Samstag, 10. Februar 2024

Women Talking - Die Aussprache (2022)

https://www.imdb.com/title/tt13669038/

Im Jahr 2010 auf einer Farm in Kanada kommt es bei einer isolierten religiösen Mennonitenkolonie vermehrt zu gewaltsamen Übergriffen der Männer auf die Frauen. Dabei werden sie mehrfach unter Drogen gesetzt und anschließend vergewaltigt. Nun, da die Frauen den Männern die Übergriffe nachweisen können und die Täter in Haft sitzen, müssen sie ausdiskutieren, was passieren soll, wenn die Peiniger wieder da sind. Für die Frauen ist das eine äußerst ungewöhnliche und vor allem ungewohnte Situation, denn in ihrer Gemeinschaft wird normalerweise nicht über intime Dinge gesprochen. Doch nach den grausamen Ereignissen können die Frauen ihre Religion immer weniger mit der gelebten Lebensrealität in Einklang bringen. So unterschiedlich die Frauen sind, so verschieden sind auch ihre Positionen: Ona (Rooney Mara) ist von ihrem Peiniger schwanger, Mariche (Jessie Buckley) vertritt ihrem gewalttätigen Mann Klaas gegenüber eine eher defensive Haltung und Salome (Claire Foy) hat einen der Männer mit einer Sense angegriffen und erwartet dafür selbst eine Strafe. Der einzige Mann der Runde ist August Epp (Ben Whishaw), der in der Diskussion Protokoll führt. Als sich die acht Frauen auf dem Heuboden ihrer Gemeinde zusammenfinden, steht für sie fest, dass sie nur drei Optionen haben: Bleiben, Fliehen oder Kämpfen. Welche werden sie wählen?

"Women Talking" ist sowohl erschreckend als auch aufregend, wütend und inspirierend - eine Geschichte von Überlebenden von Gräueltaten, die ihren Erfahrungen Ausdruck verleihen und Maßnahmen ergreifen, um sich selbst zu schützen. Aber es ist auch ein Film, der mit sich selbst im Widerspruch steht. Seine enorme Kraft ergibt sich aus seinem Text, der von Regisseurin Sarah Polley aus dem gleichnamigen Roman von Miriam Toews adaptiert wurde. Die Schriftstellerin basierte ihr Buch lose auf wahren Begebenheiten, die sich 2005-2009 in der bolivianischen "Manitoba Colony" ereigneten. Toews verstand ihre Geschichte als "Reaktion durch Fiktion" auf die dortigen Geschehnisse, bei denen Mädchen und Frauen zwischen 3 und 65 Jahren regelmäßig aufwachten, um festzustellen, dass sie sexuell missbraucht worden waren. 2011 riefen die Ältesten die Polizei und die Täter wurden festgenommen.

Der Film spielt im Jahr 2010 auf einer Farm in Kanada, die auch eine geschlossene, kultartige Religionsgemeinschaft ist. Seine Bewohner sind Mennoniten, eine evangelische Freikirche, die auf den deutschen Theologen Menno Simons zurückgeht und die nach ihrer Verfolgung in Europa in den Osten und nach Nordamerika umsiedelte. Die Männer der Kolonie haben ihre hermetische Isolation auf groteske Weise ausgenutzt, um Jagd auf die Frauen zu machen, die ungebildet bleiben. Sie beanspruchen spirituelle Autorität, setzen diese jedoch für zeitliche, praktische, physische und tyrannische Macht ein. Viele Männer betäuben Frauen (mit Beruhigungsmitteln für Kühe) und vergewaltigen sie. Anschließend erzählen sie den Frauen, dass die Angriffe das Werk übernatürlicher Dämonen seien oder dass es sich bei den Angriffen um Wahnvorstellungen handele oder dass die Frauen sogar vorsätzlich lügen. Väter vergewaltigen Töchter, Brüder vergewaltigen Schwestern; Als ein Mann ein Kleinkind vergewaltigt, greift die Mutter des Mädchens den Vergewaltiger an und die Männer der Kolonie bringen ihn zu seiner Sicherheit in eine nahegelegene Stadt. Dort wird er verhaftet und die Männer der Kolonie machen sich auf den Weg, um ihn gegen Kaution zu befreien. Während ihrer Abwesenheit organisieren sich die Frauen - die von der Kolonie angewiesen werden, den Männern unter Androhung der ewigen Verdammnis zu vergeben - rasch. Die Frauen wählen zwischen drei Optionen: bleiben und nichts tun, bleiben und kämpfen oder die Kolonie verlassen. Eine Familie ist die von Agata (Judith Ivey) und ihren Töchtern Ona (Rooney Mara), die unverheiratet und schwanger ist, nachdem sie vergewaltigt wurde, und Salome (Claire Foy), deren vierjährige Tochter vergewaltigt und mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infiziert wurde. Eine andere wird von Greta (Sheila McCarthy) angeführt, deren ältere Tochter Mariche (Jessie Buckley) mit einem brutal gewalttätigen Mann verheiratet ist und deren jüngere Tochter Mejal (Michelle McLeod), ebenfalls Überlebende eines brutalen Angriffs. Mariches sechzehnjährige Tochter Autje (Kate Hallett) ist durch eine an Onas ungeborenes Kind gerichtete Voice-Over-Erzählung Teil des übergeordneten Bewusstseins des Films. Die Erzählung ist zwar ein praktisches Zugeständnis an die Darstellung, verleiht dem Film aber auch Autjes scharfsinnige, analytische Präsenz. Sie lässt ihre körperlose Stimme ihre eigene Entkörperlichung ansprechen - ihre eigene Entfremdung von ihrem Körper und von der materiellen Welt als Folge der physischen und mentalen Angriffe, die sie erlitten hat.

