https://www.imdb.com/title/tt1365050/Als Bürgerkrieg in einem unbenannten Land in Westafrika ausbricht, ändert sich das Leben für den jungen Agu (Abraham Attah) eines Tages drastisch. In einem Moment hat er noch unbeschwert mit seinem älteren Bruder und ein paar Freunden gespielt, im nächsten marschieren Regierungstruppen in sein Dorf ein, um die aufkommende Rebellion blutig im Keim zu ersticken. Agu wird von seiner Familie getrennt und ist fortan auf sich allein gestellt. Nachdem er Zuflucht im Wald gesucht hat, wird er wenig später von einem ebenso charismatischen wie skrupellosen Rebellenführer (Idris Elba) aufgelesen, der ihn unter seine Fittiche nimmt und in einer Reihe brutaler Lektionen allmählich zum Kindersoldaten ausbildet. Dabei lernt Agu auch den stummen Strika (Emmanuel Nii Adom Quaye) kennen, mit dem er sich nicht nur den Verbrechen, sondern auch den Leiden stellt, die der Krieg mit sich bringt.
So ekelerregend die Massaker an Männern, Frauen und Kindern in afrikanischen Ländern wie (beispielsweise) der Demokratischen Republik Kongo auch sind, eine Tatsache ist noch unfassbarer und grotesker: Ein großer Teil der Mörder sind Kinder, die zum gnadenlosen Töten ausgebildet wurden. Um diese Kluft in der Vorstellung der Zuschauer zu füllen, ist Cary Joji Fukunagas Adaption von Uzodinma Iwealas gleichnamigen Roman "Beasts Of No Nation", der in einem namenlosen Land spielt, das stark dem Kongo ähnelt, entstanden. Iwealas Idee bestand darin, seinen Protagonisten und Erzähler zu einem Jungen namens Agu (Abraham Attah) zu machen, der miterlebt, wie sein Vater, sein Bruder und seine Freunde von Regierungstruppen hingerichtet werden, unter dem bizarren Vorwand, diese unschuldigen Zivilisten seien Rebellenkämpfer. Mit knapper Not entkommt Agu einer Salve Gewehrkugeln, die die wenigen niederstreckt, die nicht aufgereiht und erschossen wurden, und stolpert in die Wildnis, wo er von einem herrschaftlichen Rebellenkommandanten namens "Kommandant" (Idris Elba) und seinem Zug aus Kindern gerettet/gefangen wird. Mit ihnen findet Agu nicht nur eine Quelle des Schutzes, sondern auch einen neuen Bruder in einem Jungen namens Strika (Emmanuel Nii Adom Quaye) und vor allem eine neue Vater-ähnliche Figur.
"Beast Of No Nation" ist beileibe kein leichter Film. Es ist ein Film, der schon von Anfang an zeigt, dass wir uns hier in großem Elend befinden und das die Menschen, die in diesem Elend leben, aber trotzdem das Beste daraus gemacht haben. Dieses wird ihnen kurz danach auch noch genommen und schon bald befindet sich der Zuschauer in einer Welt, von der man gar nicht glauben kann, dass sie existiert.
Fukunagas rasende Kamera und der straffe Schnitt sorgen dafür, dass "Beasts Of No Nation" nur knapp an der Halluzination liegt, und Idris Elba ist die Art von gigantischem Schauspieler, der es auf ein fast mythisches Niveau bringt. Mit der dicken Zigarre in der Hand verfügt sein Kommandant über eine monströse Autorität, wie ein Charles Dicken's Fagin, der so psychotisch ist, dass er seine Waisen ausschickt, um Seelen statt Geldbörsen anzuhäufen - und der sie anschließend vergewaltigt, wenn sie zurückkommen. Agu verabscheut den Kommandanten, aber er dient ihm trotzdem. Wohin sollte er sonst gehen? Von anderen Jungen dazu erzogen, für den Sturz der Regierung zu kämpfen und zu sterben ("Du musst ruhig bleiben, auch wenn dich eine Schlange beißt.") und gelehrt, dass der Feind überall ist – sogar in den Körpern von Frauen und anderen Kindern versteckt – verfällt er in einen Trancezustand. Drogen verändern die Natur dieser Trance nicht, sondern verstärken sie bis zu dem Punkt, an dem Agu glaubt, dass er in einem Traum keine Menschen, sondern Dämonen abschlachtet.
Und so ist auch der Film. Ein Dämon. Und Regisseur Fukunagas weiß um seine Bedeutung und liefert mit dem Mord an einer Mutter und ihrer kleinen Tochter die wohl furchtbarste und schlimmsten Szenen, die man je auf einer Leinwand sehen konnte. Agu ist bei dieser Szene nur halb anwesend – und wahnhaft – , doch Fukunagas weist seinen Hauptdarsteller Attah merklich an, etwas zurückzuhalten und Agus Entsetzen mit seinen großen, flüssigen Augen in diesem ansonsten kompromisslos brutalen Film zu signalisieren. Es sind in solchen Filmen diese Arten von Szenen, die einen dazu bringen, Fukunagas Urteil in Frage zu stellen - und man muss das Urteil über etwas so Deutliches in Frage stellen –, bevor man zu dem Schluss kommt, dass sowohl seine Ziele als auch seine Methoden moralisch sind. Er brauchte nur einen Moment, der so anschaulich war, dass er sich selbst einem Publikum, das alles gesehen hat, ins Gedächtnis einbrennen würde.
Der letzte Teil des Films führt den Kommandanten in das palastartige Hauptquartier eleganter "Politiker", die die Früchte des Massenmordes ernten – und an diesem Punkt wird klar, dass mörderische Wahnsinnige auf kurze Sicht enorm nützlich, auf dem Weg zur "Legitimität" jedoch ungenießbar sind. Der Kommandant geht jedoch nicht leise vor, was zu einer vorletzten Sequenz führt, die zeigt, was passiert, wenn Mitglieder einer "Familie", die durch fanatische Gesänge und orgiastische Morde zusammengehalten werden, ihre Wut nach innen richten. Mit moralischer Dringlichkeit bis zum Schluss versucht "Beasts Of No Nation", das postterroristische Leben von Jungen vorwegzunehmen, die unaussprechliche Taten begangen haben – Taten, die kein Mensch mit Gewissen unterdrücken könnte. Man würde gerne glauben, dass der letzte Monolog des Films nicht nur die humanistische Sehnsucht des Filmemachers widerspiegelt, sondern auch die Möglichkeit, dass ein Junge tatsächlich mit intaktem Geist und intakter Seele aus diesem Albtraum erwachen könnte. Eine Quelle der Hoffnung: Fukunagas Fähigkeit, ein Leben in blindem, mörderischem Gehorsam in ein Kunstwerk, etwas Ergründliches, zu verwandeln. "Beasts Of No Nation" - sehr schwer, sehr hart, aber auch sehr empfehlenswert.
9/10
Quellen:
Inhaltsangabe: Netflix
Poster/Artwork: Netflix
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