzt – auch Journalisten beklagen, von Polizisten niedergeknüppelt worden zu sein. Ihre Kameras und Filme: zerstört und beschlagnahmt. Doch auch wenn der Stab von US-Präsident Lyndon B. Johnson die Verantwortung für die Ausschreitungen bei der Polizei sieht, werden sieben vermeintliche Rädelsführer der Unruhen vor Gericht gestellt. Die Angeklagten u.a. Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen), Jerry Rubin (Jeremy Strong), Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen) werden beschuldigt, die Krawalle bewusst provoziert zu haben - und müssen sich monatelang vor Gericht stellen, während zahlreiche Aktivisten und Kulturschaffende die Einstellung des Verfahrens mit weiteren Protesten fordern...
Regisseur Aaron Sorkin hat den Gerichtssaal, so scheint es, zu seinem Jagdrevier gemacht. Es ist der Ort, an den er sich immer wieder zurückzieht - in "Eine Frage der Ehre", " Der Krieg des Charlie Wilson", " Die Kunst zu gewinnen: Moneyball" und jetzt in "The Trial Of The Chicago 7". Für ihn ist der Gerichtssaal offenbar eine geheiligte Arena der Ideen, wo Worte die Macht haben, den Lauf der Geschichte zu verändern. Und der Film ist auch ein Paradebeispiel für seine unverwechselbaren, messerscharfen Dialoge. Aber jemand mit so unerschütterlichem Vertrauen in das Justizsystem ist eben auch nicht immer in der Lage, seine Geschichten zu erzählen. Das gilt insbesondere für "The Trial Of The Chicago 7", bei dem es sich um Sorkins zweiten Film sowohl als Autor als auch als Regisseur handelt, nach "Molly’s Game: Alles auf eine Karte" aus dem Jahr 2017. Hier reduziert er eine große amerikanische Ungerechtigkeit auf eine Reihe witziger Schlagfertigkeiten. Es hat die ganze moralische Kraft von jemandem, der seine Tage damit verbringt, sarkastische Antworten auf Trumps Tweets zu schreiben, während er gleichzeitig die Demokratie Stück für Stück niederreißt.
Sein Film handelt von den titelgebenden "Chicago Seven" (ursprünglich Chicago Eight). Dies waren sieben (zunächst acht) US-amerikanische politische Aktivisten, die bei den Protesten vor dem Democratic National Convention 1968 verhaftet und wegen Verschwörung, Aufhetzung, Demonstrationen und anderer Delikte angeklagt und 1968 vor Gericht gestellt wurden. Sie hatten sich versammelt, um ihren Widerstand gegen Hubert Humphrey, den Favoriten der Demokraten und lautstarken Verfechter des Vietnamkrieges, zum Ausdruck zu bringen. Das anhängliche Gerichtsverfahren (worum es in diesem Film auch geht) stand in Verbindung mit den Anti-Vietnamkriegs-Protesten in Chicago anlässlich der Democratic National Convention. Der damalige Generalstaatsanwalt Ramsay Clark hatte entschieden, dass die Polizei von Chicago die Gewalt an diesem Tag initiiert hatte. Sein Nachfolger John Mitchell schien jedoch entschlossen zu sein, das Gegenteil zu beweisen. Doch die Angeklagten in "The Trial Of The Chicago 7" bildeten kaum eine Einheitsfront. Sorkin lässt die in Strickjacken gehüllten Akademiker Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Rennie Davis (Alex Sharp) von den "Students For A Democratic Society" gegen die Molotowcocktails schwingenden Hippies Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) und Jerry Rubin (Jeremy Strong) von der "Youth International Party" antreten. Dann ist da noch David Dellinger (John Carroll Lynch), ein Pazifist, Vorstadtbewohner und Leiter der Mobilisierung zur Beendigung des Krieges in Vietnam. Die letzten beiden Angeklagten, die Aktivisten Lee Weiner (Noah Robbins) und John Froines (Danny Flaherty), werden kaum erwähnt – sie gelten offenbar als unwürdig, in die Geschichte einzugehen.
Im Gerichtssaal kämpft Anwalt William Kunstler (Mark Rylance) mit mittelalterlichem Bardenhaarschnitt mit bedrängter Würde für die Chicago Seven. Sorkin greift ein paar geschmackvolle Zitate aus den Gerichtsprotokollen auf, darunter den Moment, in dem Hoffman erklärt: "Ich stand noch nie wegen meiner Gedanken vor Gericht." In privaten Hinterzimmern streiten die Angeklagten darüber, was sie als nächstes tun sollen. Die Schauspieler sind perfekt, wenn auch eher einfallslos, besetzt – Redmayne ist wie gewohnt drahtig und verkrampft, Baron Cohen kaut seine Witzchen wieder und wieder durch. Aber Sorkin legt viel mehr Wert auf sprachliche Auseinandersetzungen (es gibt eine entscheidende Enthüllung, die sich auf die Verwendung eines Pronomens konzentriert) als auf den Kern ihrer Argumente. Die einzige Schlussfolgerung, zu der er kommen kann, ist, dass wahrscheinlich jeder voneinander lernen könnte - eine ungefähr so unrevolutionäre Position, wie jeder andere vertreten könnte. Alles andere tritt unterdessen in den Hintergrund seines Drehbuchs. Seine Kamera tut kaum mehr, als passiv auf einem Moment zu verharren und das Geschehen aufzusaugen.
Wie bereits erwähnt waren die "Chicago Seven" ursprünglich und in Wirklichkeit die "Chicago Eight" - Bobby Seale (ein beeindruckender Yahya Abdul-Mateen II), nationaler Vorsitzender der "Black Panther Party", wurde hinzugezogen, um ein wenig Angst unter den weißen Geschworenen zu schüren. Er war an diesem Tag insgesamt vier Stunden in Chicago. Was mit Seale geschah, dem das Recht auf eine ordnungsgemäße Vertretung verweigert wurde, ist das grausamste Kapitel in dieser Geschichte, auch wenn sein Fall schließlich für ein Fehlverfahren erklärt wurde. Aber er ist hier eine Nebenhandlung. Die Gewalt gegen ihn (Seale bestand auf seinem Recht, sich selbst zu verteidigen, und wurde gewaltsam ruhig gestellt. Später verfolgte er die Verhandlung im Gerichtssaal gefesselt und geknebelt. Wegen Missachtung des Gerichts wurde Seale schließlich zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.) ist nur blitzartig zu sehen, als würde Sorkin zugeben, dass er nicht in der Lage ist, mit Seales Perspektive umzugehen. Für ihn scheint dies eine etwas zu unbequeme Wahrheit zu sein. Vielleicht sorgte er sich auch einfach nur um die Art und welche Fragen seine Behandlung aufwerfen würde. Der Prozess gegen die "Chicago Seven" war kein großer Sieg für Gerechtigkeit und Liberalismus, so sehr Daniel Pembertons arg anstrengender, patriotischer Soundtrack auch vermuten lässt – er war das Zeichen eines Systems, das möglicherweise irreparabel korrumpiert ist. Der Film jedenfalls kann sich keineswegs mit vergangenen Werken (und schon gar nicht mit seinem Meisterwerk "Eine Frage der Ehre") messen und ist eher langatmig. Für Geschichtsinteressierte dürfte er einen Blick wert sein, für Fans von großen, straken, überraschenden Gerichtsdramen eher weniger.
5,5/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Netflix
Poster/Artwork: Netflix
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