Es scheint offensichtlich, welche Entscheidung die Frauen treffen werden - es ist unvorstellbar, dass ein respektabler Kinofilm entweder die Resignation gegenüber der Unterdrückung oder das revolutionäre Gemetzel preist. Dieser Mangel an Spannung ist jedoch unbedeutend, denn die Diskussionen, die zur Entscheidung führen, sind äußerst dramatisch, intellektuell fesselnd und emotional packend. Der größte Teil des Films konzentriert sich auf die Überlegungen der drei Familien. Da sie keine Erfahrung mit einer solchen Debatte haben, sind die Prämissen der Diskussion untrennbar mit ihrem Inhalt verbunden: Die Frauen bilden die Grundlagen dieser heuristischen Institution, indem sie darin zusammenarbeiten. Zur Gruppe gehört ein Mann: August (Ben Whishaw), dessen Mutter wegen ihrer skeptischen Fragen aus der Gruppe exkommuniziert wurde. Da in der Kolonie Frauen nahezu Analphabeten sind, bittet die beratende Gruppe August - der außerhalb der Kolonie eine weltliche Ausbildung erhielt und als Lehrerin der Jungen dorthin zurückgekehrt ist -, anwesend zu sein und ein Protokoll zu führen. Seine Anwesenheit als Chronist der bedeutsamen Versammlung und als unvermeidlicher Teilnehmer verleiht ihr eine zusätzliche Dimension: das Gefühl, dass die Frauen sich treffen und nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder und die Zukunft insgesamt entscheiden. Die Diskussionen drehen sich um die Moral der Gewalt, das Wesen wahrer Vergebung, die Frage der männlichen Natur und die unausweichliche Verantwortung, die selbst Männer der Kolonie tragen, die nicht zu den Angreifern gehörten. Sie beinhalten das eigene Schuld- und Schamgefühl der Frauen aufgrund ihrer langjährigen Mitschuld an den Misshandlungen der Männer und die Zerstörung ihrer Identität - den Seelenmord -, der aus der körperlichen Gewalt, den psychischen Misshandlungen und dem unterdrückenden Umfeld der Frauen resultiert konfrontiert. Angesichts der unerschütterlichen Zentralität des christlichen Glaubens im Leben der Frauen thematisieren die Diskussionen den Konflikt zwischen der Lehre, in der sie erzogen wurden, und den Schrecken, die ihnen in ihrem Namen zugefügt wurden. Einer der Höhepunkte der Diskussion zeigt, wie Ona über den Horizont des überkommenen Dogmas hinausdenkt - und Häresie riskiert -, wenn sie sich vorstellt, wie die Frauen die Kolonie verlassen, um so etwas wie eine frauenzentrierte Reformation zu gründen.

Das übergeordnete Drama ist die Bewusstwerdung der Frauen durch die Sprache. Die lange unterdrückte Weisheit der Frauen, ihr lange unterdrücktes Selbstbewusstsein, ihre bisher unerkannte Beredsamkeit, ihre Selbstschöpfung, sowohl innerlich als auch sozial, zusammen mit ihrer Schaffung einer Sprache für ihre Gedanken, Gefühle und Erfahrungen - es ist ein großartiges Erlebnis, das in der Sprache angesiedelt ist. Die außergewöhnliche, oft überwältigende Kraft des Drehbuchs wird durch die Verfilmung etwas untergraben. Polleys Drehbuch ist größtenteils kompromisslos originell und unverkennbar, die Bilder und die Darbietung sind zwar gekonnt und aufrichtig, aber konventionell. Statt dass die Geschichte aus dem Gespräch hervorgeht, wirkt das Gespräch einem aufgezwungenen dramatischen Bogen untergeordnet, der selbst zwischen den Charakteren und den Zuschauern steht. Dieser Bogen begrenzt sowohl das Gespräch als auch die körperliche Aktion. Sobald das Treffen seinen unvermeidlichen (und dennoch inspirierenden) Abschluss erreicht, wird die Absicht der Frauenorganisation, die Kolonie zu verlassen, zum Vorwand für eine Reihe von Randbemerkungen, die die losen Enden der Charakterpsychologie zusammenführen. Die unter Druck stehende Unerbittlichkeit jedes physischen Details und jedes vorübergehenden Augenblicks wird durch die sentimentale Fortsetzung seiner dramatischen Szenen zunichte gemacht. Die Dreharbeiten des Films, sein Verhältnis zu Bild und Performance, seine Dramaturgie sind nicht radikal. Dadurch bleibt der Film eher eine bewundernswerte Idee, ein ehrgeiziges Ideal als ein Erlebnis. 

7,5/10

Quellen
Inhaltsangabe: Universal Pictures
Poster/Artwork: Plan B Entertainment
Textauszüge: moviepilot

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